Östlicher Enzkreis: Lebensqualität vor Wachstum

MÜHLACKER. Der östliche Enzkreis gilt als Teil des Pforzheimer Speckgürtels. Gleichwohl präsentieren sich die Einwohnerzahlen der dortigen Kommunen unterschiedlich. So manche Gemeinde möchte gar keine Boom-Town sein.

Mühlacker, immerhin die einzige Große Kreisstadt im gesamten Enzkreis und Mittelzentrum für den Bereich des östlichen Enzkreises leidet unter Bevölkerungsschwund: Zählte die Senderstadt 2004 noch 26 285 Einwohner, waren es 2008 nur noch 25 780. Und laut Statistischem Landesamt geht die Tendenz weiter nach unten. Mühlackers Bürgermeister Winfried Abicht hält dagegen: Die Zahlen des Landesamts seien mit Vorsicht zu genießen. In der Senderstadt wolle man dem Schwund entgegenwirken, um zumindest die jetzige Einwohnerzahl halten zu können. Neue Grundstückszuschnitte im Baugebiet Stöckach und neue Baugebiete wie Aischbühl und Sommerberg sollen den signifikanten Abwärtstrend stoppen. Abicht betont aber auch, dass Mühlacker eine Stadt im Grünen bleiben wolle. Die Lebensqualität in der Stadt sei ein vorrangiges Ziel bei neuen Baugebieten. Eine „nackte Ausweisung von Großflächen zur massiven Aufsiedelung“ zähle nicht zu den entwicklungspolitischen Zielen der Großen Kreisstadt. Darin unterscheide man sich im Übrigen von der benachbarten Großen Kreisstadt Vaihingen/Enz.

Ähnlich sieht das Ötisheims Bürgermeister Werner Henle. Hier ging die Einwohnerzahl von 2006 mit 4920 Bewohnern runter auf 4857 im Jahr 2008. Für Henle weder ein Grund zur Sorge, noch zur Panik. Der Schultes wörtlich: „Ich sehe da keine Dramatik.“ Das entwicklungspolitische Ziel sei es, den Charakter des Ortes zu erhalten und nicht zu entfremden. Aktionismus und die Ausweisung neuer und teuerer Baugebiete, wie etwa der Römerweg in Knittlingen, seien in Ötisheim nicht erwünscht. In Ötisheim setze man auf Eigenentwicklung und nicht auf massiven Zuzug. Die Statistiker rechneten einem ständig irgendwas vor. Doch manchmal sei nur ein Jahr mit zufällig vielen Sterbefällen verantwortlich für eine Minusbilanz in der Einwohnerstatistik, sagte Henle.

In Maulbronn ist die Einwohnerzahl seit 2002 minimal gesunken. Kein Grund zur Sorge für Bürgermeister Andreas Felchle. In der Klosterstadt werde auf „gesunde Eigenentwicklung“ gesetzt. Das Hauptaugenmerk liegt auf der innerstädtischen Verdichtung, ausgewiesen soll lediglich im Stadtteil Zaisersweiher ein rund 2,5 Hektar großes Neubaugebiet werden. Grundsätzlich hält Felchle es mit Blick auf demografische Entwicklung und Flächenfraß für falsch, „zwanghaft“ gegen Trends und Nachbarn auf Einwohnerwachstum zu setzen.

Über 100 Einwohner hat Knittlingen zwischen Juni 2008 und Juni 2009 (7739 Einwohner) verloren. Die Stadt führt das auch auf eine für Knittlingen überdurchschnittliche Todesfallrate zurück (die PZ berichtete). Trotzdem verzeichnet die Fauststadt seit 2002 noch ein sattes Einwohner-Plus. Bauamtsleiter Volker Just gibt die aktuelle Einwohnerzahl mit 7761 an. Zurückzuführen ist das Plus auf das Neubaugebiet Römerweg, in dem seit 2005 Bauplätze verkauft werden. Veräußert seien von den 170 städtischen Bauplätzen derzeit 96, rund die Hälfte davon an Auswärtige. In den Stadtteilen Kleinvillars und Freudenstein-Hohenklingen ist man zudem dabei, zwei kleinere Baugebiete zu erschließen. Gegen den Trend langsam wachsen, sei die Knittlinger Devise, fasst Just zusammen.

