Bretten unter der Lupe, Teil 3

zur Quelle der hier verwendeten Zitate und Fakten, siehe Teil1: Gesellschaften und Teilgesellschaften im Bretten der 60er Jahre
Wer wird in Bretten Gemeinderat — und warum?

„In Bretten geht man aus Idealismus in die Politik.“
„Man wird Politiker, weil man seine Stadt liebt.“
„Die, die sich für den Gemeinderat aufstellen lassen, wollen was für Bretten tun.“ Denn „… Vorteile von der Politik kann man sich keine erwarten, wenn man es ernst mit der Sache meint.“
„So wie die Konjunktur liegt, bekommt man Aufträge auch ohne politische Beziehungen.“


Die jüngeren, progressiven Gemeinderäte wollen „für die Zukunft der Stadt planen“, wollen „… konkrete Vorstellungen über die Entwicklung der Stadt verwirklichen.“ Die älteren, konservativen Gemeinderäte wollen „Traditionen erhalten“, „die Stadt vor unnützen Ausgaben bewahren“, „das Bild der Stadt für zukünftige Generationen retten“.

Diese und ähnliche Erklärungen gaben eine Reihe Brettener Gemeinderäte und Gemeinderatskandidaten, als sie gefragt wurden, was sie dazu bewegt hat in die Kommunalpolitik zu gehen.
Alle meinten sie, daß „… ein Ehrenamt anzunehmen ein Opfer an Zeit und Geld bedeutet“, und daß es „deswegen auch besonders schwer“ sei, „Kandidaten für den Gemeinderat zu finden“.
„Es ist tatsächlich eine wirkliche Not“, klagen die Parteivorstände: „Die, die gut sind wollen nicht“, oder man will sie nicht.
„Die Industrie stellt auch nicht ihre eigenen Leute für den Gemeinderat auf. Kritisieren tun sie immer, aber mitmachen, das wollen sie nicht.“

„Dann gibt es wieder Leute, die Parteigenossen gewesen sind …“
Allerdings schien dieser Grund kein wirkliches Hindernis gewesen zu sein, um als Gemeinderat in Bretten zu kandidieren und die Wahl zu gewinnen. Insofern Mitgliedschaft bei der NSDAP unter den Gemeinderäten festgestellt werden konnte, waren fast die Hälfte der Gemeinderäte zu irgendeinem Zeitpunkt der nationalsozialistischen Periode Parteigenossen gewesen.

Wer wird gewählt?
Gewählt werden diejenigen, die:

1. „…populär sind „. „Wenn man ein berühmter Fußballspieler oder eine Filmschauspielerin wäre, wie die Romy Schneider zum Beispiel, dann würde man in Bretten sofort gewählt werden.“ „Die Leute überlegen nicht, wer gut wäre und wer der Gemeinde nützlich sein könnte. Sie wählen diejenigen … die populär sind.“ „Wenn sich jemand beim Peter-und-PaulsFest hervortut, der wird gewählt.“

2. „Vereinsmitgliedschaft ist entscheidend, um in der Politik vorwärts zu kommen.“ „Die Vereine sind eine gute Sprungschanze für den Gemeinderat …“ „Die Vereine fördern ihre Leute.“ „Die Kandidaten sind Leute, die als Persönlichkeiten gelten, bekannt sind, die bei der Feuerwehr, den Handwerkervereinigungen, den Gesangvereinen sind, möglichst auch noch Vorstände dieser Organisationen sind.“ „Der Turnverein und Gesangverein spielt in Bretten eine große Rolle bei den Wahlen.“ „Mir kommt es zum Beispiel zugute, daß ich Vorstand des DRK-Vereins hier bin … und die Leute … mich durch die DRK-Sitzungen und Schulungen kennen.“

3. „Alte Brettener Namen ziehen…“ „Wenn man ein Alt-Brettener Original oder eine Respektsperson ist, wird man gewählt …“ „Die Zugezogenen haben es schwer … Wenn ein Nicht-Brettener neben einem Einheimischen auf der Liste steht, dann hat der Einheimische den Vorzug.“ Mitglieder bestimmter Alt-Brettener Familien werden oft wiedergewählt. „Es gibt fast Dynastien. Man wählt alte Namen, denn man kennt sie.“

4. „Leute, die große Familien haben, haben eine gute Chance, gewählt zu werden, denn da wählt die ganze Verwandtschaft für ihren Mann.“ „Die Verwandtschaft spielt schon eine Rolle bei den Wahlen …“ „Die meisten Gemeinderäte werden sowieso vor allem von ihren Familienmitgliedern und Sippen gewählt.“

5. Die Wohngegend und Nachbarschaft einzelner Kandidaten spielt in manchen Fällen eine Rolle bei der Wahl. So sagte uns ein Gemeinderat (kein Flüchtling), daß er viele Flüchtlingsstimmen bekomme, weil er in der Siedlung lebe und die Flüchtlinge ihn daher besser kennen.

6. Die Konfession der Kandidaten „… spielt ja und nein eine Rolle“ bei der Wahl. Einerseits gilt sie als „alter Zopf“. Andererseits meint zum Beispiel die FDP, daß durch die Feindschaft der Kirchen gegenüber den Liberalen diese als radikal verschrien sind. Viele der kirchentreuen Brettener würden daher „… lieber SPD und KPD wählen als die FPD“. Auch ist es „allgemein bekannt“, daß „… am Wahlsonntag die alten Weibchen in die Kirche gehen, und wenn sie wieder herauskommen, wissen sie genau, für wen sie wählen müssen. Das ist in der katholischen Kirche genauso wie in der evangelischen.“

7. Wesentlich ist aber vor allem, daß man die Kandidaten kennt. „Und man kennt sie doch alle. Man kennt ihr Privatleben. Man kennt sie ja von klein auf. Es kann einem niemand viel vormachen.“ „… und das spielt bei den Wahlen eine große Rolle.“

Es hat sich also seit den 60er Jahren wenig, oder vielleicht gar nichts geändert?! Man geht doch weiterhin aus Idealismus in die Politik und wird Politiker, weil man seine Stadt liebt? Ob diese „Liebe zur Stadt“ auch die Liebe zur ihren Menschen beinhaltet, daran können Zweifel aufkommen, wenn man sich an die 6000 vergeblichen Unterschriften von Mitbürger/Innen erinnert, die sich für den Erhalt des Rüdtwaldes eingesetzt haben.
Nur als Erinnerung : Die Liste der Gemeinderäte, die trotz dem Votum ihrer Mitbürger für die Abholzung gestimmt haben und sicherlich auch interessant : „Die SPD und der Rüdtwald, Zitate

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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Eine Antwort zu Bretten unter der Lupe, Teil 3

  1. -an-i- sagt:

    Überall dort, wo die Entscheidungen für die Mitmenschen getroffen werden, darf sich nur ein NICHT KORRUPTER, PARTEILOSER ATHEIST mit gesundem Rechtsempfinden bewerben.

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