Hoher Einsatz

Unternehmer brauchen keine neuen Gewerbegebiete, sondern eine fürsorgliche Wirtschaftsförderung
Von thorsten Denkler, Berlin
Stuttgart. Die Kommunalpolitiker in Lahr haben es getan. Eigener Flughafen. Autobahnanschluss. Bahnanbindung. Mehr kann ein Unternehmer von einem Gewerbegebiet nicht erwarten. Darum gibt es jetzt ein neues Gebiet, zusätzlich zu den drei bestehenden. 580 Hektar groß, direkt an der Autobahn Karlsruhe -Basel gelegen. Das Flughafengelände liegt wenige Meter entfernt. Auf der 3000-Meter-Landebahn können die weltgrößten Frachtflugzeuge abgefertigt werden.
Beste Voraussetzungen also für das neue Gewerbegebiet, das in Lahr ein Park ist, der Industrie- und Gewerbepark Raum Lahr I. Doch was für Lahr gilt, gilt längst nicht mehr überall im Land. Neue Gewerbegebiete, sagen Wirtschaftsförderer, sind inzwischen lediglich noch schwer an den Unternehmer zu bringen.

In Baden-Württemberg hat seit dem Jahr 1997 der Anteil von Flächen für Gewerbe und Industrie vor allem in Städten und Gemeinden unter 20 000 Einwohnern um bis zu 28 Prozent zugenommen. Nachzulesen im Jahresbericht des Statistischen Landesamtes. Täglich kommen landesweit etwa 1,5 Hektar hinzu. Und das in
wirtschaftlich eher schwierigen Zeiten. So viele Unternehmen können gar nicht gegründet werden, wie Flächen ausgewiesen werden. In manchen Gemeinden wird der Quadratmeter inzwischen für unter 20 Euro verscherbelt. Experten halten Preise von unter 30 Euro für ruinös.

„Es gibt ganz klar ein Überangebot“, sagt Manuel Moosherr, Projektleiter der Wirtschaftsförderung Heilbronn. Moosherr ist auch für den Gewerbeflächenatlas der Region zuständig. Das Problem: Unternehmer, die einen Umzug ins Auge fassen, sondieren eher im Ausland, als in der Heimat. In Osteuropa oder Asien sind die Arbeitskräfte einfach günstiger. Der Schraubenhersteller Würth aus Künzelsau etwa plant Millionen-Investitionen in China. Wasserhahn-Spezialist Grohe verlagert seit Jahren Standorte nach Asien. Wer bleibt, gehört zu den bodenständigen Unternehmern. Und die können billige Gewerbeflächen allein auch
nicht in eine neue Stadt locken.
Wirtschaftsförderer Moosherr predigt den Stadt- und Gemeinderäten seit Jahren, mehr mit den Nachbarn zu kooperieren oder besser ganz auf neue Flächen zu verzichten. Doch dafür ist oft der Konkurrenzdruck zu hoch. Moosher: „Hat die Gemeinde A ein neues Gewerbegebiet, will die Gemeinde B auch eines haben, um
nicht ins Hintertreffen zu geraten.“ Nicht selten, dass solche Gebiete, einmal erschlossen, über Jahre leer stehen.

Anders, aber ähnlich die Situation in Stuttgart. Dort stehen massenhaft Bürogebäude leer, lediglich Produktionshallen seien keine zu finden, ärgert sich Petra Hetzel vom Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Stuttgart. „Es wurde über Jahre nur auf Dienstleister gesetzt.“ Dagegen hätten es Unternehmer schwer, neue Standorte zu finden, wenn sie „nicht sauber sind“.
Fällt Dreck und Lärm an, sagen Bürgermeister dankend Nein, ist Hetzels Erfahrung. Eine Luxushaltung angesichts der großen Leerstände und vielen freien Flächen. Statt auf neue Flächen zu setzen, sollten die Bürgermeister lieber die Kontakte zu den ansässigen Unternehmen besser pflegen, um die nicht auch noch zu verlieren, rät Moosherr. Der Aufbau von Netzwerken oder Clustern etwa wird zunehmend wichtiger. Die lokale Wirtschaftsförderung kann dafür entscheidende Anstöße geben. Moosherr und seine Kollegen haben etwa Heilbronn zur „Kunststoff-Region“ erklärt. Es gibt in der Umgebung überdurchschnittlich viele Betriebe, in denen Kunststoffe hergestellt oder für deren Produktion zugeliefert werden kann. Über viele Jahre wussten die Unternehmer wohl, dass ihre Konkurrenten ganz in der Nähe arbeiten. Aber auf die Idee, mit denen mal ins Gespräch zu kommen, haben sie erst die Wirtschaftsförderer in Heilbronn gebracht.

Eine so vorangetriebene Zusammenarbeit von Wettbewerbern stärkt jeden Einzelnen, glaubt auch Ulrich Spitaler, Kreischef des BVMW in Heilbronn. Er hat gemeinsam mit Diplomanden der Fachhochschule Heilbronn im Juli eine Studie abgeschlossen, in der untersucht wurde, wie solche Unternehmensnetzwerke am Beispiel der Werkzeugmacher und Formgeber in der Region aussehen können. „Die Unternehmer können jeweils als Systemanbieter auftreten“, sagt Spitaler. Dafür nutzen sie die speziellen Fähigkeiten der anderen und engagieren sich gegenseitig als Subunternehmer. Später bilden sie Einkaufs- und Vertriebsgemeinschaften. Für Spitaler ist klar: „Nur so werden die Betriebe die kommenden 20 Jahre überleben.“ Und damit sei den Bürgermeistern mehr geholfen, als mit immer neuen Gewerbeflächen, die keiner haben will.
Bürgermeister, die gute Karten haben wollen, um Unternehmen in ihrer Gemeinde zu halten, sollten auf mehr Betreuung setzen.
25.09.2006

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3 Antworten zu Hoher Einsatz

  1. mm sagt:

    und in Bretten wird gerade ein Wald zerstört, obwohl die in diesem Artikel genannten Fakten inzwischen bundesweit bekannt und als richtig anerkannt sind. Ganz anders jedoch gehen die Uhren in Bretten, vor allem die Stadtoberen brauchen dort ihr mitteralterliches Peter- und Paulgewand ganzjährig nicht mehr abzulegen! Es drückt ihre Verhaftung und Denken in dieser Zeitperiode aufs Genaueste aus!

  2. ghg sagt:

    Ein freundlicher Hinweis an alle Mitglieder des Brettener Gemeinderates.
    Machen Sie sich kundig – eventuell durch Einladung zu einer Sitzung – bei Herrn Manuel Moosherr, Projektleiter der Wirtschaftsförderung Heilbronn. Unter anderem predigt er den „Räten“ seit Jahren, mehr mit den Nachbarn zu kooperieren oder besser ganz auf neue Flächen zu verzichten.
    Bald ist Wirtschaftsförderung in Bretten nur noch Chefsache. Und was dabei herauskommen wird, weiß man schon lange vorher, s. Kommentar unter 1. Also schauen Sie doch bitte einmal über den eigenen Tellerrand. Es kann Ihnen nur Nutzen bringen.

  3. mm sagt:

    Aber was nützen uns Fachleute und Spezialisten, Universitäten und Forschungseinrichtungen, wenn vor Ort Borniertheit auch noch zum Prinzip erhoben wird und ein rechthaberischer wirtschaftspolitischer Dinosaurier herrscht, der nicht war haben will, dass seine Zeit abgelaufen ist.

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