Landesregierung räumt der Polizei mehr Befugnisse ein

Neues Gesetz erlaubt die vorbeugende Erhebung von Telefondaten – Auch die Videoüberwachung wird ausgeweitet
Stuttgart – Das seit langem erwartete neue Polizeigesetz des Landes ist fertig. Es gibt der Polizei eine Vielzahl von neuen Ermittlungsinstrumenten an die Hand, um den Terrorismus zu bekämpfen. Aber es enthält auch Einschnitte in die Bürgerrechte.

Mehr als ein Jahr haben Innenminister Heribert Rech (CDU) und Justizminister Ulrich Goll (FDP) an der Reform des Polizeigesetzes gebastelt. In der kommenden Woche berät das Landeskabinett über den Gesetzentwurf, der unserer Redaktion vorliegt. Vornehmstes Ziel der Neuregelung ist die Bekämpfung des Terrorismus. Innenminister Rech verfolgt den Ansatz, der Polizei mehr Eingriffsbefugnisse im Vorfeld einer möglichen Straftat einzuräumen, um damit einen Terroranschlag rechtzeitig zu verhindern.

Dazu gehört die Telefonüberwachung, die bisher nur im Rahmen des Strafprozessrechts, also zur Aufklärung einer Straftat, möglich war. Künftig darf sich die Polizei dieses Fahndungsmittels auch präventiv bedienen. Allerdings bleibt das, was am Telefon gesprochen wird, weiterhin tabu. Das war ein besonderes Anliegen des Justizministers Goll. Die Gesprächsinhalte unterliegen im Bereich vorbeugender Ermittlungen weiterhin dem Schutz der Privatsphäre.

Das Gesetz räumt der Polizei jedoch den Zugriff auf die Verkehrsdaten ein. Darunter fallen die Telefonnummern und bei Handys auch die Seriennummern (IMEI) der Gesprächspartner, die Länge des Gesprächs einschließlich Datum und Uhrzeit sowie die Funkzelle, über die ein Handytelefonat abgewickelt wird. Über die Funkzelle lässt sich ein Handy und damit dessen Nutzer auch dann orten, wenn gerade nicht telefoniert wird, weil das Gerät in kurzen Abständen Signale an die jeweils zuständige Basisstation des Mobilfunknetzes sendet, um seine Betriebsbereitschaft zu melden.

Für die Polizei haben diese Daten Bedeutung, weil sie damit Einblick erhält in das Personengeflecht, in das ihre Zielperson eingebunden ist. Kriminelle Strukturen seien damit besser zu erkennen, heißt es in der Gesetzesbegründung. Außerdem lassen sich Reisebilder des Überwachten erstellen. Mit einem sogenannten IMSI-Catcher ist es sogar möglich, die Telefonnummer eines Handys zu ermitteln. Allerdings muss die Polizei in diesem Fall wissen, wo sich der Verdächtige aufhält. Mit dem IMSI-Catcher simuliert sie eine Funkzelle, in die sich das Handy automatisch einbucht.

Schließlich erhält die Polizei auch die Befugnis, den Mobilfunkverkehr zu unterbrechen. Damit wird sie in die Lage versetzt, das Zünden einer Bombe per Handy zu verhindern. Der Anschlag auf die Vorortzüge in Madrid im Jahr 2004 war auf diese Weise ins Werk gesetzt worden.

Ein Lagebild der Polizei, das zur Kommunikationsüberwachung führt, könnte so aussehen: Unbekannte passieren wiederholt eine Kaserne und fotografieren. Bei einer Fahrzeugkontrolle können sie ihr Verhalten nicht so recht erklären. Die Abfrage in den Dateien der Sicherheitsbehörden ergibt, dass sie Kontakt zu islamischen Fundamentalisten hatten. Durch die Erhebung von Telefondaten will die Polizei nun das Umfeld dieser Personen weiter ausleuchten.

Zum neuen Polizeirecht gehört auch eine Ausweitung der Videoüberwachung. Anschläge von Terroristen richten sich nach den Erkenntnissen der Polizei vor allem gegen „weiche Ziele“, also Menschen in größerer Ansammlung. Bisher ist die Videoüberwachung an die Bedingung geknüpft, dass Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung vorliegen. Künftig soll der Videoeinsatz bereits bei einer abstrakten Gefährdung möglich sein, also bei allen größeren Veranstaltungen wie etwa Volksfesten, auch die Filmüberwachung des Public Viewing bei Sportereignissen bekommt damit eine sichere gesetzliche Grundlage. Die Speicherfrist beträgt maximal vier Wochen.

Nicht im Gesetz findet sich dagegen das Aufschalten der Polizei auf private Videokameras, etwa an Tankstellen. Die Vorarbeiten des Stuttgarter Innenministeriums für einen „Videoatlas“ wurden nach Protesten der FDP nicht weiterverfolgt.

Mittels des Einsatzes von Geräten, die automatisch die Autokennzeichen erfassen, erhofft sich die Polizei Fahndungserfolge. Die automatischen Kennzeichenlesesysteme (AKLS) sind in einigen Bundesländern bereits im Einsatz, werden aber derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Die Autonummernschilder werden mit der Fahndungsdatei der Polizei verglichen. Wo kein Treffer vorliegt, wird das Kennzeichen sofort automatisch gelöscht.

Die heimliche Durchsuchung von Heimcomputern wurde auf Drängen von Justizminister Ulrich Goll in der Polizeirechtsnovelle nicht berücksichtigt. Der Landesbeauftragte für Datenschutz, Peter Zimmermann, hat bereits Vorbehalte gegen das neue Polizeigesetz formuliert. Die Polizei im Land bewege sich in Richtung einer „anlass- und verdachtslosen Datenerhebung“.

