Alle Register

Wie Gemeinden mit der Finanznot leben :drei Beispiele
von Christoph Häring
ALDINGEN/ST. BLASIEN/PFAFFENWEILER.
Die gute Konjunktur bringt Geld In die leeren Kassen der Kommunen. Vertreter des Deutschen Städtetags rechnen bei der Gewerbesteuer mit einem Rekordniveau von rund 36 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das wären vier Milliarden Euro mehr als 2005. Für die Kommunen in Baden-Württemberg prognostiziert der Hauptgeschaftsführer des Gemeindetags, Christian Steger, ein Steuerplus von 500 Millionen Euro. Doch wahrscheinlich bleibt von diesem Geld nicht viel übrig, denn laut Steger steigen die Ausgaben in den Kommunen noch immer stärker als die Einnahmen. Am Ende desJahres könnte eine „rote Null“ stehen.

„Außerdem“, sagt Gemeindetagssprecher Harald Burkhart, „sprudelt die Gewerbesteuer nicht in allen Kommunen gleich stark.“ Nach seinen Schätzungen profitieren 670 von dem Steuerplus, während 440 Gemeinden im Land mit sinkenden Einnahmen rechnen müssten. „Bei denen, die mehr Gewerbesteuer bekommen, sind das meist keine nennenswerten Beträge“, so Burkhart. „Sieht man mal von den großen Städten ab, haben nur wenige was davon.“ Daran andere auch der kommunale Finanzausgleich wenig: „Der wirkt – wenn überhaupt – mit zeitlicher Verzögerung.“

Reinhard Lindner (parteilos) ist seit 1978 Bürgermeister von Aldingen (Kreis Tuttlingen), er kommt zu einem ahnlichen Ergebnis wie Burkhart: „Die Gewerbesteuer wird zu hoch gehängt. Sie war vielleicht mal vor 40 Jahren wichtig.“ Bei all den Freibeträgen habe sie viel von ihrer Bedeutung verloren. Unter den 35 Kommunen im Landkreis landet die 7600 Einwohner große Gemeinde auf Platz 21, was die Einnahmen aus Gewerbesteuern angeht. „Das ist nicht so viel“, sagt Lindner. Doch der 59-Jährige bleibt gelassen, er hat wenig Grund zum Jammern: Seit 28Jahren sind in Aldingen keine neuen Schulden aufgenommen worden, seit sieben Jahren ist die Gemeinde schuldenfrei. „Das kam nicht von heute auf morgen“, berichtet Lindner, „sondern muss als Prozess gesehen werden, der in den 70er-Jahren begann und 20 Jahre dauerte.“ Damals stand der Ort mit zwölf Millionen Mark in der Kreide, 2000 Mark pro Kopf, „das war viel für unsere Verhältnisse.“

Der Druck wurde größer, Bürgermeister und Räte mussten etwas tun: entweder neue Schulden machen, oder sparen. Sie entschieden sich für Letzteres: „Alle Freiwilligkeitsleistungen stellten wir hinten an, wir gaben nur so viel Geld aus, wie wir hatten.“ Noch heute gibt es eine Prioritatenliste, die jedes Jahr neu festgesetzt wird. Von dieser Liste schaffen es allem jene Vorhaben in den Gemeindehaushalt, die ohne Kreditaufnahme finanzierbar sind. „Fairerweise muss man sagen“, schlägt Lindner nochmal den Bogen in die Schuldenzeit, „dass uns naturlich auch die EDV-Entwicklung half. Sie gab Möglichkeiten zur Neuorganisation, freigewordene Stellen brauchten nicht mehr besetzt werden.“ Noch etwas ist in Lindners Amtszeit gelungen: Setzte die Verwaltung früher im wesentlichen auf einen großen Arbeitgeber, so sind heute über 30 Unternehmen angesiedelt. Ein guter Mix, wie der Bürgermeister findet. Mittlerweile kann die Kommune auch wieder freiwillige Leistungen zahlen, zum Beispiel unterstützt sie Schulsozialarbeit und Kleinkinderbetreuung, hat Geld für Museen, Hallenbad und Sportstatten.

