Ausflug in die Geschichte: die Stadt Memel, der Memelstrom und das Ännchen von Tharau

bak_logovon Helmut Katzmann
Die Stadt Memel: Hier werden sich einige oder gar viele fragen, wo liegt diese Stadt oder lag sie?
Sie war die nördlichste Stadt Ostpreußens, lag an der kurischen Nehrung und nahe dem 56. Breitengrad. Außerdem war sie die älteste Stadt Ostpreußens (mit lübischem Stadtrecht), denn als sie 1252 von livländischen Bürgern gegründet wurde, war beispielsweise Königsberg noch nicht gestanden. Heute liegt Memel auf litauischem Staatsgebiet und wird Klaipeda genannt.
Im 13. Jahrhundert missionierten und eroberten die livländischen Schwertbrüder vom Norden und der deutsche Orden vom Süden im Auftrag vom Papst die baltischen Gebiete entlang der Ostseeküste. 1422 wurde durch den Frieden am Melnosee die Grenze Preußens im Nordosten festgelegt; sie verlief drei Meilen hinter Memel. So bestand sie bis 1919; sie war eine der ältesten unter den Landgrenzen in Europa.

Diese nahe politische Grenze, hinter der das große russische Reich lag, wirkte wie eine Scheidewand, nur dass der Memelstrom bis zum Ersten Weltkrieg die großen Holzflöße brachte, und so konnte Memel sich trotz seines ausgezeichneten Naturhafens nicht zu einer großen Handels- und Hafenstadt entwickeln. Memel stand sieben Jahrhunderte hindurch auf Vorposten, ein treuer Wächter.

18 km nördlich von Memel lag an der Ostsee das nördlichste Dorf Deutschlands, „Nimmersatt“. Der Grenzstein trennte nicht nur das deutsche und das russische Reich – ein Schritt über die Grenze war zugleich der in eine andere Welt.

Der Memelstrom:
Er entspringt in Russland, südlich von Minsk, ist rund 940 km lang und mündet in das kurische Haff in Ostpreußen. Er wird in Litauen Nemunas, in Rußland Nieman und in Polen Niemen genannt. Die Memel wurde oft besungen. So dichtete August Heinrich Hoffmann von Fallersleben am 26. August 1841 auf Helgoland das Deutschlandlied, in dessen zweiter Strophe er schrieb: „von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt“. Damals hatte der Text seine Berechtigung.
Nach einigen Meinungsverschiedenheiten hat der damalige Präsident Friedrich Ebert (SPD) im August 1922 dieses Lied zur deutschen Nationalhymne erklärt.

Ännchen von Tharau:
Wer kennt nicht das alte, deutsche Volkslied „Ännchen von Tharau“?
Es wird in vielen Ländern gesungen und von einigen Türmen erklingt es als Glockenspiel (in München heute immer noch), zumindest die Anfangsmelodie. Simon Dach aus Memel hatte das Gedicht geschrieben und widmete das Lied seinem Freund Johannes Partatius. Vertont wurde es zum ersten Mal von Heinrich Albert; geschrieben wurde es zunächst im samländischen Platt.

Wer war Ännchen? Sie wurde im Jahr 1619 unter dem Namen Anna Neander geboren. Im Jahr ihrer Geburt starb ihre Mutter. Mit 11 Jahren verlor sie ihren Vater, der in Tharau als Pfarrer tätig war. Es war ein kleiner Ort, etwa 15km südlich von Königsberg. Die Vormundschaft für die Vollwaise hat ihr Patenonkel, Caspar Stolzenberg, ein wohlhabender Brauer aus Königsberg übernommen. Er führte in Königsberg ein offenes Haus für Künstler, Studenten und Dichter. Hier lernte Simon Dach auch das Ännchen und den Theologiestudenten Johannes Partatius kenne. 1636 verfasste Simon Dach (29.07.1605 – 15.04.1659) das Gedicht vom Ännchen von Tharau.

Das Lied war zunächst im samländischen Niederdeutsch geschrieben. Der Ostpreuße Johann Gottfried v. Herder hat das Lied dann ins Hochdeutsche übersetzt. Herder sagte aber, dass bei der Übersetzung aus dem warmherzigen Volkdialekt ins Hochdeutsche er viel Herzblut verloren habe.
Heute steht auf dem ehemaligen Sahne- und Blumenmarkt im litauischen Klaipėda (früher: Memel) der Simon-Dach-Brunnen, der oben auf dem Sockel stehend das Ännchen darstellt.

1945 wurde dieses Denkmal entfernt oder zerstört. Am 15. November 1989 wurde es vor dem Theater in Memel durch deutsche Spenden wieder erstellt und auch eingeweiht.

Hier der Text des „Ännchens“ in Hochdeutsch:
Ännchen von Tharau ist’s, die mir gefällt,
Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.

Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
Auf mich gerichtet in Lieb‘ und in Schmerz.

Ännchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!

Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnt, beieinander zu stahn.

Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.

Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
hat ihn erst Regen und Sturmwind gebeugt,

So wird die Lieb’ in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden und traurigem Los.

Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest da, wo man die Sonne kaum kennt;

Ich will dir folgen durch Wälder und Meer,
Eisen und Kerker und feindliches Heer.

Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
Mein Leben schließ’ ich um deines herum.

Was ich gebiete, wird von dir getan,
Was ich verbiete, das lässt du mir stahn.

Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand?

Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und Katzen begeht.

Ännchen von Tharau, das wolln wir nicht tun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.

Was ich begehre, begehrest du auch,
Ich lass den Rock dir, du lässt mir den Brauch.

Dies ist dem Ännchen die süßeste Ruh’,
Ein Leib und Seele wird aus Ich und Du.

Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Die ursprüngliche Version in samländisch-niederdeutsch finden Sie hier

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