Zementwerk Wössingen erhält Genehmigung für Verbrennung von 100% Abfall: BUND kritisiert vermeidbare Schadstoffbelastung für Mensch, Natur und Umwelt

BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein

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Karlsruhe/Walzbachtal. Scharfe Kritik an der inzwischen erteilten Genehmigung des Einsatzes von 100% Abfall für die Feuerung im Zementwerk Wössingen äußert der Regionalverband Mittlerer Oberrhein des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Mehr Schadstoffe in der Luft, im Wasser und im Boden aber auch mehr Profit, das sind die Folgen der Umstellung der Lafarge Zement Wössingen auf eine reine Müllverbrennung“, so Harry Block, Mitglied des Vorstands des BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein. „Die einzige für Mensch und Umwelt vertretbare Alternative, der Einsatz von Gas als Brennstoff, wurde vom Betreiber aus Kostengründen verworfen“, kritisiert Block die Unternehmenspolitik der Lafarge Zement Wössingen GmbH. „Hier wird zukünftig eine Industrieanlage als Müllverbrennungsanlage missbraucht. Und das Zementwerk Wössingen verfügt eben nicht über die hochwirksamen Filtersysteme einer gezielt als Müllverbrennungsanlage (MVA) ausgelegten Einrichtung – wie beispielsweise der MVA in Mannheim, die zur Verbrennung des in Karlsruhe gesammelt Restmülls eingesetzt wird.“

Der BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein erkennt an, dass in der durch das Regierungspräsidium Karlsruhe erteilten Genehmigung der Spielraum zur Begrenzung der zulässigen Emissionen ausgenutzt wurde. „Die Genehmigung des Regierungspräsidiums geht an die Grenze dessen, was gesetzlich zum Schutz der Menschen und Umwelt möglich ist“, so Block. „Die Einwendungen des BUND und zahlreicher Bürgerinnen und Bürger haben so zumindest zu einer deutlichen Verringerung des Schadstoffausstoßes gegenüber dem ursprünglichen Antrag geführt.“
„Das Grundproblem bleibt jedoch: Industrieanlagen werden als Müllverbrennungsanlagen missbraucht. Hier wäre die Politik gefordert – und schweigt“, bemängelt Block. Das Fazit des BUND Mittlerer Oberrhein: Die Genehmigungsbehörde hat sich große Mühe gegeben, den Einwendungen in der Genehmigung Rechnung zu tragen. Der grundsätzlichen Einwendung gegen die 100%ige Nutzung von Abfall zur Energiebereitstellung in einem Zementwerk konnten die Beamten des Regierungspräsidiums, die sich an alle von der Politik vorgegebenen Verordnungen und Gesetze halten müssen, nicht erfüllen. Ziel des BUND ist es, zum Schutz von Mensch und Umwelt auf eine Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen hinzuwirken.

Hintergrund-Informationen
Es bleiben trotz Zertifizierung erhebliche Zweifel an der Zusammensetzung und der Kontrolle des so genannten „Fluff“, der mit 80 % bis 85 % den größten Anteil an dem verharmlosend als ‚Sekun-därbrennstoffe‘ bezeichneten Abfall im Zementwerk Wössingen einnimmt. Dieser „Fluff“ sieht aus wie der Inhalt eines Staubsaugerbeutels (graue Flocken). Fluff, wie die Flocken im Fachjargon als Abkürzung für „Flugfähige Fraktionen“ heißen, ist ein Produkt aus Gewerbeabfall. Bei dessen Einsatz reicht es aus Sicht des Umweltbundesamtes nicht aus, dass sich die Emissionssituation des Zementwerkes durch Behandlung von Abfällen in der Anlage nicht verändert. Vielmehr ist aus Gründen des vorsorgenden Umweltschutzes eine Minimierung der Emissionen anzustreben.

