Die zwei Seiten der Medaille

Institut der deutschen Wirtschaft: Kommunen machen privaten Unternehmern Konkurrenz – und das bei verzerrtem Wettbewerb – VON STEFANIE SCHLÜTER
S T U T TG A R T. Die Kommunen in Deutschland betätigen sich verstärkt als Unternehmer. Sie kümmern sich nicht allein um Wasser, Abwasser oder den Betrieb von Krankenhäusern. Nein, sie sollen sogar Reisebüros betreiben und privaten Unternehmern Konkurrenz machen, so eine Studie von Wissenschaftlern des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Nicht in Baden-Württemberg, heißt es von Seiten des Gemeindetags.

Unter der Überschrift „Kommunen als Unternehmer: Geschäfte außer Konkurrenz“ haben die Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass sich die Gemeinden in Deutschland unter dem Druck leerer Kassen immer stärker als Unternehmer betätigen. Sie nennen Beispiele wie etwa die Vermittlung von Reisen, die sicher nicht über den Begriff der Daseinsvorsorge abgedeckt sind. Denn mit diesem wird die Aufgabe des Staats umschrieben, notwendige Güter und Leistungen für die Bürger bereitzustellen.
Dazu zählen etwa das Verkehrswesen, die Energieversorgung, Wasser und Abwasser, die Müllabfuhr, Schulen und Krankenhäuser. Was davon jedoch tatsächlich von der öffentlichen Hand erbracht werden muss, und was Private genauso gut erledigen können, darüber gehen die Meinungen seit Jahren weit auseinander. Die Wissenschaftler aus Köln gehen jedoch noch einen Schritt weiter: Sie sagen, dass die Betätigung der öffentlichen Hand den Wettbewerb verzerrt.
Der Grund: das Umsatzsteuerprivileg, durch das kommunale Unternehmer in der Regel keine Umsatzsteuer zahlen, während die Leistungen von privaten Unternehmern dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent unterliegen. „Im Extremfall haben kommunale Unternehmen also bei gleicher Kostenstruktur einen Preisvorteil von 19 Prozent und können ihre Ausschreibungsangebote entsprechend günstiger kalkulieren“, so die Wissenschaftler.

Im Jahr 2004 hätten die Kommunen je nach Bundesland bis zu acht Prozent ihrer Einkünfte aus wirtschaftlichen Aktivitäten erhalten. Tendenz steigend. Gleichzeitig hätten die Kommunen dafür ausgerechnet an dem Posten gespart, der für die private Wirtschaft besonders interessant sei: an den Investitionsausgaben. Diese seien insgesamt von 23,5 Prozent im Jahr 1992 auf 12,3 Prozent im Haushaltsjahr 2007 gesunken.
Baden-Württemberg ist allerdings nach Angaben der Wissenschaftler das einzige Flächenland, in dem die Kommunen der privaten Wirtschaft im Jahr 2004 weniger Konkurrenz gemacht haben, als im Jahr 1999. In Nordrhein-Westfalen soll der Unternehmer-Freude der Kommunen nun strenge Grenzen gesetzt werden: Eine Subsidiaritätsklausel soll es den Kommunen erschweren, erwerbswirtschaftliche Geschäfte zu machen. Eine entsprechende Klausel gibt es in der Gemeindeordnung in Baden-Württemberg bereits.

Dies wird von den Mitarbeitern am IW positiv gesehen. Denn: „Eine Kommunalisierung von Aufgaben, die durchaus von privaten Unternehmen übernommen werden können, führt in der Regel zu Effizienzverlusten, sprich überhöhten Preisen – wie immer, wenn der Wettbewerb fehlt.“ Bei den Kommunen wird das Thema Privatisierung zum Teil recht unterschiedlich gesehen und immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Privaten wirklich alles besser und effizienter erledigen können.

