Was ist eine alte Straße wert?

Eppingen – Kämmereien stehen vor einer Herkulesaufgabe. Das System der Haushaltsrechnung wird auf den Kopf gestellt. Bilanzen und Gewinn-und-Verlust-Rechnungen halten Einzug. Mehr Transparenz ist das erklärte Ziel. Verantwortungsbewusstsein gegenüber künftigen Generationen soll geschärft werden. Eppingen sieht sich in einer Vorreiterrolle. Mit Kämmerer Tobias Weidemann sprach Alexander Hettich über Auswirkungen, Arbeitsbelastung und Kosten.

Was ändert sich mit dem neuen Haushaltsrecht?
Tobias Weidemann: Bislang wurden überwiegend Geldflüsse dargestellt. Abschreibungen für Vermögenswerte wie Straßen mussten nicht von den Gemeinden erwirtschaftet werden. Dass sich das ändert, ist Kern der Geschichte. Keine Generation soll auf Kosten der nächsten leben. Am Jahresende wird aufgezeigt, ob eine Kommune vom Bestand gezehrt hat, oder ob sich das Basiskapital erhöht hat. Bislang konnte eine Gemeinde ihre Aufgaben dadurch erfüllen, dass sie Vermögen veräußert hat. Dass ihr Vermögen irgendwann erschöpft ist, wurde gar nicht deutlich.

Konkreter.
Weidemann: Wenn die Gemeinde ein Grundstück für 50 000 Euro verkauft, standen diese Mittel für andere Ausgaben im Vermögenshaushalt zur Verfügung, was grundsätzlich als positiv anzusehen war. Aus der Bilanz wird der Wert des Grundstücks ersichtlich. Bei einem Bilanzwert von 70 000 Euro entsteht bei einem Verkauf zu 50 000 Euro ein Verlust von 20 000 Euro, der aus anderen Quellen erwirtschaftet werden muss. Es wird deutlicher, wie mit den Ressourcen umgegangen wird.

Die Gemeinde bilden also auch ab, ob noch Tafelsilber da ist.
Weidemann: Genau. Ob ich 100 Grundstücke zum Verkaufen in Reserve hatte oder 10, ist bisher nicht ersichtlich gewesen.

Wie aufwendig ist die Inventur?
Weidemann: Enorm. Die Vermögensbewertung wird 80 Prozent der Arbeitszeit umfassen, die mit dem neuen Haushaltsrecht verbunden ist. Bislang mussten Grundstücke oder Straßen nicht erfasst werden. Wenn ein Rechnungsbeleg da ist, ist die Bewertung relativ einfach.

Wie aber beziffert man den Wert eines Fachwerkhauses in der Altstadt?
Weidemann: Dazu gibt es verschiedene Verfahren, um den Wert für die Bilanz er ermitteln. Möglich bei einem Fachwerkhaus sind etwa der Gebäudeversicherungswert, das Sachwertverfahren oder das Ertragswertverfahren.

Geld für Rückstellungen wie Pensionslasten, die bisher in keinem Haushalt auftauchten, sollen die Gemeinden künftig selbst erwirtschaften. Da kommen enorme Beträge zusammen Sind viele Kommunen mit der Eröffnungsbilanz faktisch bankrott?
Weidemann: Da wird bei keiner baden-württembergischen Gemeinde rauskommen, dass sie nach der Eröffnungsbilanz in die Insolvenz gehen muss. Die Frage wird sein, ob man die Lasten in den Folgejahren erwirtschaften kann.

Können die Gemeinden das leisten?
Weidemann: Das werden sie leisten müssen. Zunächst werden Gemeinden nicht reicher und nicht ärmer, das ist nur eine andere Darstellung. Die Spielräume für Investitionen werden am Anfang sicher kleiner sein, da die Abschreibungen erwirtschaftet werden müssen. Um das aufzubauen, werden die Anfangsjahre die schwersten Jahre.

Bislang bekommen Kommunen einfach Kredit. Wird es auf Grundlage der Bilanzen Ratings geben, die es erschweren, an Geld zu kommen?
Weidemann: Nicht ausgeschlossen ist, dass sich Bilanzkennzahlen auf Zinssätze auswirken. Ich halte das aber nicht für wahrscheinlich.

Was kostet Eppingen die Umstellung?
Weidemann: In der Finanzplanung der Folgejahre sind 300 000 Euro veranschlagt. Wir werden uns aber Bemühen, mit weniger Geld auszukommen.

Wann greift die Umstellung?
Weidemann: Anfang 2012 oder 2013, je nachdem, wie schnell wir durchkommen. Als Große Kreisstadt wollen wir den Zeitrahmen bis 2016 auf keinen Fall ausreizen. Wir möchten vielmehr Vorbild sein für kleinere Gemeinden in der Nachbarschaft. Die werden es wesentlich schwerer haben. Die Grundsatzfragen müssen sie sich auch stellen. Ob man zehn Straßen bewertet oder 30, die Grundlagen muss man einmal erarbeiten.

Systemwechsel
Bislang stellen Gemeinden ihre Haushalte nach den Kriterien der jahrhundertealten Kameralistik auf, die Einnahmen und Ausgaben gegenüberstellt. Künftig hält die Doppik Einzug, ein Kunstwort für doppelte Buchführung in Konten. Sie soll den Blick auf die Ressourcen lenken und gewährleisten, dass keine Generation mehr Vermögen verbraucht, als sie erwirtschaftet. Befürworter führen an, dass die Systematik nachvollziehbarer macht, ob eine Gemeinde gut wirtschaftet. Das ist dann der Fall, wenn sie den Wertverzehr der Vermögenswerte wie Schulen, Kindergärten oder Wasserleitungen durch Einnahmen wieder hereinholt. Passiert das nicht, werden die Lasten künftigen Generationen vererbt. Kritiker zweifeln daran, dass sich Gemeinden wie Wirtschaftsunternehmen führen lassen. Unweigerlich müsste an der Gebührenschrauben gedreht werden. In Baden-Württemberg haben sie für den Umstieg Zeit bis zum Jahr 2016. Eppingen will schneller sein. Der Verwaltungsausschuss hat das Thema am Dienstagabend ausführlich behandelt.

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