Leserbrief : Was wäre geschehen, wenn …

Zu „Zwei Männer schlagen Behinderten brutal zusammen“ vom 18. Oktober:
Sie berichten über einen schlimmen Fall von unterlassener Hilfeleistung in einer Karlsruher Straßenbahn, von einem Rechtsanwalt mit den Worten „eigentlich müsste die Allgemeinheit auf der Anklagebank sitzen“, kommentiert.
So weit, so schlecht. Überlegen wir deshalb: Was wäre geschehen, wenn …? Wenn in der Bahn ein mutiger Mitbürger gewesen wäre, nennen wir ihn Frank Aufrecht, mittleres Alter, mittlere Statur, Beruf Diplom-Ingenieur, der beschlossen hätte, dem Treiben der zwei Schlägertypen ein Ende zu setzen.
Während er auf sie zugeht, überlegt er blitzschnell „was kann ich tun“? Sie mit den Worten: „aber meine Herren, sie verstehen doch …“ anreden geht nicht, da liege ich noch vor Ende meines Satzes mit drei eingetretenen Rippen am Boden. Ich habe nur eine Chance: den ersten mit einem gezielten Schlag k.o. hauen, der andere wird sich, feige wie er ist, in die äußerste Ecke seines Sitzes zurückziehen und nur noch „he he he“ sagen.

Gedacht, getan. Der erste Schläger geht k.o, der zweite sagt „he he he“ und verschwindet in seiner Ecke, ein paar Mitreisende äußern „was soll denn das“. Die Bahn kommt an der Endhaltestelle an, die alarmierte Polizei beginnt mit Vernehmungen, der K.o.-Gegangene, bis auf sein blaues Auge schon wieder ganz kregel, verlangt lautstark nach Rache und einem Arzt, sein Kumpan sagt aus, sie hätten mit ihrem Sitznachbarn ein lustiges Gespräch geführt, bis unvermittelt dieser selbst ernannte Sheriff seinen Kumpel brutal zusammengeschlagen habe, der Belästigte möchte sich nicht einer nachträglichen Tracht Prügel aussetzen und gibt an, die beiden hätten zwar recht grobe Scherze getrieben, aber richtig bedroht gefühlt habe er sich nicht, die Mitreisenden haben nichts gesehen und nichts gehört.

Vor Gericht legt der Staatsanwalt dar, der Angeklagte habe selbst bei einer (nicht bewiesenen) Gefahr für einen Dritten die Pflicht zur Verhältnismäßigkeit der Mittel gehabt, körperliche Gewalt hätte er allenfalls anwenden dürfen, wenn er zuvor selbst niedergeschlagen worden wäre, und auch dann nur „in verhältnismäßiger Stärke“, im Übrigen sei die Verfolgung und Verurteilung mutmaßlicher Straftäter Sache der deutschen Rechtsprechung, vor Selbstjustiz müsse die Allgemeinheit bewahrt werden, wo kämen wir denn da hin.

Das Urteil: Sechs Monate Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung, angesichts bisheriger Unbescholtenheit zur Bewährung ausgesetzt, dazu 25 Tagessätze zu so-und-soviel Euro, die Kosten trägt der Beklagte. Im nachgelagerten Zivilprozess erstreitet der Schlägertyp ein paar tausend Euro Schmerzensgeld und die Arztkosten, Herrn Aufrechts Haftpflichtversicherung verweigert deren Übernahme, weil der Versicherte die Gefahr grob fahrlässig selbst herbeigeführt habe. Gesamtkosten für Herrn Aufrecht: etwa 25 000 Euro, dafür hätte er mit Familie locker einen vierwöchigen Luxusurlaub in Brasilien machen können, dazu ein Eintrag im Strafregister.

Und jetzt warte ich auf all die empörten Entgegnungen von Richtern, Staats- und anderen Anwälten, Parteivorsitzenden, und überhaupt von alle Gut- und Klug-Menschen aus der Region, die den Nachweis führen, dass dieses Szenario falsch ist.

Dr. Günter Koch
Am Berg 30
Karlsruhe

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