Negativbeispiele dazu gibt es aus Großbritannien, etwa im Bereich Schienenverkehr oder im Bereich Wasserversorgung. „Das Maß an Daseinsvorsorge, das wir in Baden-Württemberg erbringen, ist das Maß, mit dem wir auch richtig liegen“, ist Johannes Stingl, Beigeordneter beim Gemeindetag Baden-Württemberg, überzeugt. „Eine Privatisierung von Kernbereichen der Daseinsvorsorge sehen wir mit großer Skepsis“, sagt Manfred Stehle vom Städtetag Baden-Württemberg. Grundsätzlich läge die Entscheidung darüber aber bei der einzelnen Kommune. Stehles Rat: „Wenn privatisiert wird, dann müssen auch die Interessen der Daseinsvorsorge vertraglich sichergestellt werden.“ Oder anders gesagt: Drum prüfe, wer Aufgaben aus der Hand gibt.
Dazu rät auch Detlef Sack von der Universität Kassel. Der Politologe befasst sich seit Jahren mit dem Thema Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und referierte dieser Tage auch bei der Fachtagung „Regionalisierung, Kommunal und Stadtentwicklung“ in Stuttgart. Wichtig seien in jedem Fall genau gestaltete Verträge mit eindeutigen Zieldefinitionen, vertraglichen Anreiz- und Sanktionsmechanismen, Vor-, Rückkaufs- und Eigentumsrechten sowie einer Festlegung der Zusammensetzung von Gremien wie Aufsichtsrat und Beiräten und klaren Informationspflichten. Es genügt zum Beispiel nicht, dass im Vertrag festgelegt wird, dass der private Unternehmer den öffentlichen Nahverkehr in einem Stadtteil aufrecht zu erhalten hat. Im Zweifelsfall kann es Sinn machen, sogar Haltestellen und Taktzeiten festzuschreiben. Festzuhalten bleibt: „Die Behauptung, dass Private immer alles besser können als die öffentliche Hand, ist genauso unsinnig, wie die Behauptung, dass die öffentliche Hand alles besser machen kann“, so das Fazit von Johannes Stingl. Es gelte stets den Einzelfall zu betrachten.

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10 Antworten zu Die zwei Seiten der Medaille

  1. -A-H. sagt:

    Man gönnt sich ja sonst nichts.

  2. pp sagt:

    Man leistet sich die defizitäre Kommunalbau, städtische Wohnungsbaugesellschaft und das European Study Centre Bretten der University of Southern Queensland (USQ) im fernen Australien.

  3. n-Or sagt:

    Für sie wäre es furchtbar, erkennen zu müssen, dass Private öffentliche Aufgaben teils viel besser erledigen können, und dass diese somit die Unfähigkeit der öffentlichen Hand auch noch dokumentieren.

  4. a-v sagt:

    Natürlich auch in der Stadt Bretten gibt es viele Bedenkenträger (beinahe alle Stadträte) gegen die echte Privatisierung von freiwilligen kommunalen Leistungen. Sie stellen unbegründete Argumente in den Raum: Beispielsweise die kommunale Daseinsvorsorge. Allen voran der Vorsitzende des Gemeinderates.

  5. -Irmg- sagt:

    OB Metzger spricht auch gern von der kommunalen Daseinsfürsorge. Was er damit meint, bleibt sein Geheimnis.

  6. --p-w- sagt:

    Ganz allgemein: Die defizitäre Kommunalbau und die defizitäre städtische Wohnungsbaugesellschaft arbeiten nicht im geringsten für Kernbereiche der Daseinsvorsorge.

  7. Th. sagt:

    „Eine entsprechende Klausel gibt es in Baden-Württemberg bereits.“

    Die steht auf einem Papier, was für die Stadt Bretten ganz gewiß keine Verpflichtung darstellt!

  8. mm sagt:

    und jetzt soll im Rüdtwald ein Logistikzentrum gebaut werden. Bauherr : die Kommunalbau ! Gibt es jetzt die „Subsidiaritätsklausel“ die es den Kommunen erschweren soll „erwerbswirtschaftliche Geschäfte zu machen“ oder nicht? Wer kontrolliert, wer genehmigt ? Oder ist das alles wieder nicht das Papier wert auf dem es gedruckt wurde ?

  9. -sol- sagt:

    Wenn die defizitäre städtische Kommunalbau GmbH für die Firma Gillardon ein Bürogebäude zwecks Vermietung baut, dann dient das meines Erachtens weniger der Wirtschaftsförderung, sondern mehr einer klaren Wettbewerbsverzerrung. (s. 1. Kommentar Absatz 1)

  10. Ka. My. sagt:

    „Die Wissenschaftler aus Köln gehen jedoch noch einen Schritt weiter: Sie sagen, dass die Betätigung der öffentlichen Hand den Wettbewerb verzerrt.“

    Trifft auf die Brettener Kommunalbau und auf die Brettener Wohnungsbaugesellschaft voll zu. Zudem befinden sich beide Gesellschaften in kommunaler Hand und erwirtschaften hohe Verluste, die mit Steuergeld ausgeglichen werden.

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