In Bretten herrscht Katastrophen-Stimmung

Nach dem Liquidations-Vergleichsantrag für Neff Empörung und Betroffenheit
Man kann es nicht fassen, daß die lebenswichtige, mit Gewinn arbeitende Firma „geopfert“ werden soll
Von unserem Redaktionsmitglied Manfred W. Bossert
In Bretten herrscht tiefe Betroffenheit, ja Wut und Empörung. Zwar war zu vermuten, daß sich nach dem Vergleichsantrag für die Gelsenkirchener AEG-Telefunken-Tochter Küppersbusch am Montag auch der traditionsreiche, für den Brettener Baum kaum zu ersetzende Herd- Hersteller Neff-Werke, Carl Neff GmbH, möglicherweise nicht ganz ungeschoren davonkommen würde. Aber was jetzt eingetreten ist, nämlich der Antrag auf einen Liquidationsvergleich beim Bruchsaler Amtsgericht, hat die Vorstellungswelt der Brettener bei weitem überstiegen. Man kann es einfach nicht fassen.

Knapp 2000 Leute würden auf der Straße stehen, wenn bei Neff die Lichter tatsächlich ausgingen – und bis zur Stunde ist noch kein Hoffnung verheißender Lichtstrahl am dunklen Horizont auszumachen. Aber, nicht nur die 2000 wären in einer verzweifelten Lage – und mit ihnen viele Familien, in denen zwei, drei oder gar vier Angehörige bei Neff ihr Brot verdienen —, sondern auch etliche heimische Zulieferer bekämen mehr oder weniger schlimme Folgen zu spüren.

Unfaßlich ist für viele Brettener insbesondere, warum um Gottes Willen gerade das Neff-Unternehmen die Tore dichtmachen soll. Denn von der Situation der Firma her erscheint den Leuten der Schritt der Geschäftsleitung, die man verständlicherweise nur als ausführendes Organ der Frankfurter AEG- Telefunken-Konzernzentrale betrachtet, schlicht ungerechtfertigt.

So weiß etwa der in Bretten wohnhafte SPD- Europa-Parlamentarier Horst Seefeld zu berichten, die Geschäftsleitung habe noch im Juli erklärt, das Unternehmen schreibe schwarze Zahlen. Seefeld: „Für mich ist am bedrückensten, daß ein solch gut fundiertes Unternehmen geopfert wird, weil ein Mißmanagement der Konzernspitze von AEG-Telefunken nicht hat ausschließen können, daß eine solche Situation jetzt entstanden ist“.

Seefeld berichtet weiter, die Auftragslage bei Neff sei zufriedenstellend. Das Unternehmen habe im Auslandsgeschäft sogar einige weitere Erfolge aufzuweisen, wodurch der leichte Rückgang auf dem Inlandsmarkt kompensiert worden sei. Gewiß, man habe bei Neff in Bretten in den vergangenen Jahren auch abgespeckt und habe auch in Zukunft in dieser Richtung ohne große Härten unter Ausnutzung der Fluktuation noch einiges geplant. Aber jetzt, nach dem Antrag auf Liquidationsvergleich, befürchtet er Allerschlimmstes: „So wie Bretten wird kein AEG-Standort getroffen.“ Der Wirtschaftsraum des Raumes Bretten sei von einer Monostruktur geprägt, und man wäre deshalb ganz besonders großen Belastungen ausgesetzt. Seefeld erinnert auch daran, daß bereits vor einigen Jahren ein Aderlaß zu verkraften war, als Neff – Bruchsal, eine im Großküchenbereich tätige Filiale mit 300 Beschäftigten, nach Gelsenkirchen zu Küppersbusch verlagert worden war.

Auch Oberbürgermeister Alfred Leicht sieht „tief-schwarz“. Noch habe man nicht einmal ganz die Folgen der Rezession im Gefolge des ersten Ölschocks 1974/75 verdaut „und nun das“. Ein „Aus“ bei Neff würde Bretten zum Notstandsgebiet werden lassen. Die Arbeitslosenquote sieht der OB in diesem Fall vom Landesdurchschnitt auf unheilverheißende zwanzig Prozent hochschnellen.

An regelrechte Zusammenbrüche von Zulieferbetrieben von Neff in der Gegend mag er zwar nicht glauben, doch Schwierigkeiten im Gewerbe würden sich da und dort mit Sicherheit ergeben. Auch der Handel würde mögliche Kaufkraftverluste der Bevölkerung zu spüren bekommen. Leicht erinnert auch, wie Seefeld, an die 54 Auszubildenden bei Neff. „Was soll aus ihnen werden?“

Der Oberbürgermeister und seine Bürger, setzen in dieser düsteren Lage auf Hilfe von der Landesregierung.
Zwei, drei Interessenten haben sich, so ist zu hören, für Neff bemerkbar gemacht. Aber was wird von denen noch zu sehen sein, fragt man sich allenthalben in Bretten, sollte AEG-Telefunken die durch Qualität renommierte Marke „ Neff“ mit nach dem Werk Rothenburg ob der Tauber, wo ebenfalls Herde hergestellt werden, nehmen, also einem potentiellen Einsteiger bei Neff vorenthalten. Und für letzteres glaubt man in der Geschäftspolitik von AEG immerhin Anzeichen, für eine solche „Linie“ entdeckt zu haben.
Oberbürgermeister Leicht macht seinem Groll vollends Luft: „Wenn man zwei Milliarden Mark Pensionsrückstellungen verbraucht und dann ein Werk ausbaut (gemeint ist Rothenburg, die Red.), dann ist das für jeden einzelnen Menschen hier unverständlich. „Hier in Bretten haben sie ein Werk stehen.“
Heute morgen um neun Uhr wird das Stadtoberhaupt mit einer Delegation in Stuttgart aufkreuzen, „denn ohne die Hilfe des Landes kann die Stadt einen solchen Schlag nicht verkraften.“ Leicht meint im übrigen, er habe heute den ganz deutlichen Eindruck gewonnen, daß das, was in Bretten eingetreten ist, nicht in den letzten acht Tagen geboren worden sei, sondern von langer Sicht vorbereitet worden ist.

Gestern nachmittag kurz nach halb fünf war das Stuttgarter Kabinett zur Sondersitzung in Sachen Neff und Zanker und AEG-Telefunken in Baden- Württemberg überhaupt einberufen worden. Heinz Heckmann, Staatssekretär im Finanzministerium und Bruchsaler CDU-Abgeordneter war dabei: Er sagte dieser Zeitung am Telefon in der Villa Reitzenstein kurz vor Beginn der Krisen-Runde, er könne das alles noch nieht werten, aber daß es eine katastrophale Entwicklung für den Struktur-. schwachen Raum Bretten bedeuten würde, wenn Neff schlösse, darüber brauche man jedenfalls keine langen Ausführungen zu machen. Er sei bisher davon ausgegangen gewesen, daß Neff nicht unmittelbar gefährdet sei. Im übrigen möchte er den Verhandlungen im Ministerrat nicht vorgreifen.

Nun, heute wissen wir vielleicht ein bißchen mehr, ob aus dem Staatsministerium Hoffnungsschimmer durchdringen. Zunächst aber bleibt wirklich nur das Prinzip Hoffnung – für Neff in Bretten und auch für Zanker in Tübingen.

Der Hoffnung hat sich auch Neff- Betriebsratsvorsitzender Wilhelm Niedermaier verschrieben, was bleibt ihm anderes. Er weiß von vielen wütenden Kollegen in der Neff-Belegschaft zu berichten und davon, daß man den Grund nicht einsehe, warum Neff geopfert werden solle. Niedermaier bestätigt, daß man im ersten Halbjahr 1982 bei Neff schwarze Zahlen geschrieben habe, und auch 1981 habe man „plus gemacht“. Neff habe sozusagen zweistellige „Außenstände“ gegenüber der Frankfurter Konzernzentrale, aber das falle eben auch unter den Vergleich der Zentrale. „Ja, wenn das Geld, das man zu bekommen hätte, gekommen wäre. . .“ Nun, nachdem der Vergleichsantrag gestellt sei, vermute er, daß man bemüht sein werde, die Produktion wieder aufzunehmen, eben, „wenn Geld
kommt“.
Aber für’s erste scheint wohl eher davon auszugehen zu sein, daß bei Neff ab Donnerstag die Produktion zunächst einmal ruhen wird.

„Wenn Neff Grippe hat, hat AEG bereits Krebs. Es ist nicht einzusehen, daß der Grippekranke geschlachtet werden soll, um den Krebskranken zu erhalten.“
IG Metall-Bevollmächtigter Werner Holzwarth
„Es trifft nicht nur uns, sondern vor allem unsere Kinder.“ – Jetzt Sensation für alle, in acht Tagen sind wir vergessen.“ Reaktionen von Neff- Betriebsangehörigen

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