Was Polizeibeamte künftig dürfen:
Die Kabinettsvorlage für das neue Polizeirecht enthält insgesamt 19 Punkte mit wesentlichen Gesetzesänderungen. Nachfolgend die wichtigsten Vorschläge:

Unter anderem unterliegt jedermann künftig einer erweiterten Auskunftspflicht gegenüber der Polizei. Bisher musste der Bürger lediglich seine Personalien angeben. Die Verpflichtung, Angaben zu einem Tatbestand zu machen, bestand nur bei einer Vorladung und zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit. Nun heißt es, eine wirksame Gefahrenabwehr könne es auch erforderlich machen, dass die Polizei Sachinformationen ohne Zeitverzögerung durch eine Vorladung erhält. >Personen dürfen samt der Taschen und Mappen, die sich bei sich haben, zum Zweck der Identitätsfeststellung durchsucht werden. Diese Durchsuchungsbefugnis bezieht sich auf Menschen, die von der Polizei hilflos angetroffen werden.

Mit dem neuen Polizeigesetz wird die Rechtsgrundlage für den Einsatz satellitengestützter Navigationssysteme geschaffen. Damit können Standort und Standzeiten eines Autos mittels eines GPS-Empfängers nachvollzogen werden. Auch das heimliche Anbringen eines Geräts an einem Auto ist durch die Neuregelung gedeckt.

Platzverweise, Aufenthaltsverbote sowie Wohnungsverweise werden auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Das gilt auch für Rückkehr- und Annäherungsverbote in Fällen häuslicher Gewalt. Bisher stützte sich die Polizei auf eine rechtliche Generalklausel. Diese wird nun konkretisiert.

Das neue Polizeirecht enthält auch eine Befugnis, Geld und andere Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen, die für terroristische, extremistische oder andere Straftaten von erheblicher Bedeutung eingesetzt werden sollen. Nach noch geltender Rechtslage sind die Hürden dafür höher.

Außerdem wird in der Polizeirechtsnovelle das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wohnraumüberwachung umgesetzt. Nach Auffassung der Karlsruher Richter darf im Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht gelauscht werden. Demnach ist der Lauschangriff dann unzulässig, wenn ausschließlich Gespräche zwischen Personen erfasst werden, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zueinander stehen. Dazu gehören Ehegatten, engste Familienangehörige, aber auch Ärzte und Geistliche. Allerdings haben die Verfassungsrichter in ihrem jüngsten Urteil zur Onlinedurchsuchung von Computern diesen Schutz wieder etwas relativiert. Ob das neue Urteil im nun anlaufenden Gesetzgebungsverfahren für das Polizeigesetz noch eingearbeitet wird, bleibt abzuwarten.

Auch die Rasterfahndung muss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden. Nach der Karlsruher Rechtsprechung darf eine polizeilich-präventive Rasterfahndung nur dann angeordnet werden, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter besteht. Eine allgemeine Bedrohungslage reicht nicht aus. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA hatten die Bundesländer eine Rasterfahndung gestartet.

In einem interessanten Abschnitt des Gesetzes wird das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdienst weiter aufgeweicht. Ende 2006 trat das Gemeinsame-Daten-Gesetz der Sicherheitsbehörden in Kraft, das die Möglichkeit von zeitlich befristeten Projektdateien bietet. Die Befugnis setzt aber voraus, dass daran auch eine Sicherheitsbehörde des Bundes beteiligt ist. Im dem neuen Polizeigesetz findet sich eine neue Regelung, mit der auf Landesebene die Zusammenarbeit zwischen dem Landeskriminalamt, weiteren Polizeidienststellen des Landes einerseits sowie dem Landesamt für Verfassungsschutz andererseits vertieft wird. Für gemeinsame Projekte dürfen diese Behörden in Zukunft bisher getrennt verwaltete Dateien zusammenführen.

Reiner Ruf, aus der StZ vom 29. Februar 2008

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2 Antworten zu Landesregierung räumt der Polizei mehr Befugnisse ein

  1. -rl- sagt:

    „Der Zweck menschlichen Lebens ist, zu gedeihen und glücklich zu leben. Aufgabe der Gesellschaft ist, die Bedingungen zu garantieren, die es allen Menschen erlauben, dieses Wohlergehen und Glück zu erreichen.“

    Wäre das die Maxime, wären solche Artikel gar nicht möglich.

  2. mm sagt:

    Die genannten Maßnahmen werden mit dem Schutz der Bevölkerung vor Terrorismus begründet. Terror läßt sich aber auch, gemäß den Vordenkern des Liberalismus, als „eine dem Staat zugeschriebene legitime Funktion“ definieren. Für Thomas Hobbes war der „Schrecken gesetzlicher Bestrafung“ (terror of legal punishment) eine notwendige Voraussetzung eines Staatswesens. Also den Terrorismus bekämpfen indem man Terror als staatliches Machtmittel benutzt? Vielleicht haben die Väter des jetzigen Polizeigesetzes auch Anleihen bei Robespierre gemacht, der sagte : „Terror ist nichts anderes als rasche, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Er ist eine Offenbarung der Tugend. Der Terror ist nicht ein besonderes Prinzip der Demokratie, sondern er ergibt sich aus ihren Grundsätzen, welche dem Vaterland als dringendste Sorge am Herzen liegen müssen“ ?
    Die Frage ist also, wieviel ist das versprochene Mehr an Sicherheit jedem wert, was müssen wir dafür aufgeben? (Vermeintliche) Sicherheit gegen Freiheit ?

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