Datenschützer kritisiert „Datensammelwut“ des Staates

07.12.2007 Stuttgart. Eine „Datensammelwut“ des Staates sieht Baden-Württembergs oberster Datenschützer. „Ich sehe die Tendenz des Staates, sich zunehmend in höchst private Lebensbereiche einzumischen“, sagte der Landesbeauftragte Peter Zimmermann am Freitag in Stuttgart, als er den Jahresbericht seiner Behörde vorstellte. Die Furcht vor Terrorismus und die Verheißung einer größtmöglichen Sicherheit diene der Politik als Begründung für immer intensivere Zugriffe auf Daten, mahnte Zimmermann. Belege dafür seien die Vorratsspeicherung von Telefondaten, die Videoüberwachung und die geplante Nutzung von Mautdaten für Fahndungszwecke.

Beunruhigend sei, wenn mit neuen Sicherheitsmaßnahmen „die verfassungsrechtlich gebotene Balance zwischen möglicher Freiheit und notwendiger Sicherheit verloren zu gehen droht“, sagte Zimmermann. Diese Tendenz sei für ihn im Berichtsjahr auf Europa-, Bundes- und Landesebene zu beobachten gewesen. Die Furcht vor Terrorismus und die Verheißung einer größtmöglichen Sicherheit stelle anscheinend für viele Bürger eine attraktive Perspektive dar und diene den Sicherheitspolitikern als Begründung für immer intensivere Dateneingriffe. Aber: „Wer die Freiheit einschränkt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“ Diesem von Benjamin Franklin (1706-1790) stammenden Zitat könne er sich ohne weiteres anschließen.

Zimmermann erwartet Urteil aus Karlsruhe gegen Online-Durchsuchungen
Als Beleg dafür hält er, dass das Bundesverfassungsgericht immer mehr zum „Reparaturbetrieb“ für die Legislative werde. Die Zeitabfolge der von Seiten der Richter vorgenommenen Reparaturarbeiten habe sich in den vergangenen Jahren immer mehr verkürzt. Zu nennen seien hier insbesondere die Entscheidungen zur akustischen Wohnraumüberwachung, zum Zollfahndungsgesetz, zur Rasterfahndung, zur präventiven Telekommunikationsüberwachung und zum Luftsicherheitsgesetz. Ohne Prophet sein zu wollen, sei für ihn absehbar, dass auch noch im Rahmen der anhängigen Prüfung des Landesverfassungsschutzgesetzes von Nordrhein-Westfalen zum Thema Online-Durchsuchungen von Karlsruhe erneut deutliche verfassungsrechtliche Korrekturen vorgenommen würden.

„Ob das bereits in einigen Bundesländern stattfindende elektronische Stochern im Nebel durch die massenhafte Erfassung von Autokennzeichen durch die Polizei am Ende die uneingeschränkte Billigung der Verfassungsrichter finden wird, ist nach meiner Einschätzung ebenfalls fraglich“, führte Zimmermann weiter aus. In der Regel bleibe es – wie die Erfahrungen zeigten – zudem leider nicht bei den zunächst eingebauten hohen Hürden. Wenn die Technik erst einmal da sei, so befürchtet Zimmermann, nehme auch die Begehrlichkeit zu, sie für alle möglichen Zwecke zu nutzen. Nach Aussagen Zimmermanns mache eine Fülle weiterer staatlicher Maßnahmen die Datenerfassung der Bürger immer engmaschiger werden. „Auch hier sehe ich die Tendenz des Staates, sich zunehmend – quasi ins Blaue hinein – in höchst private Lebensbereiche einzumischen“, sagte Zimmermann. Als Belege nannte die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, die Einführung einer Steueridentifikationsnummer, der Kontenabruf oder auch eine breitere Anwendung der Videoüberwachung, die geplante Nutzung der Mautdaten für Fahndungszwecke.

Zimmermann erinnert an Urteil von 1983
Generell, erklärte Zimmermann, müssten sich Gesetzgeber und ausführende Organe bei ihrem Handeln wieder mehr auf die grundsätzlichen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Volkszählungsurteil von 1983 zurückbesinnen. Die Verfassungsrichter hatten erklärt: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden.

„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, fuhren die Richter fort, „wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“

Nachhaltig appellierte Zimmermann an den Landesgesetzgeber, die bürgerlichen Freiheitsrechte bei der angekündigten Novellierung des Polizeigesetzes nicht zu vernachlässigen. Zimmermann: „Das Polizeigesetz wird für mich zur Nagelprobe, ob allgemeine politische Bekenntnisse zum Datenschutz auch ausreichend deutlich Eingang in die Gesetzgebung des Landes finden.“

In der Frage der Online-Durchsuchung von Computern forderte Zimmermann, aufgrund der diffizilen technischen und rechtlichen Fragestellungen, auf jeden Fall die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum nordrhein-westfälischen Landesverfassungsschutzgesetz abzuwarten. Wenn es bei der Ankündigung des Justizministers bleibe, das Thema Online-Durchsuchung im Polizeigesetz zunächst auszuklammern, sei das nur vernünftig.

Die SPD-Fraktion mahnte das Land zur Vernunft. InnenministerHeribert Rech (CDU) müsse sich von seiner Idee verabschieden,Computerfestplatten heimlich auszuspähen, sagte der SPD-Datenschutzexperte Peter Hofelich. Der CDU/FDP-Landesregierung fehleoffenbar „die notwendige Sensibilität im Umgang mit persönlichen undschützenswerten Daten der Bürger“. Die Grünen kritisierten einen„großen Datenhunger“ des Landes und eine „unterdurchschnittliche Personalausstattung der Datenschutzbehörde“.

red

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Eine Antwort zu Datenschützer kritisiert „Datensammelwut“ des Staates

  1. -az- sagt:

    “Wer die Freiheit einschränkt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.”

    Bewegen wir uns möglicherweise in die Richtung der früheren DDR? Das wäre schrecklich!

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