„Lohndumping zerstört die Qualität der Arbeit“

Von Dr. Heiner Geißler, Ex-CDU-Generalsekretär

Zweifellos birgt die Verschmelzung von Märkten, Unternehmen und Informationsflüssen das Potenzial, die Spaltung der Menschheit in arm und reich zu überwinden. Doch die enormen Chancen der Globalisierung drohen verloren zu gehen. Demokratische Entscheidungen werden durch die Diktatur der internationalen Finanzmärkte ersetzt. Bei einem börsentäglichen Umsatz von zwei Billionen Dollar ist durch Spekulation mit Devisen und Derivaten ein gigantisches Finanzsystem in der Größenordnung von 120 Billionen Dollar entstanden, dem aber nur eine reale ökonomische Wertschöpfung, das Weltbruttosozialprodukt von 50 Billionen, gegenübersteht. Alles andere ist spekulative Blase.

Gleichzeitig sind hundert Millionen von Arbeitslosigkeit bedrohte Menschen in Europa und den USA und drei Milliarden Arme, die zusammen jährlich ein geringeres Einkommen haben als die 400 reichsten Familien der Erde an Vermögen besitzen, geeint in der Angst vor der Zukunft, geeint aber auch in der Wut, dem Abscheu und dem tiefen Misstrauen gegenüber den politischen, ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten, die ähnlich den Verantwortlichen in der Zeit des Übergangs vom Feudalismus in die Industriegesellschaft offensichtlich unfähig sind, die unausweichliche Globalisierung der Ökonomie human zu gestalten. Nicht die Globalisierung ist falsch, sondern ihre kapitalistische Ausformung. Die Menschen werden zu Opfern einer Shareholder-Value-Ökonomie, die keine Werte kennt jenseits von Angebot und Nachfrage, die Spekulanten begünstigt, langfristige Investoren behindert und die Menschen zu Kostenfaktoren reduziert.

Die Staatsmänner der westlichen Welt lassen sich von den multinationalen Konzernen erpressen und in der Finanzpolitik gegeneinander ausspielen und weigern sich beharrlich, anzuerkennen, dass der Markt geordnet werden muss, auch globale Regeln einzuhalten sind und Lohndumping die Qualität der Arbeit und der Produkte zerstört. Die Menschen spüren die Folgen der Wahnidee, die Gesetze des Marktes würden alle Probleme von selber lösen. Richtig ist, dass es zum Markt und zum Wettbewerb grundsätzlich keine vernünftige Alternative gibt. Die globale Wirtschaft ist jedoch, wie John Samuelson, der bedeutendste amerikanische Ökonom feststellt, eine Welt der Anarchie, ohne Gesetz, ohne Regeln, ohne soziale Übereinkünfte, in der die Privatwirtschaft eine entscheidende Rolle spielt, von der aber auch die Mafia, die Drogendealer und die Terroristen ebenso profitieren wie spätkapitalistische und antidemokratische Mächte wie Russland und China. Die heutige Weltwirtschaft stellt sich in den Augen der meisten Menschen dar als ein System, in dem der Börsenwert umso höher steigt, je mehr Leute wegrationalisiert werden. Ein solches Wirtschaftssystem ist krank, unsittlich und auf Dauer nicht konsensfähig.

Die richtige Alternative ist eine Internationale Sozial-Ökologische Marktwirtschaft mit einer stärkeren Kontrolle der internationalen Finanzsysteme, der Schließung der Off-shore-Center, die Beschränkung der europäischen und amerikanischen Agrarsubventionen, die zum Beispiel Millionen von Afrikanern und Indern arbeitslos machen, und eine Reform der globalen Institutionen wie Weltbank, IWF und WTO, die der Nobelpreisträger Josef Stieglitz dafür verantwortlich macht, dass die Globalisierung bisher schief gelaufen ist. Mit einer internationalen Börsenumsatzsteuer von nur 0,01 Prozent könnte ein Global Marshall-Plan und damit die Infrastruktur für die Trinkwasser- und Energieversorgung von zwei Milliarden Menschen finanziert werden. Ohne Achtung der Menschenwürde und ohne solidarische Standards, die Lohnsklaverei, Ausbeutung, Kinderarbeit und Zerstörung der Natur verbieten und verhindern, ist auf die Dauer eine humane Weltwirtschaftsordnung und Weltfriedensordnung nicht möglich. Die Alternative ist Blutvergießen, Wirtschaftskrieg, Überhandnahme des Fundamentalismus und weltpolitisches Chaos — Entwicklungen, die dann vor den Toren Europas auch nicht halt machen werden.
Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler wird am Montag um 18.30 Uhr in der Karlsburg in Karlsruhe-Durlach einen Vortrag über die Chancen und Risiken der Globalisierung halten. Begrüßt wird er von dem Vizepräsidenten des KSC und Vorstandsvorsitzenden der Beteiligungs-AG Baden, Rainer Schütterle.

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6 Antworten zu „Lohndumping zerstört die Qualität der Arbeit“

  1. h - z sagt:

    „Die globale Wirtschaft ist jedoch, wie John Samuelson, der bedeutendste amerikanische Ökonom, feststellt…“

    Ich kenne nur einen bedeutenden US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler, Paul Anthony Samuelson, Träger des Nobelpreises für Wirtschaft im Jahre 1970.

  2. Gust./Fo. sagt:

    In diesem Buch beschreibt Herr Ulrich ein Management-Modell u. a. mit ökologischer Umwelt, technologischer, ökonomischer und sozialer Umweltsphäre und zeigt ökonomische und soziale Gestaltungsebenen auf.

  3. Gust./Fo. sagt:

    Als Literatur ist das Buch von dem Wirtschaftswissenschaftler Hans Ulrich aus dem Jahr 1968 dringend zu empfehlen: Die Unternehmung als produktives soziales System.

  4. -an-i- sagt:

    Tja, lieber Herr Dr. Geißler,
    würde die Politik nicht die Probleme schaffen wo es offensichtlich keine gibt und dafür für jeden verständliche Verfassung beschließen, dann wäre allen Menschen geholfen.
    Beispielsweise nach folgendem Muster. Wetten, dass Sie demnach, auf alle von Ihnen zu Recht angeprangerten Missstände, eine gute Antwort und eine Lösung finden!

    Präambel

    Der Zweck menschlichen Lebens ist, zu gedeihen und glücklich zu leben. Aufgabe der Gesellschaft ist, die Bedingungen zu garantieren, die es allen Menschen erlauben, dieses Wohlergehen und Glück zu erreichen. Diese Bedingungen können durch eine Verfassung garantiert werden, die den Gebrauch von initiatorischer Gewalt und von Zwang durch jede Person, Gruppe oder Regierung gegen jedwedes Individuum verbietet.

    Die Verfassung

    Artikel 1:
    Keine Person, keine Gruppe von Personen und keine Regierung darf Gewalt, Androhung von Gewalt, Betrug oder Täuschung gegen die Person und das Eigentum eines Individuum initiieren.

    Artikel 2:
    Gewalt darf moralisch und gesetzlich nur zur Verteidigung gegen diejenigen angewendet werden, die gegen Artikel 1 verstoßen.

    Artikel 3:
    Zu Artikel 1 und 2 gibt es keine Ausnahme.

  5. dr sagt:

    Wie ein solcher Politiker unter Helmut Kohl arbeiten konnte, wird für mich ein Rätsel bleiben.

  6. ulf. sagt:

    Ein echt bemerkenswerter Beitrag für Wirtschaftsführer und Politiker gleichermaßen.

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