Es handelt sich beim Zementwerk in Wössingen um keine „Verbesserungsgenehmigung“. Eine solche zielt darauf ab, bestehenden Anlagen in Belastungsgebieten (Gebiete, in denen Immissionsrichtwerte überschritten sind) eine Genehmigung bei wesentlicher Änderung nicht zu versagen, wenn eine deutliche Verbesserung der Umweltsituation eintritt. Dies ist bei dieser Anlage nach dieser Genehmigung für die 100%ige Verbrennung von Müll nicht der Fall – im Gegenteil, die Emissionen und damit auch die Immissionen erhöhen sich in dieser als Zementwerk getarnten Müllverbrennungsanlage. Die Verbrennung von undefiniertem Müll widerspricht gemäß Bewertung durch den BUND nicht nur dem Recyclinggebot des Abfallwirtschaftsgesetzes sondern auch der RICHTLINIE 2008/98/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES: „§ 14 Förderung des Recyclings und der sonstigen stofflichen Verwertung, (1) Zum Zweck des ordnungsgemäßen, schadlosen und hochwertigen Recyclings sind Papier-, Metall-, Kunststoff- und Glasabfälle spätestens ab dem 1. Januar 2015 getrennt zu sammeln, soweit dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist.“

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz geht von dem Heizwert 11000 kj/kg eines Abfalls ohne Vermischung aus. Fluff ist aber ein undefinierbares Gemisch aus Papier, Kunststoff etc., der vorher eben wie beispielsweise in der Sortieranlage in Karlsruhe getrennt hätte werden müssen. Damit wird nach Ansicht des BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung von Abfällen umgangen und das Gebot der Verwertung vor Verbrennung verletzt.

In der Genehmigung heißt es: „Für das Vorhaben zur Erhöhung der Einsatz gerade von Sekun-därbrennstoffen konnte im Rahmen des Genehmigungsverfahrens der Nachweis geführt werden, dass die zu erwartenden Emissionen aus dem Abgaskamin des Drehrohrofens zu keinen schädlichen Emissionen in der Umgebung des Zementwerks führen werden.“ Diese Aussage hält der BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein für irreführend. Natürlich kommt es zu einer Erhöhung aller Schadstoffe. Sie erreichen aber in der Regel nur nicht die vom Gesetzgeber viel zu hoch angelegten Grenzwerte. Den Beamten eines Regierungspräsidiums sind – und das wird in der Genehmigung von uns nachvollziehbar auch zum Ausdruck gebracht – oft die Hände gebunden. Wir haben der Genehmigung entnommen, dass bei Stickoxiden 200 mg/Kubikmeter bis 2017 eingehalten werden müssen. Das ist zwei Jahre früher als es die Gesetzeslage zwingend erfordert und dennoch angesichts des Stickoxidwerte im Hochbelastungsraum Karlsruhe immer noch viel zu hoch. Bei einer Befeuerung mit Gas würden dagegen Stickoxidemissionen vermieden.
Die größte Überraschung für den BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein ist aber, dass im Schwebstaub (meist lungengängiger Feinststaub) die Metalle Nickel (3,3%-Stoff, der u.a. für ein erhöhtes Risiko, an Lungen-, Nasen-, Kehlkopf- und Prostatakrebs zu erkranken, bekannt ist) und Vanadium (3,3%-Stoff, der u.a. auch Erbschäden hervorrufen kann) die so genannte Irrelevanzgrenze, die sowieso wiederum viel zu hoch angesetzt wird, überschritten werden. Noch drastischer ist dies für Dioxine und Furane (Stoffe die schon in geringen Mengen als krebserregend gelten und hochgiftig sind), die ebenfalls diese Grenze um 7 % überschreiten. Nur mit vielen Rechnereien und mit der rechtlich wirksamen Aussage, dass die durchgeführten Belastungsmessungen der Vorbelastung der Umgebung mit diesen Stoffen diese Überschreitung rechtlich erlauben, wird diesem eigentlich unhaltbarem Tatbestand Rechnung getragen und im Falle Quecksilber, der zusätzlich 13 % der jährlichen Fracht in das Gebiet Dürrenbüchig einträgt, als vereinbar mit der Bodenschutzverordnung abgeschmettert. Und was ist mit den Menschen? Schon kleinste Mengen Quecksilber, die über einen längeren Zeitraum aufgenommen werden, können das zentrale Nervensystem schädigen. Besonders anfällig sind dabei Kinder.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit seinem Urteil vom 20.7.2011 festgestellt: „Die Irrelevanzgrenze der TA Luft von 3 % für gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe ist grund-sätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar. Bei Kumulation von Anlagen oder atypischen Situationen ist ggf. eine Gesamtbetrachtung erforderlich. In einer Umweltzone ist jedenfalls eine Irrelevanzgrenze von 1 % rechtlich unbedenklich“.

