Bretten unter der Lupe, Teil 4

bak_logoZum Abschluss unserer Retrospektive „Bretten unter der Lupe“, basierend auf dem Buch der Soziologin Dr. Benita Luckmann, mit dem Titel “Politik in einer deutschen Kleinstadt”, möchten wir Ihnen heute das Kapitel „Politischer Entscheidungsprozeß bei der Durchführung eines Kommunalprojekts“ vorstellen.
Wie also hat man sich einen solchen Entscheidungsprozeß der Brettener Stadtverwaltung und des Gemeinderates vorzustellen? Als Beispiel analysierte Dr. Luckmann, wie es zur Entscheidung zum Bau des Brettener Gaswerks kam.

Obwohl dieser „Entscheidungsprozeß“ beinahe 60 Jahre zurückliegt, sind doch Verhaltens- und Argumentations-Muster zu erkennen, die sich bis heute nahezu unverändert erhalten haben. Zuerst pocht man auf unbedingte Unabhängigkeit:

Denn den Brettenern ist eine Abhängigkeit von den größerne Nachbarstädten Karlsruhe oder Pforzheim „ein unbehaglicher Gedanke„.
Man weiß doch, warum die einem das Gas liefern wollen.“
Bretten würde dabei „vollkommen von Karlsruhe abhängig gemacht werden.“
Pforzheim wiederum „will ein Geschäft machen„.

Aus der Presse:
24.7.1954: Bretten an Gas-Fernversorgung desinteressiert
18.8.1954: Gaswerkneubau für Bretten

Aber je länger man über ein eigenes Gaswerk debattiert, desto größer werden auch die Ängste vor einer Fehlentscheidung:

Man hat bei all den Sitzungen soviel von Atomenergie gehört„,
davon, dass die Zukunft die Ferngasversorgung ist„,
dass man sich „seiner Sache gar nicht mehr so sicher ist„,
und „Angst hat, einen Fehlentschluß zu machen„.
„Vielleicht wird einem dann in zehn Jahren der Vorwurf gemacht, dass man kurzsichtig war…“

Als Karlsruhe ein günstiges Angebot unterbreitet, ist man dann doch fast erleichtert, die Verantwortung für einen Neubau nicht tragen zu müssen.

Es hat ja damals ein jeder das Eigenwerk vorgezogen, aber das Karlsruher Angebot war so günstig und wir hatten große Schwierigkeiten, Kredite fü den Bau zu bekommen„.
Und dann „war man damals auf Grund der verschiedenen Gutachten und Vorschläge gar nicht mehr sicher, ob nicht Ferngas doch die bessere Lösung sei. Und als das Karlsruher Angebot kam, da konnte man gar nicht nein sagen, auch wenn man es wollte.

Das Angebot aus Karlsruhe beendet kurzfristig die bis dahin schon chaotisch ablaufende Entscheidungsfindung im Brettener Gemeinderat.
Doch auch ein Jahr später gab es immer noch keinen Gaslieferungsvertrag mit Karlsruhe. Schließlich, Anfang des Jahres 1954, werden die Verhandlungen abgebrochen und der Gemeinderat tritt wieder in die Phase der „Entscheidungsfindung“ ein.
Schließlich fällt doch, nach fünf Jahren, die Entscheidung zu einem Eigenbau:
30.7.1955: Gaswerkbau kostet 700 000 Mark

Man hat überlegt, hat gezweifelt, hat sich Rat geholt, hat geschwankt und sich dann, der „progressiven Kritik “ zum Trotz, für die bereits erprobte, bakannte und bewährte Lösung der Gasversorgung entschlossen.
Denn „wenn die es 1879 geschafft haben“ resümierte ein Gemeinderat, so „werden wir es heute auch noch schaffen“. Trotzdem meinen andere, dass „dieser Beschluss dem Gemeinderat nicht leicht gefallen ist“ und der Bürgermeister setzt hinzu, „dass die Zukunft nicht abzusehen ist…man kann nur hoffen, dass die Nachwelt an diesem Beschluss keine negative Kritik auszuüben brauchen wird“

Das neue Brettener Gaswerk wird am 20.1.1956 in Betrieb genommen:
25.1.1956: Bretten nahm sein neues Gaswerk in Betrieb
Ende 1963, das Gaswerk ist gerade einmal 6 Jahre in Betrieb, wird die Produktion eingestellt und Bretten an die Ferngasleitung der Gasversorgung Süddeutschland angeschlossen:
7.8.1963: Bretten zahlt sein Ferngas an Pforzheim

Eine Bewertung der bis heute durchaus ähnlich ablaufenden Entscheidungsfindung in der Brettener Stadtverwaltung und Gemeinderat, überlassen wir gerne der Autorin eines Artikels in der Wochenzeitung “Die Zeit” Nr.16, vom 16.4.1971. Unter dem Titel : „Eine kleine Stadt wird geröntgt“, bewertete die Autorin den „Schildbürgerstreich“ um das Gaswerk, Zitat: „das nach sechs Jahren bereits seinen Betrieb wieder einstellen muß, weil Ferngas eben doch rentabler ist als rein aus lokalem Wahn und Inzuchtdenken entstandene Selbstversorgung.“

Dem ist wenig hinzuzufügen, der interessierte Leser findet in unserem Pressespiegel noch so manche Perle Brettener Kommunalpolitik, man denke nur an die Erweiterung des Industriegebietes Gölshausen, das mit der Zerstörung eines ökologisch hochwertigen Waldes endete, aber nach über sechs Jahren immer noch nicht bebaut ist. Trotzdem wird bereits eine weitere Vergrößerung gefordert. Eine Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden wird nicht in Betracht gezogen, Argumente dagegen, siehe oben unter „Zuerst pocht man auf unbedingte Unabhängigkeit“!

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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