foodwatch fordert Generalüberholung des Lebensmittelrechts – Analyse „Rechtlos im Supermarkt“ belegt: Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahren und Täuschung ist nicht gewährleistet

http://www.foodwatch.de/Berlin, 6. August 2014.
Die Verbraucherorganisation foodwatch fordert eine Generalüberholung des deutschen und europäischen Lebensmittelrechts. Darin gelten zwar der präventive Schutz vor Täuschung und der vorsorgende Gesundheitsschutz als die zentralen Grundsätze – diese werden jedoch in der Rechtsetzung und der gesetzlichen Praxis nur mangelhaft umgesetzt. Das ist das Ergebnis einer ausführlichen Analyse der nationalen und EU-Lebensmittelgesetzgebung, die foodwatch unter dem Titel „Rechtlos im Supermarkt“ heute in Berlin vorgestellt hat.

Abstrakt existiert ein hohes Niveau beim präventiven Schutz vor betrügerischen oder gesundheitsschädlichen Praktiken – tatsächlich klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Lebensmittelrechts eine riesige Lücke„, erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. „Ein Skandal wird meistens erst dann publik, wenn die Produkte – Dioxin-Eier oder Pferdefleisch-Lasagne – schon verzehrt sind. Vor allem dem Einfluss der Lebensmittel- und Agrarlobby ist es geschuldet, dass der Präventionsgedanke des nach der BSE Katastrophe neu konzipierten Lebensmittelrechts in der gesetzlichen Praxis unterlaufen wurde. Die zahllosen Einzelgesetze begünstigen Gesundheitsgefährdung und Irreführung der Verbraucher, anstatt sie davor zu schützen.

Beispiele für mangelnden Gesundheitsschutz aufgrund gesetzgeberischer Versäumnisse:

Regelmäßig kommt es zu Dioxinbelastungen in Futtermitteln. Die Testpflichten sind so löchrig, dass ein Gifteintrag kaum verhindert werden kann. Zudem führt die Selbstanzeige eines Futtermittel-herstellers automatisch zu Straffreiheit, selbst wenn die dioxinbelastete Ware bereits verkauft ist. Dadurch besteht nicht nur keine Abschreckung, sondern sogar ein Anreiz zum Futtermittelpanschen.

Unklare Nährwerte, irreführende gesundheitsbezogene Aussagen, die Verwendung bedenklicher Zusatzstoffe oder der exzessive Einsatz von Antibiotika in der Tiermast mit negativen Folgen für die menschliche Gesundheit: Möglich ist all dies nur, weil es die gesetzlichen Vorgaben erlauben.

Verstöße gegen Hygienevorgaben oder Grenzwertüberschreitungen, z. B. bei Pestiziden in Obst und Gemüse, sind an der Tagesordnung, können aber nicht effektiv verhindert werden, solange die Ergebnisse der Lebensmittelkontrollen nicht veröffentlicht werden.

Aufgrund unzureichender Auskunftsrechte erhalten Verbraucher behördliche und betriebliche Informationen oft gar nicht oder nicht zeitnah genug, um risikobehaftete Lebensmittel zu meiden.

Auch gegen das Verbot von Täuschung wird regelmäßig und systematisch verstoßen, weil gesetzliche Lücken eine wirksame Prävention verhindern:

Betrugsfälle wie der Pferdefleisch-Skandal sind nur möglich, weil der Einzelhandel wegen fehlender Prüfpflichten für betrügerische Inhalte seiner Eigenmarken nicht haftbar gemacht werden kann.

Das gesetzliche Regelwerk legalisiert irreführende Etikettierungs- und Werbepraktiken, weil z.B. Herkunftsangaben oder der Einsatz von Gentechnik nicht vorgeschrieben oder normative Regelungen selbst irreführend sind (Himbeertee ohne Himbeeren, Geflügelwurst mit Schweinefleisch etc.).

foodwatch fordert, die Lebensmittelgesetze in Gänze auf den Prüfstand zu stellen. „Alle Gesetze müssen sich daran messen lassen, ob sie den Prinzipien des vorsorgenden Gesundheitsschutzes und des präventiven Schutzes vor Täuschung dienen“, so Geschäftsführer Thilo Bode.

Der Ruf nach härteren Strafen und besseren Kontrollen sei zwar populär, erfülle aber selbst den Tatbestand der Verbrauchertäuschung, so Bode. Vielmehr müssten folgende Grundbedingungen für eine erfolgreiche Überholung des Lebensmittelrechts erfüllt sein:

Die konsequente Umsetzung des „Vorsorgeprinzips“ und des Präventionsgedankens;

Der Aufbau eines effektiven Rückverfolgbarkeitssystems über die gesamte Lieferkette;

Umfassende und effektive Informationspflichten für Behörden und Unternehmen;

die Einführung eines Unternehmensstrafrechts;

ein Normenkontroll-Verbandsklagerecht für Verbraucherverbände auf nationaler und EU-Ebene.

Die Analyse „Rechtlos im Supermarkt“ gibt es hier zum Download

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Eine Antwort zu foodwatch fordert Generalüberholung des Lebensmittelrechts – Analyse „Rechtlos im Supermarkt“ belegt: Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefahren und Täuschung ist nicht gewährleistet

  1. R.Gm. sagt:

    Grundsätzliches zu foodwatch und Verbraucherschutz des Staates

    Der neuerdings beim Bundesjustizministerium angesiedelte Verbraucherschutz hat sich zu einem in der Politik äußerst beliebten und wachsenden Betätigungsfeld entwickelt. Die Legitimität des Verbraucherschutzes gründet sich folgendermaßen:

    Neben den individuellen Grundrechten enthält das Grundgesetz auch Staatszielbestimmungen, wie zum Beispiel das Sozialstaatsprinzip. Sie ermöglichen den lenkenden und gestaltenden Staat.

    Daraus können sich insbesondere Schutzpflichten des Staates zugunsten von Menschen ergeben, die im wirtschaftlichen Leben als die „Schwächeren“ gelten. Der Verbraucherschutz unterstellt generell eine derartige Unterlegenheit der Verbraucher gegenüber den Produzenten und Vertreibern von Waren und Dienstleistungen. Damit handelt es sich beim Verbraucherschutz im Grundsatz um eine notwendige und legitime Staatsaufgabe. Dadurch ist bei deren Wahrnehmung der Verbraucherschutz gegen das Grundrecht der Berufs- und Gewerbefreiheit sowie die Eigentumsgarantie abzuwägen.

    Eines „allmächtigen“ Staates bedarf es zur Legitimation des Verbraucherschutzes also gar nicht. Nur um den Verbraucherschutz aktiv kümmern muss sich der Staat schon! 🙂

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