Wächter der Freiheit

Schon jetzt erkennt man Karlsruhe aus der Ferne vor allem an seinen mächtigen Schornsteinen und Rauchfahnen im Westen der Stadt. Nun will der Stromriese EnBW am Rheinufer einen weiteren Kraftwerkblock errichten. Dass dort in großem Umfang Kohle verfeuert werden soll, heizt die Diskussion über die Karlsruher Luft, die schon jetzt ziemlich „dick“ ist, zusätzlich an. EnBW-Vertreter und Gegner des geplanten großen Kohleofens lieferten sich beim Anhörungstermin in der Knielinger Sängerhalle heftige Wortgefechte. Das letzte Wort hat das Regierungspräsidium als Genehmigungsbehörde. Und das soll Anfang nächsten Jahres gesprochen werden.

In die Diskussion um das neue Kohlekraftwerk hat sich auch die Stadtsynode der Evangelischen Kirche in Karlsruhe eingeschaltet und gemahnt, die Pläne für ein Kohlekraftwerk aufzugeben. Mit solchen Anlagen werde wegen ihres hohen Ausstoßes an Treibhausgas ein Signal in die falsche Richtung gestellt.

Dass diese in einem offenen Brief verbreitete Stellungnahme der Protestanten ausgerechnet den Chef der Liberalen im Karlsruher Gemeinderat, Stadtrat Michael Obert, herausgefordert hat, sorgte – auch bei Stadträten anderer Couleur – für Verwunderung. Der FDP-Politiker betont in einem Schreiben an den evangelischen Dekan Otto Vogel, er wolle natürlich niemandem das Recht der politischen Meinungsäußerung streitig machen, hält es aber im gleichen Atemzug für „problematisch“, wenn sich „die Kirche als solche“ zu tagespolitischen Fragen äußere.
Wie viel Freiheit darf es denn sein, möchte man da den Freidemokraten Obert fragen. Und: Was hat eine Großfeuerungsanlage, die Jahrzehnte lang enorme Mengen an Kohlendioxid und Staub in die Luft bläst, mit Tagespolitik zu tun? Es ist ja wohl ein Unterschied, ob über ein Klohäuschen oder über ein riesiges Kraftwerk zu befinden ist. Wobei Obert ja nicht einmal über die Zulässigkeit des Großprojekts mitentscheiden darf.

Wenn jemand den Kohleblock ablehne, gehöre es zur „politischen Redlichkeit“ zu sagen, was stattdessen geschehen solle, um die Stromversorgung zu sichern, zumal die Evangelische Kirche ja auch die Kernkraft ablehne, klärt Obert in seinem Schreiben den Dekan auf. Und spätestens da fängt der Auftritt an, peinliche Züge zu bekommen. Wenn Menschen das Gefühl haben, da läuft etwas in die falsche Richtung, haben sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich zu Wort zu melden, auch wenn sie keine Patentlösung haben.

Entsprechend hat der Dekan in seiner Antwort an Obert auch formuliert, die Kirche werde sich nicht festlegen lassen, sondern das Wort ergreifen, wenn sie der Meinung sei, dass Mahnung und Parteinahme nötig seien.
Vielleicht sollten die Kirchen in Zukunft öfter Flagge zeigen, dann hätten manche Politiker erst gar keine Zeit mehr, unnötige Diskussionen um Meinungsfreiheit loszutreten.

Günther Kopp

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