Wir wollen doch keine Versuchskaninchen sein

Gutbesuchte Versammlung der Bürgerinitiative
Unterschriften gegen geplanten Müllofen gesammelt
Von unserem Redaktionsmitglied Thilo Kampf
Mit einer solchen Resonanz hatten die Sprecher der Bürgerinitiative gegen die geplante Müllverglühungsanlage im Gölshäuser Industriegebiet nicht gerechnet: Mehr als 80 Bürger waren am Dienstag abend zu einer Informationsveranstaltung in den „Simmelturm“ gekommen – darunter zahlreiche aus den Nachbargemeinden Großvillars und Oberderdingen. Philipp Renner, einer der Bl-Sprecher, stellte kurz die Problematik dar, wobei er hervorhob, daß es für diese „einzigartige Versuchsanlage“ zur Restmüllbeseitigung keinerlei Erfahrungswerte bezüglich der Schadstoffbelastung durch Schwermetalle oder Dioxine gebe.

Nach den Planungsunterlagen würden bereits in der „Versuchsphase“ (Renner) etwa 24 000 Tonnen Restmüll sowie 4 000 Tonnen Klärschlamm verarbeitet. Von dieser Gesamtmenge sollen 7 000 Tonnen in einem Ofen verglüht werden. Die danach übrigbleibenden 5 600 Tonnen sollen dann auf eine Deponie gebracht werden. Renner: „Und was geschieht mit der Differenz von l 400 Tonnen?“ Die Antwort gab der Bl-Sprecher gleich selbst: „Die kommen als Abgase, Abluft oder Schadstoffe trotz Filteranlagen teilweise in die Atmosphäre und werden Bretten und die umliegenden Gemeinden weiträumig belasten.“
Nach Meinung der Bürgerinitiative bestehe die Gefahr, daß Gölshausen zu einem Schwerpunkt der Müllentsorgung für den Kreis Ludwigsburg und längerfristig auch für andere Kreise und Gemeinden werde. Dabei solle Müll „prinzipiell dort verarbeitet und entsorgt werden, wo er entsteht“. Vor allem aber stößt den Bürgern sauer auf, daß „die politisch Verantwortlichen in Bretten bisher keinerlei Problembewußtsein für die wahrscheinlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ einer solchen Anlage entwickelt hätten. Renner: „Im Landkreis Ludwigsburg ist eine solche Anlage nicht durchsetzbar. Warum also bei uns in Gölshausen?“
Um die geplante Müllverglühungsanlage zu verhindern, sollen nun in Bretten sowie den umliegenden Gemeinden Unterschriften gesammelt werden. Laut Renner sind es bislang etwa 318, wozu freilich noch die 320 Unterschriften kommen, die eine Gruppe aus Großvillars-am gestrigen Morgen auf dem Brettener Marktplatz gesammelt hatte. Die Großvillarser waren zum Teil mit Gasmasken und mit Transparenten aufmarschiert, auf denen sie ihrer Befürchtung Ausdruck gaben, daß der „Kraichgau zum Müllgau“ werden könne.
Am kommenden Wochenende, beim Dorffest in Gölshausen, ist ein Informationsstand vorgesehen, bei dem weitere Unterschriften gesammelt werden sollen. Die Unterschriftslisten sollen bei der Gemeinderatssitzung am 30. August in Bretten übergeben werden.
Renner appellierte an die Bürger, weitere Unterschriften zu sammeln und erwähnte in diesem Zusammenhang, daß sich auch einige Oberderdinger Einzelhändler bereit erklärt hätten, diese Listen auszulegen. Die Müllverglühungsanlage müsse verhindert werden, so Renner, da „wir nicht jeden Tag den voraussichtlichen Schadstoff auswurf einatmen wollen“.
Mangelndes Problembewußtsein macht BI-Sprecherin Hildegard Macke nicht nur bei den Kommunalpolitikern aus, sondern auch bei Bürgern aus der Kernstadt oder anderen Stadtteilen. Macke: „Die sagten mir, der Müllofen liegt doch in Gölshausen. Was haben wir damit zu tun?“
Otto Mansdörfer, Stadtrat der Grünen in Bretten und Stadtplaner in Karlsruhe, gab einen kurzen Abriß über die Geschichte des Hausmülls und dessen Entsorgung. Seit dem „Einwegzeitalter“ in den 80er Jahren sei das Müllaufkommen drastisch angestiegen. Das Deponieren dieses unbehandelten (Rest-)Mülls, wie es noch bis in die 70er Jahre betrieben worden sei, sei heute keine Lösung mehr. Zudem bleibe durch die Müllbeseitigung durch private Unternehmen die Müllvermeidung auf der Strecke. Mansdörfer: „Ist doch klar: Die Unternehmen arbeiten gewinnorientiert. Das ist so, wie mit dem Wasser, das preiswerter wird, je mehr man verbraucht.“
Nach Auskunft des Stadtplaners liegen derzeit keine exakten Meßwerte der Emissionen aus einem solchen Glühofen vor. Auch gebe es keine vergleichbare Anlage, sondern nur einzelne Komponenten in verschiedenen anderen Anlagen. Ein Bürger, der sich als Lebensmittelchemiker bezeichnete, forderte aus diesem Grund eine „Stoffbilanz“ der betreffenden Firma. Ein anderer Bürger wollte die Stellungnahme des Brettener Gemeinderates wissen. Mansdörfer: „Das konnten wir vor der Sommerpause noch nicht beraten. Außerdem: Wir sind nur für die baurechtliche Seite zuständig.“ Für den Glühofen sei das Regierungspräsidium verantwortlich.
Ob die Unterschriftenaktion denn Erfolg verspreche, wollte ein Bürger wissen. Bl-Sprecher Philipp Renner: „Wir müssen nur genügend Druck machen. Dann kommt auch nichts nach Gölshausen. Schließlich wollen wir keine Versuchskaninchen sein.“

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4 Antworten zu Wir wollen doch keine Versuchskaninchen sein

  1. -Ull.Kais.- sagt:

    Gewisse Dinge scheinen sich in unmittelbarer geografischer Nachbarschaft gern zu wiederholen.

  2. vikt-murc. sagt:

    Immerhin ist diese Angelegenheit Müllverglühungsanlage vor 14 Jahren entstanden und erfolglos geblieben.

  3. Ros./Ta./ sagt:

    Die Flehinger Bürgerinitiative in Sachen Vollmer hat hier eine richtige Vorlage, um vergleichsweise tätig zu werden.

  4. -fc- sagt:

    „Bl-Sprecher Philipp Renner: „Wir müssen nur genügend Druck machen. Dann kommt auch nichts nach Gölshausen. Schließlich wollen wir keine Versuchskaninchen sein.”

    Eine hervorragende „Betriebsanleitung“ für Flehingen.
    Herr Renner hat bewiesen, dass es in Gölshausen funktioniert hat!
    Noch nachträglich – vielen Dank! .

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