Auch wenn der Einwohnerrückgang nicht mal ein Prozent, nämlich 0,8 Prozent beträgt, lässt das Thema den Illinger Bürgermeister Harald Eiberger nicht kalt. „Weniger Einwohner bedeutet weniger Finanzzuweisung und weniger Kaufkraft und zudem eine höhere finanzielle Belastung jedes einzelnen Bürgers durch die Fixkosten, die Illingen als Gemeinde hat.“ Deshalb möchte der Bürgermeister eine Wachstumsgrundlage schaffen, mit dem Luigareal, der Lerchenstraße, dem Gebiet Schweichling und der Marienstraße als künftige Baugebiete . „Wir setzen auch auf die weichen Standortfaktoren mit dem Ausbau der Kinderbetreuung und als Schulstandort.“

Die weichen Standortfaktoren sind es auch, auf die Ölbronn-Dürrn verstärkt setzt. Die Renovierung von Kindergärten, Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren und den Versuch, die beiden Schulstandorte zu sichern, nannte Hauptamtsleiter Peter Christ als Ansatzpunkte. An die Ausweisung von Wohngebieten denke die Verwaltung erst wieder, wenn auch das letzte Drittel der Bauplätze im Dürrner Gewerbegebiet West verkauft ist. „Gegen die rückläufigen Kinderzahlen kommt jedoch keine Gemeinde an“, stellte Christ fest. Auch in Ölbronn-Dürrn ist die Einwohnerzahl seit 2002 gesunken. Ende 2009 lebten dort zuletzt 3435 Bürger.

Den Bevölkerungszuwachs in Wiernsheim führt Bürgermeister Karlheinz Oehler aufs Neubaugebiet Kohlplatte in Serres und die Ortskernsanierung zurück. 300 bis 400 Neubürger erwartet der Schultes in den nächsten drei Jahren durch das 150 Bauplätze zählende neue Baugebiet Lochmanns Kreuz/Schelmenäcker in Wiernsheim. „Positiv ist, dass die Kinderzahlen in Wiernsheim deutlich höher liegen, als in umliegenden Gemeinden“, so Oehler.

Auch die Gemeinde Sternenfels verzeichnet in den vergangenen Jahren einen Zuwachs an Einwohnern. Waren es 2002 noch 2795 Sternenfelser Bürger, zählte die Gemeinde im Dezember 2008 schon 2822 Einwohner. Für eine Stellungnahme zu dieser Entwicklung und künftigen Planungen innerhalb der Gemeinde war die Sternenfelser Bürgermeisterin Sigrid Hornauer gestern nicht erreichbar. mar/nad/tel/vio

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

Print Friendly, PDF & Email
Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Östlicher Enzkreis: Lebensqualität vor Wachstum

  1. d/s sagt:

    Die neunmalklugen Kommunalpolitiker stimmen mehrheitlich mit „Ja“, wenn von ihren Vorsitzenden die Frage nach dem „Bedarf“ gestellt wird.

  2. Fragezeichen sagt:

    „Gegen die rückläufigen Kinderzahlen kommt jedoch keine Gemeinde an“ stellt Hauptamtsleiter Peter Christ aus Ölbronn-Dürrn fest.
    Warum teilen die Bürgermeister der im Bericht genannten Gemeinden nicht diese Ansicht?
    Warum ignorieren diese Kommunalpolitiker die Tatsache, dass die Bevölkerungszahlen in der Bundesrepublik Deutschland und in allen (!) europäischen Staaten weiter zurückgehen werden?
    Haben die Rathauschefs noch nicht bemerkt, dass durch die Ausweisung von Neubaugebieten der Geburtenrückgang nicht verhindert werden kann?
    Geht es den Bürgermeistern um das Wohl junger Familien oder nur um die Aufstockung der Gemeindekasse mit dem „Kopfgeld“ welches sie vom Land für die Neubürger erhalten?
    Ist es für eine Demokratie nicht beschämend, wenn sich Gemeinden gegenseitig Bürger abwerben? Warum wird nicht erwähnt, welchen Gemeinden man – durch Abwerben -Verluste an Bürgern und Finanzzuweisungen zugefügt hat?
    Warum wird verschwiegen , dass Baugebiete auf Kosten der Steuerzahler und zu Lasten der Natur ausgewiesen werden? Und schließlich : Ist den Kommunalpolitikern, die auswärtige junge Familien anlocken, bewusst, dass die Jungen von heute die Alten von übermorgen sein werden?

  3. a sagt:

    Man kann es auch anders ausdrücken:

    Die Schwärmerei für die Natur kommt von der Unbewohnbarkeit der Städte.
    Bertolt Brecht

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert