Vollbeschäftigung?

UDO STARK
Eine Faustregel besagt, dass eine Arbeitslosenquote von unter vier Prozent fast schon der Vollbeschäftigung gleichkommt, da trotz bester konjunktureller Bedingungen nie alle Arbeitslosen vermittelbar sind. Danach herrscht in Baden-Württemberg und Bayern bereits Vollbeschäftigung; denn hier liegt die Arbeitslosenquote bei 3,9 beziehungsweise 3,8 Prozent. Nur die zweistelligen Quoten der Schlusslichter Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern machen auf den ersten Blick deutlich, dass nicht alle Regionen Deutschland vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.


Statistisch gesehen steht der deutsche Arbeitsmarkt derzeit blendend da. Nur 3,2 Millionen Menschen besitzen derzeit keinen Job. Man muss bis in das Jahr 1992, also in die Zeit des Booms nach der Wiedervereinigung zurückgehen, um auf so positive Zahlen zu stoßen. Schon wird darüber spekuliert, wann die Marke von drei Millionen geknackt wird. Trotzdem ist es angebracht, allzu überschwängliche Hoffnungen etwas zu dämpfen. Denn am konjunkturellen Himmel ziehen bereits dunkle Wolken auf. Die hohe Inflation, bedingt durch die Hausse an den Rohstoffmärkten, wird über kurz oder lang Wirkung zeigen. Von der EZB wird bereits erwartet, dass sie die Zinsen erhöht. Sollte die Teuerung nicht zurückgehen, müssen auch andere Notenbanken nachziehen, was für das wirtschaftliche Wachstum Gift wäre. Bricht zudem noch die USA als Zugmaschine der Weltwirtschaft ein, könnte es sogar eine harte Landung geben — mit den entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Dann würden all die Probleme wieder deutlicher hervortreten, die unter guten Vorzeichen gerne ausgeblendet werden. So spricht derzeit kaum jemand über die Langzeitarbeitslosen. Es gibt sie jedoch noch — die Hartz-IV-Empfänger. Zwar ist ihre Zahl in den vergangenen zwei Jahren ebenfalls gesunken, aber diese Entwicklung hinkt der positiven Tendenz am ersten Arbeitsmarkt deutlich hinterher.
Ganz zu schweigen von den Ein-Euro-Jobbern mit mehr als 15 Wochenstunden, den Kranken, den Arbeitsunfähigen, den Ausbildungsplatzsuchenden oder den Erwerbstätigen im Niedriglohnbereich, die zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind — sie alle kommen in der Arbeitsmarktstatistik nicht vor. Diese Menschen haben kaum eine Chance, je wieder eine Vollzeitbeschäftigung zu bekommen. Sie vergrößern die Zahl der Armen, wie der erst kürzlich von der Bundesregierung veröffentlichte Armutsbericht belegt. Bei aller Euphorie über die positive Tendenz am Arbeitsmarkt darf das nicht vergessen werden.

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10 Antworten zu Vollbeschäftigung?

  1. ghg sagt:

    Also: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben! 🙂

  2. ghg sagt:

    Der neuerliche Versuch der Selbstbedienung unserer Volksvertreter in Berlin wurde ja gestoppt.

    Wäre im nächsten Jahr keine Bundestagswahl und hätte die SPD nicht Angst um den letzten Rest ihrer Wähler, hätten die Abgeordneten – wie auch sonst üblich – ihren Souverän (die Wähler) völlig ignoriert: Sie hätten die Diätenerhöhung ganz locker durchgezogen.

    So wird diese eben auf die Zeit danach vertagt. Man kann heute darauf wetten, dass sie sich dann für die taktische Verzögerung mehr als reichlich entschädigen werden.

  3. hjb sagt:

    „Sie vergrößern die Zahl der Armen, wie der erst kürzlich von der Bundesregierung veröffentlichte Armutsbericht belegt.“

    Es trifft sich geradezu gut, dass der neueste Armutsbericht (mit Daten bis Ende 2005) der Bundesregierung auch klare Festlegungen darüber enthält, wer arm und wer reich ist.

    Die „superreichen“ Bundestagsabgeordneten – mit ihren Nebeneinkünften –

    – vorzugsweise die mit dem C = Christlich im Parteinamen –

    müssten danach mit gutem Beispiel den übrigen Reichen vorangehen und selbst festlegen, auf wie viel ihrer Diäten sie zugunsten der Armen (nach christlicher Lehre) verzichten wollen.

  4. -an-i- sagt:

    an dr
    Tja, wenn man die Realität und Ehrlichkeit ausblendet, dann ist man gezwungen die Verbalakrobatik zu praktizieren.
    Einfache Formulierungen sind nun mal leicht zu verstehen.
    Die Mode, die Probleme zu schaffen wo es keine gibt, funktioniert schon über 2000 Jahre. So langsam wird es aber eng.

  5. ghg sagt:

    UDO STARK von den BNN erkennt es vollkommen richtig in seinem Kommentar.

    Viele Menschen mit ganz bestimmten (sozialen) Merkmalen werden von der Statistik gar nicht erfaßt.
    Weil sie beim Arbeitsamt nicht registriert sind, obwohl sie eine Stelle suchen.

  6. h - z sagt:

    „Eine Faustregel besagt, dass eine Arbeitslosenquote von unter vier Prozent fast schon der Vollbeschäftigung gleichkommt…“

    In enger Fassung bezieht sich die Vollbeschäftigung nur auf den Faktor Arbeit.

    Die wichtigsten Varianten dieser Definition sind:

    – Die Zahl der Arbeitslosen entspricht der Zahl der offenen Stellen.

    – Die Arbeitslosenquote liegt unterhalb einer bstimmten Grenze. Das Spektrum der dabei genannten Sätze schwankt im Zeitablauf

    und reicht von 0,8 Prozent bis vier Prozent.

  7. dr sagt:

    Wie an-i- oberhalb es so treffend zitiert, so leicht mache ich es mir nicht.

    Schon immer haben Meinungsverschiedenheiten in Abgrenzung und Erfassungsmethoden verstärkte Bemühungen um eine Angleichung erforderlich gemacht.

    Sie behindern jedoch die Vergleichbarkeit und Interpretation der Ergebnisse nach wie vor in hohem Maße.

  8. ürk- sagt:

    Und Frau Merkel (CDU) aus Mecklenburg-Vorpommern scheint das aktuell nicht besonders zu interessieren.

  9. pet. my. sagt:

    „Nur die zweistelligen Quoten der Schlusslichter Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern machen auf den ersten Blick deutlich, dass nicht alle Regionen Deutschlands vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren.“

    Wo sind sie denn die „blühenden Landschaften“, die Herr Kohl (CDU) vorschnell nach der Wiedervereinigung dem damaligen (ostdeutschen) Wahlvolk versprach?

  10. -an-i- sagt:

    Also doch: Ich kann nur an die Statistik glauben, die ich selbst gefälscht habe – frei nach W. Churchill

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