Leserbrief: „Es geht um den „Am- Sonntag-Shoppen-Ausflug“

Zur Zeit ist es ganz große Mode, dass Städte mit aller Kraft verkaufsoffene Wochenenden und Sonntage anstreben. Neulich wurde mir sogar von einem kaum 500 Einwohner zählenden schwäbischen Dorf berichtet, welches am Ortseingang mit einem Schild geworben hat, „heute shoppen am Sonntag“. Ist das nicht lächerlich?

Ich kann es nicht mehr hören, es grenzt an Schwachsinn. Was treibt Gemeinden dazu, diesem neuen Götzenbild hinterher zu laufen? Ist es wirklich das, was wir Menschen heute brauchen, ist es das allein seelig machende und derart vermisste „shoppen am Sonntag“? Oder lassen wir uns das nur einreden von jenen, denen es um Umsatz und vermeintliche Belebung der Innenstadt geht?

Man benutzt bestehende Gemeindefeste, oder solche, die eigens für diesen Zweck erfunden wurden, um gleich auch alle Einkaufstüren zu öffnen. Fast könnte man meinen, es bricht ein Krieg aus und es muss jede Gelegenheit genutzt werden, sich mit den notwendigsten Artikeln einzudecken — dazu reichen natürlich nicht fünf bis sechs Wochentage.

In einer gehetzten, immer schneller werdenden und auf totalen Konsum ausgerichteten Welt muss scheinbar auch noch das kleinste Dorf mitmachen. Es reicht nicht, dass man bis spät abends einkaufen kann, nein, es werden auch noch die letzten verbliebenen Ruhetage geopfert. Ruhe vom Verkehrslärm, Erholung, einmal nicht „shoppen“ gehen… vielleicht braucht das auch eine Gesellschaft, in der die Gewalt, die Depression zunimmt.

Und jetzt lese ich den Schwachsinn, dass sich Bretten bemüht, „Ausflugsort“ zu werden. Wohl
wisssend, was sich für eine Bedeutung hinter diesem Wort verbirgt, hat man es auch gleich in Anführungszeichen gesetzt. Es geht also um einen „Am-SonntagShoppen-Ausflug“, mehr nicht.
Ich schlage vor, jeglichen gesellschaftlichen Ruheraum aufzulösen, Party satt, 24 Stunden shoppen an sieben Tagen, auch an den Weihnachtsfeiertagen, Streichung des Sonntagsfahrverbotes für LKWs, Aufhebung des nächtlichen Ruhegebotes… für eine Gesellschaft, die das Wochenende nur noch als ärgerliche Schließung der Geschäfte erkennt. Shoppen, das ist also das, was der Mensch vermisst. Und dann beginnen wir uns zu wundern, warum so viele Menschen krank werden.

Professor Dr. Helfried Urban
Bretten

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7 Antworten zu Leserbrief: „Es geht um den „Am- Sonntag-Shoppen-Ausflug“

  1. otto sagt:

    Ergänzung zu Kommentar spezi

    Am Beispiel Einzelhandel versuchte man, die Sonntagsruhe zu retten.

    Das Bundesverfassungsgericht: „An den Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbstätigkeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Tätigkeit, ruhen.“

    Fazit: Dann müsste auch noch eine Menge anderer Branchen ihr Geschäftsgebaren überdenken (s. Kommentar spezi). 🙂

  2. spezi sagt:

    Vor dem Gesetz sind wir alle gleich. 🙂
    In diesem Falle mit einigen Ausnahmen wie beispielsweise: Gaststätten (oder fast alles was mit trinken und essen zu tun hat), Vergnügungseinrichtungen, Weihnachtmärkte, Tankstellen, Krankenhäuser, Altersheime, Polizei, Feuerwehr, Kirchen und selbst die Volksvertreter sind Sonntags unterwegs. 🙁

    Haben die Richter hierzu auch eine Meinung oder sind Adventssonntage nur für eine bestimmte Klientel bestimmt?

  3. fr. sagt:

    Im Ländle bedeutet gesetzliche Ladenöffnungszeit: Werktags von 0 bis 24 Uhr.
    Bis zu drei verkaufsoffene Sonn- und Feiertage
    – ausgenommen Advent –
    sind möglich.

  4. rl sagt:

    Ein verkaufsoffener Sonntag schreckt mich eher ab. Menschenmassen, Gedränge, Parkplatznot, Verkäufer die einem auf der Straße anlabern wegen Versicherungen, Bausparkassen usw. Ich frage mich wie man sich so etwas freiwillig antun kann.

    Öfter mal ein paar Feste oder Partys sind ja ganz OK.

    Ich glaube, dass es eine Neudefinition des Begriffs Fest geben muss…

    Vor 30 Jahren wurden Feste gefeiert bei denen Bratwurst und Bier verkauft wurden weil da Menschen zusammenkommen und eine Schöne Zeit miteinander verbringen wollten – dabei Hunger und Durst verspürten, deshalb wurde Essen und Trinken verkauft…

    Heute werden Bratwurst und Bier verkauft, dass Menschen zusammen kommen um diese zu konsumieren – quasi als Selbstzweck.

    Leider lässt sich das Prinzip jedoch nicht einfach umkehren. Die Tatsache, dass auf einem Fest mit Seele und echten Wurzeln ein Getränkeverkauf funktioniert, lässt leider nicht den Umkehrschluss zu, dass wenn man ein Bierstand an eine Straßenecke stellt ein Fest daraus wird… Das müssen einige noch lernen.

  5. -kauf- sagt:

    Es wird in Gemeinden nichts ausgelassen, um mit dummen und geschickt verpackten Parolen zu extra erfundenen Anlässen Kauflustige zu ködern.

  6. Jo/St sagt:

    ??oppen und ?oppen liegen sprachlich dicht beieinander und können genau soviel Spaß machen. 🙂

  7. mm sagt:

    Bravo Herr Urban! Aber ist Bretten nicht längst das „Event-Zentrum“ im Kraichgau? Wieviele angebliche „traditionelle“ Veranstaltungen haben wir in den letzten 20 Jahren in unser Remmidemmi-Repertoire aufgenommen und warum?
    Warum „strömen“ die Menschen überall dorthin, wo es laut und lärmig zugeht? Wo es „Schnäppchen“ und eine Bratwurst dazu für „lau“ gibt? Was sagt dies alles über den (geistigen)Zustand unserer Gesellschaft aus?
    Operative Hektik ersetzt geistige Windstille?

    Ich will mir die weitere Entwicklung noch nicht einmal vorstellen, aber (Kommunal-) Politik wird sicher keinen korrektiven Einfluss darauf nehmen (wollen), sie bedient lediglich den gesellschaftlichen „Mainstream“.
    In diesem Sinne, ich bin doch nicht blöd, alles wird gut, geiz ist geil, Prost, Helau, Narrhallamarsch…

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