Das Misstrauen ist groß

RAINER HAENDLE
Jubel bei Grün und den freien Wählervereinigungen, Ernüchterung bei Rot und Schwarz – so lässt sich das Ergebnis der Kommunalwahlen in Baden-Württemberg trotz einiger Abweichungen auf den Punkt bringen. Der Trend zeigt, dass das Misstrauen gegenüber der Politik bei den Wählern immer größer wird. Auch auf der untersten politischen Ebene – dort, wo Demokratie unmittelbar erlebt werden kann. Wo man noch mit dem Stadt- und Gemeinderat in der Schlange an der Wursttheke oder vor dem Obststand jederzeit über umstrittene Projekte diskutieren kann. Obwohl diese Konfliktthemen von Ort zu Ort unterschiedlich sind, macht sich der angestaute Unmut der Bürger häufig in die gleiche Richtung bemerkbar: Im ländlichen Raum profitieren davon eher die Freien Wähler, in den größeren Städten dagegen vor allem die Grünen.

Der Siegeszug der einstigen Protestpartei im eher konservativen Baden-Württemberg ist die eigentliche Sensation dieser Kommunalwahlen. Wer 1980 bei der Gründung der Grünen in Karlsruhe vorhergesagt hätte, dass dieser politische Gemischtwarenladen nach knapp drei Jahrzehnten der Reife den Christ- und Sozialdemokraten in einigen Städten die Stirn bieten oder sogar den Rang ablaufen würde, der wäre damals als Irrer eingesperrt worden. Doch heute sieht die Welt anders aus.

Der genaue Blick auf die Einzelergebnisse zeigt, dass die Grünen vor allem dort mächtig zugelegt haben, wo sie sich als Gegner von Großprojekten profilieren konnten. In Stuttgart gegen die milliardenteure Tieferlegung des Hauptbahnhofs, in Karlsruhe gegen das Kohlekraftwerk, die U-Strab oder einen Stadion-Neubau an der Autobahn. Aus landespolitischer Sicht bedeutet dieser Vormarsch, dass eine schwarz-grüne Koalition nach den kommenden Landtagswahlen rechnerisch zunehmend wahrscheinlicher wird. Doch gleichzeitig entzweien sich die potenziellen Partner, die ja schon nach dem letzten Urnengang im Jahr 2006 heftig miteinander geflirtet hatten, bei konkreten Mega-Projekten immer mehr.

Zurück zur Kommunalwahl. Auch die Freien Wähler gewinnen als Folge der grassierenden Politikverdrossenheit weiter an Boden oder behaupten ihre äußerst starke Stellung. Nicht immer dank überzeugender Konzepte oder besseren Personals, sondern manchmal auch nur wegen ihres Charmes als „Nicht-Partei“. Die Zersplitterung der Parteienszene hält somit an, immer mehr Hochburgen von CDU oder SPD werden geschleift. Das mögen die einstigen Großparteien bedauern, die Diskussion in den Kommunalparlamenten wird durch mehr Vielfalt aber lebendiger werden. Rathauschefs können jetzt nicht mehr so einfach wie früher mit einigen wenigen Parteivertretern wichtige Entscheidungen für ihre Stadt auskungeln, sondern müssen offensiver um Mehrheiten werben. Die Demokratie lebt vom Wandel, deshalb fällt das Gesamtfazit dieser Kommunalwahlen unterm Strich positiv aus. Auch weil die Wahlbeteiligung nahezu stabil geblieben ist. Die gewählten Kommunalpolitiker haben jetzt wieder fünf Jahre Zeit, sich unser Vertrauen zu verdienen.

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