Johann Meier kann von dieser Entwicklung nur träumen: Der Bürgermeister von St. Blasien kriegt kaum das Geld für die Sozialstation zusammen: „Mir bleiben imjahr 50 000 Euro für Freiwilligkeitsleistungen.“ Aus eigener Kraft kann die 4000-Seelen-Gemeinde im Kreis Waldshut die Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllen. Viel Geld ist in den vergangenen Jahren in die Wasserversorgung und in eine neue Kläranlage geflossen, die Gemeinde musste dafür 6,6 Millionen Euro Schulden machen. Hinzu kommt noch der Kurbetrieb, der mit 1,5 Millionen Euro in den Miesen steckt. „Seit dem Gesundheitsstrukturgesetz sind die Übernachtungen von 500 000 auf 200 000 im Jjahr zurückgegangen“, erklart Meier, der seit 1986 die Geschicke des Ortes lenkt. „Uns hat es hier am Wickel, genauso wie die anderen tourismusabhängigen Gemeinden auch.“

Was das Sparen angeht, so hat der parteilose Bürgermeister mit seinen Räten schon alle Register gezogen: Seit fünf Jahren wurde niemand mehr eingestellt, das Schwimmbad bleibt geschlossen, da das Geld für die Reparatur fehlt, die Stromkosten konnten um 30 Prozent gesenkt werden und die Gemeinde arbeitet mit anderen Kommunen zusammen, zum Beispiel bei Klärschlamm, Marketing und Grundbuchamt. „Wir ringen um jede 1000 Euro, dann kommt die Heizölrechnung mit einem Aufschlag und alle Bemühungen sind umsonst.“ Das sind die Tage, an denen der 57-Jährige ratlos ist. Spricht er über Verwaltungsreform, Kreisumlage und kommunalen Finanzausgleich, hebt sich seine Stimmung kaum. Das Land habe sich einfach freigekauft, die Aufgaben an Landkreise und Gemeinden abgegeben.

Fritz Gutgsell (CDU) hätte gern ein paar dieser Aufgaben, die momentan noch beim Landratsamt liegen. Der 62-Jährige ist seit 24 Jahren Bürgermeister der 2600 Einwohner großen Gemeinde Pfaffenweiler (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald). Zusammen mit neun anderen Kommunen südlich von Freiburg will er einen Verwaltungsverband eingehen, in dem 30 000 Menschen leben: „Dann bekommen wir zum Beispiel die Bereiche Verkehrsordnung und Baurecht dazu. Das stärkt unsere Selbstständigkeit.“ Gutgsell sieht in der Zusammenarbeit Effizienz-Chancen und bekennt: „Die Haushaltslage spielt eine Rolle.“ Die interkommunale Zusammenarbeit soll auf einem breiten Fundament stehen: Angedacht sind zum Beispiel Bauhof, Feuerwehrwesen und Verwaltungsbereiche. Bei Wasser und Abwasser gibt es schon Verbindungen. Die Bürger sollen von den neuen Strukturen möglichst wenig mitbekommen: „Wir wollen die Nähe erhalten. Lediglich intern wird zentralisiert, zum Beispiel bei der Personalsachbearbeitung.“ Sollte die Zusammenarbeit kommen, bleiben die Gemeinden trotzdem rechtlich selbstständig.

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Eine Antwort zu Alle Register

  1. dr sagt:

    Der Brettener Gemeinderat und vor allen Dingen sein Vorsitzender haben sich bei ihren Kolleginnen und Kollegen in Aldingen (Kreis Tuttlingen) schlau zu machen. Dort können sie noch viel lernen. Es wird allerhöchste Zeit. Man muss eben nicht jedem Förderprogramm und jedem Zuschuss hinterherlaufen. Denn man hat ja regelmässig noch nicht einmal den finanziellen Spielraum für Eigenbeteiligungen. Und die Ausrede der Nichtvergleichbarkeit beider Kommunen gilt auch nicht, weil Bretten sich in der Vergangenheit aber auch um alles gerissen hat, was nicht unbedingt Pflichtaufgaben einer Grossen Kreisstadt waren. Eine gehöriges Mass von Grossmannssucht ist hausgemacht. Also sinnvolle Änderungen tun not. Sie sind jedoch nicht unbedingt vergleichbar mit Weinreisen an die Ostsee.

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