Zu wenig Bewohner: Heim meldet Insolvenz an

Evangelische Einrichtung in Bretten in roten Zahlen
„Immer mehr Menschen lassen ihre Angehörigen zu Hause pflegen“
Von unserem Redaktionsmitglied Thilo Kampf
Bretten. Mitarbeiter und Bewohner des evangelischen Altenheims Bretten sind erschüttert: Der Trägerverein der Einrichtung hat beim Amtsgericht Karlsruhe den Insolvenzantrag gestellt. „Wir haben seit etwa einem Jahr jeden Monat zwischen 25 000 und 28 000 Euro Verlust gemacht“, sagte Dietrich Becker-Hinrichs, stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins, gestern den BNN. Als die Sorge, dass Gehälter und Rechnungen nicht mehr gezahlt werden könnten, zu groß wurde, zogen die Verantwortlichen des Trägervereins die Notbremse. Seit Beginn dieser Woche führt nun Rechtsanwalt Thomas Kind von der Gesellschaft für Insolvenzverwaltung Schultze & Braun in Achern, die Geschäfte.

Die Gründe für die prekäre finanzielle Lage sind nach Angaben von Heimleiter Thomas Kohwagner vielschichtig: Jahrelang sei seine Einrichtung neben dem katholischen Altenheim und dem „Haus Schönblick“ in Neibsheim der einzige Anbieter gewesen. Doch in den letzten Jahren seien in den umliegenden Gemeinden, zuletzt in Wössingen, moderne Pflegeeinrichtungen entstanden, deren Mitarbeiter zudem kostengünstiger arbeiten könnten. „Die Betreiber sind nicht an die Tarife der diakonischen Einrichtungen gebunden.“ Im Klartext: Die Angehörigen müssen für die Unterbringung bei den privaten Heim-Anbietern mitunter deutlich weniger Geld berappen als bei den kirchlichen Einrichtungen. „Wir können aber nicht günstiger werden“, erklärt Kohwagner, „wenn wir das qualitativ leisten wollen, was uns vorgegeben ist.“

Für Dekanin Gabriele Mannich kommt als Grund für die Misere noch ein weiterer Aspekt hinzu: „Es gibt immer mehr Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen lassen, oft mit Hilfe von Pflegekräften aus Osteuropa. Wir verurteilen das nicht, aber das geht natürlich auch zu Lasten unserer Alten- und Pflegeeinrichtungen.“
Im vergangenen Jahr gab es darüber hinaus mehr Todesfälle als in den Vorjahren, was Thomas Kohwagner auf die Tatsache zurückführt, dass „wir eben sehr viele hochbetagte Bewohner haben“. Derzeit leben 55 ältere Menschen in der Einrichtung Am Brettspiel. Insolvenzverwalter Kind hofft, dass diese Zahl bleibt, bringt doch jeder Bewohner Geld in die Kasse.

Gemeinsam mit dem Fachmann für Insolvenzen informierte Kohwagner in mehreren Gesprächen in den letzten Tagen seine Mitarbeiter. „Da gab es viel Betroffenheit, aber auch Wut. Aber das ist absolut verständlich“. Rechtsanwalt Kind hat nach den Gesprächen „immerhin den Eindruck, dass die Mitarbeiter jetzt nicht den Löffel fallen lassen, sondern zuversichtlich sind.“
Das können sie zumindest für die nächsten drei Monate, in denen die Agentur für Arbeit das so genannte Insolvenzgeld zahlt, keiner also auf sein Geld verzichten muss. Wie es dann weitergeht, könne niemand sagen.

„Wir werden Gespräche mit anderen Betreibern von solchen Heimen und der Hauptgläubigerbank führen, um Möglichkeiten zur Erhaltung zu prüfen“, sagte Kind. Die zahlreichen neuen Einrichtungen in der Umgebung bieten für Heimleiter Kohwagner („Ich bin genauso von dem Ganzen betroffen und meine Frau, die auch hier arbeitet, ebenfalls“) immerhin eine Möglichkeit, seine Leute bei einer Schließung dort unterzubringen. Dass es diese Lösung nicht für alle Mitarbeiter gebe, befürchten indes die Verantwortlichen der Mitarbeitervertretung (MAV). Vorstandsmitglied Carola Frick: „Es gibt bei uns auch Mitarbeiter, die wahrscheinlich nicht mehr vermittelbar sind, weil sie über 60 Jahre als sind oder eine Behinderung haben.“ Die meisten der Kräfte im Altenheim hätten sich „jahrelang zum Teil bis an die Grenze der Erschöpfung für das Haus eingesetzt.“
In einer Resolution, die gestern von fast allen Mitarbeitern unterzeichnet worden ist, wird die Diakonie der badischen Landeskirche aufgefordert, „eine kirchliche Lösung innerhalb der Gemeinschaft“ zu finden.

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3 Antworten zu Zu wenig Bewohner: Heim meldet Insolvenz an

  1. n-Or sagt:

    Die finanzielle und eventuell nötige personelle Reißleine waren frühzeitig zu ziehen.

  2. b.z. sagt:

    … wird die Diakonie der badischen Landeskirche aufgefordert, „eine kirchliche Lösung innerhalb der Gemeinschaft“ zu finden.

    Man zögert nicht ein Jahr mit über 300.000 Euro Verlust hinaus. Das mussten die Heimleitung und die Verantwortlichen des Trägervereins eigentlich wissen.

  3. -rl- sagt:

    Ob die Geschäftsleitung persönlich haften muss . . .?
    Ich glaube nicht, sonst wäre es sicherlich nicht so weit gekommen. Die Wettbewerber machen es ja vor, wie es geht.
    Bei der Ursachenforschung kann der „Leserbrief : Klagen nie ernst genommen“ (BNN v. 23.11.07) sicherlich behilflich sein.

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