Unsere Gesellschaft krankt…

Wir der Fisch angeblich vom Kopf her stinkt, krankt unsere Gesellschaft vom Kopf, genauer vom Geist her. Und – diese Krankheit führt zum Verfall. Butterwegge spricht vom Zerfall in Parallelgesellschaften, ich sage in drei Schichten, von denen man zwei nicht mehr als Klassen bezeichnen, wie mancher Linke es noch tut.
Was ist die Krankheit? Es ist die Verachtung des Menschen, genauer die Verachtung des arbeitenden Menschen.

Noch genauer: die Verachtung des Bauern, des Handwerkers, des Industriearbeiters, des „Arbeiters“ am Menschen. Bis zum Beginn der Moderne sowieso der dritte oder vierte „Stand“, also Sklaven, durften sie nach zwei schrecklichen Kriegen, die deren „Eliten“ anzettelten und die ihre Städte, Landwirtschsft und Industrien zerstörten, sich in der kurzen Zeit des „Wiederaufbaus“, zu dem sie unabdingbar nötig waren, in der liberalen Sonne wärmen: „Leben und leben lassen“.

Man hat sie – historisch gesehen – für kurze Zeit einigermaßen anständig bezahlt und behandelt. Solange der Aufbau dauerte und der Sozialismus noch eine bedrohliche Alternative war. Damit ist jetzt Schluß.

Die Verachtung greift um sich. Sie zeigt sich offen an der „Noch –Arbeit–habenden“ Mehrheit. In einem breiten Feldzug von „Eliten“ aus Wirtschaft, Politik und Medien wird ihnen durch Drohungen des Arbeitsplatzverlustes die psychische Kraft zur Gegenwehr und durch Hungerlöhne die materielle Existenz geraubt.

Noch deutlicher und offener zeigt sich diese Verachtungen in der Marginalisierung eines Großteils der Bevölkerung, die per Hartz IV Gesetze in Armut gezwungen wird, die auf den Argen und Sozialämtern noch weiter gedemütigt und schikaniert, von den selbsternannten Elitensprechern wie die Professoren Raffelhüschen und Sinn, aber auch von vielen Medien, zynisch verhöhnt und bedroht wird: „Hartz IV ist nur der erste leise Hauch dessen, was noch kommen muss!“

Diese „Eliten“ sind masslos, und sie sind schamlos. Diese Geld- und Leistungseliten reproduzieren sich als geschlossene Klasse geradezu inzestuös aus ihrem eigenen Herkunftsmilieu: als Kind ins Internat, Hochschule, Banking, Consulting, Politik.

Oft nie einem armen Menschen in die Augen geschaut oder die Hand geschüttelt mutieren sie zu den Entscheidungsträgern über diese Menschen:

sie entscheiden ob deutsche Soldaten am Hindukusch sterben, dass der Mensch wider alle Vernunft bis 67 arbeiten soll, sie schlagen die Verlängerung bis 69 vor und beschließen jahrelange Rentennullrunden auch für Menschen unter 900 Euro, sie entscheiden Produktionsanlagen zu verscherbeln, um mit den Erlösen auf den Finanzmärkten zu spekulieren, sie sagen, dass das Hartz IV noch zu hoch und ein privatisiertes Krankenhaus und Gesundheitssystem besser und Zuzahlungen notwendig sei.

Dies alles ist nichts anderes, als die Anwendung „struktureller Gewalt“ gegen diese Schichten.
Dies wird vermehrt und unweigerlich zu Gegengewalt führen.

Die Aufstände der Jugendlichen, von diesen „Herren“ als Krawalle bezeichnet, und zuletzt die Arbeiter von Lot-et-Garonne, die ihre Fabrik in die Luft zu sprengen drohten, zeigen, dass sich hier eine Spannung entwickelt, eine soziale Zeitbombe, wie sie vielleicht zuletzt vor der Französischen Revolution zu beobachten war.

Wer sich die Mühe macht und mit Hartz IV Empfängern vor den Argen und Sozialämtern, oder mit streikenden Arbeitern vor den Toren ihrer von Betriebsschließung bedrohten Fabrik spricht, kennt die die explosive Mischung aus Empörung, Wut und Hass genau auf jene „Eliten“ aus Politik, Wirtschaft und Medien. Und wenn diese Lebensverhältnisse weiter abdriften, wenn Armut und Reichtum immer weiter auseinander klaffen, stellt sich die Frage. Wann brechen die letzen menschlichen Brücken zwischen diesen Schichten und was werden diese Verachteten tun ?

Wolfgang Schulz

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3 Antworten zu Unsere Gesellschaft krankt…

  1. Jork. sagt:

    „Unsere Gesellschaft krankt“…

    Warum?

    Weil sie von „kranken“ Politikern regiert wird.

  2. jo/br. sagt:

    Wer lässt all dies ungeniert geschehen?

    Die bundesdeutsche Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die bereits seit langem zum verlängerten Arm der Arbeitgeber geworden ist.

  3. mm sagt:

    danke an die Pforzheimer Rundschau und Wolfgang Schulz für diesen Artikel! Dass der Autor Recht hat, zeigt sich unter anderem daran, dass es in einer Kleinstadt wie Bretten, nach dem Tafelladen, mit dem W54 jetzt schon die zweite Einkaufsmöglichkeit für Menschen mit geringem Einkommen geben muß. Hätte man so etwas vor zehn Jahren für möglich gehalten?

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