In dieser Genehmigung werden aber höhere Werte akzeptiert, weil aktuelle Belastungsmessungen vor Ort die Zunahme gesetzlich relativieren und damit für die Genehmigungsbehörde keine Möglichkeit einer Nichtgenehmigung bestand. Der Genehmigungsbehörde ist es gelungen, den Grenzwert von Quecksilber auf den niedrigsten Wert der deutschen Zementindustrie festzulegen, wobei die Einwilligung des Antragstellers als Voraussetzung anzusehen ist. Die vom BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein vorgeschlagene ständige Eindüsung von Aktivkohle – die Anwohner hatten dies ebenso gefordert – zur Senkung der Quecksilberwerte wird von der Genehmigungsbehörde wie folgt abgelehnt:
„Bei einer Ofenmehlaufgabe von ca.980.000 Tonnen – als Beispiel im Jahr 2012 – entspricht dies einer Filterstaubmenge von ca. 49.000 Tonnen, die ausgeschleust werden müsste. Da die Zement-mahlung saisonabhängig ist und unabhängig zum Ofenbetrieb betrieben wird, kommt es insbeson-dere in den Wintermonaten zur Überproduktion an Filterstaub. Die Staubmenge, die in der Zementmahlung eingesetzt werden kann, ist auch von der Zementsorte abhängig.

Im Jahr 2012 wurden lediglich ca. 3070 Tonnen Filterstaub in die Zementmahlung geführt. Eine kontinuierliche Ausschleusung bedeutet daher den Bau eines großen Silos mit ca. 6.000 Tonnen Kapazität. Die Überkapazität muss fachgerecht entsorgt werden. Die Entsorgungskosten liegen bei ca. 80 EUR pro Tonne und somit insgesamt bei ca. 3,7 Millionen EUR/Jahr. Neben den hohen Entsorgungskosten wären auch zusätzlich ca. 3.600 LKW Bewegungen pro Jahr erforderlich.
Wird der Filterstaub nicht ausgeschleust, reichert sich der Staub sowohl mit Quecksilber als auch mit Aktivkohle weiter an. Beide haben einen signifikanten Einfluss auf die Produktqualität des Zementes.
Daneben erfordert die kontinuierliche Eindüsung die Vorhaltung von mehreren Tonnen Aktivkohle auf dem Gelände, was zusätzliche Brand- und Explosionsschutzmaßnahmen erforderlich macht. Lafarge sieht daher die Forderung nach einer kontinuierlichen Eindüsung von Aktivkohle in das Ofenabgas oder einer Herabsetzung des Grenzwertes auf 0,020 mg/Nm3 als unverhältnismäßig an und lehnt eine weitere Verschärfung ab.
Der Forderung von Einwendern, einen Emissionsgrenzwert für Quecksilber von 0,020 mg/m3 zu verfügen, konnte nicht entsprochen werden. Mit der Festlegung eines Zielwerts von 0,025 mg/m3 ist nach Ansicht des Regierungspräsidiums das derzeit technisch und rechtlich Mögliche in Bezug auf die Quecksilberminderung im Ofenabgas des Zementwerks erreicht.“
Das Fazit des BUND Regionalverband Mittlerer: Auch hier gibt es nur eine angemessene Al-ternative: Gasfeuerung.

Der Gesetzgeber lässt aber, und die grün-rote Landesregierung hat dem noch nicht widersprochen, den Einsatz von Müll in Großfeuerungsanlagen zu; nach Auffassung des BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein auch in dazu nicht geeigneten Verbrennungsöfen und dies zum Schaden der Menschen in der Umgebung der Anlage.
Es sind den Einwendern also rechtlich alle Hände gebunden, obwohl es eine ökologisch bessere Alternative in diesem Falle geben würde. Das bedauern wir sehr. Nicht nur die Betreiber des Zementwerkes müssen sich die Frage gefallen lassen, ob aus Profitgründen die körperliche Unversehrtheit von Flora, Fauna und Menschen wissentlich in Kauf genommen wird.
Der BUND Regionalverband Mittlerer Oberrhein bleibt bei seiner durch die Vorgaben der EU bekräftigte Forderung nach Umstellung der Feuerung im Zementwerk Wössingen auf Gas für die gesamte Anlage. Bei der Verbrennung von Gas entstehen keinerlei schädliche Stäube, eine Anbindung ans Gasnetz ist durch eine benachbarte Pipeline problemlos herstellbar. Gas stellt aus ökologischen Gründen die einzig hinnehmbare Verbrennungsalternative dar.

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