„Hilfe für Arme nützt Politikern wenig“

Jürgen Volkert beschäftigt sich vor allem mit Gerechtigkeit
Als Jürgen Volkert in den 70er Jahren zur Schule ging, stand ein Thema ganz oben bei politischen Diskussionen, das heute noch aktuell ist, nämlich die Weltwirtschaftsordnung. „Mich hat damals schon das Thema Gerechtigkeit und die Frage nach der Armut in der sogenannten Dritten Welt interessiert“, sagt der heutige Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Pforzheim, „ich wollte internationale Prozesse verstehen.“ An der Berufsakademie und der Baden-Württembergischen Bank beschäftigte sich Volkert unter anderem mit Umschuldung von Auslandskrediten für Lateinamerika.

„Wann hätte man frühestens merken können, dass Argentinien ein volkswirtschaftliches Problem hat?“, formuliert Volkert eine der Fragestellungen. Später studierte er Internationale Volkswirtschaftslehre in Tübingen, wiederum mit Blick auf Lateinamerika. Wirtschaftliche Fragen, die dortigen Gesellschaftsordnungen und Sprachen haben es dem Ökonomen angetan. Nachdrücklich in Erinnerung ist ihm ein Aufenthalt in Sao Paolo, wo Armut mit Gewalt einhergeht: „Nachbarn meiner Gastgeber sind ermordet worden, und nachts hörte man permanent die Trillerpfeifen der Privatpolizei.“ Nach seiner Promotion 1996 arbeitete Volkert am Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen (IAW), zuletzt als Geschäftsführer, bevor er 2000 den Ruf nach Pforzheim erhielt.

Die Liste der Forschungsprojekte des Ökonomen ist lang und vielseitig. „Es gibt in meinem wissenschaftlichen Dasein aber zwei wichtige Forschungslinien“, fasst er zusammen. Zunächst ist das Armutsforschung. Eine wichtige Etappe war für ihn der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung im Jahr 2000. Zuvor war herrschende politische Meinung, dass es keine Armut in Deutschland gebe. „Operationalisierung der Armuts- und Reichtumsberichterstattung“ hieß das Projekt, das Volkert leitete. „Armut im Vergleich zu Reichtum“, sagt der Pforzheimer Professor, „bedeutet nicht allein Einkommensarmut, sondern das Fehlen von Verwirklichungschancen.“ Er zählt die „Mängel an Wesentlichem“ auf: Bildung, Gesundheit, Beschäftigung, ökonomische Chancen, sozialer Schutz vor Gewalt, das Fehlen von politischer Beteiligung und so weiter. Umgekehrt bedeute Reichtum ein „hohes Maß an Verwirklichungschancen und Privilegien“.

Eine zweite Forschungslinie befasst sich mit der Frage, „weshalb sich ein Politiker um bestimmte Dinge kümmern müsste, er es aber nicht tut.“ Ein Politiker, sagt er, sei kein Gemeinwohlmaximierer, sondern vielmehr ein Nutzenmaximierer; das wissenschaftliche Konzept, das hinter Volkerts Überlegungen steht, nennt sich „Neue Politische Ökonomie.“ „Existenzsicherung für Bedürftige“ sei so ein Thema, das Politikern wenig nütze, „schließlich sind Bedürftige schlecht organisiert und gehen seltener wählen, und das wissen Politiker.“ Nachhaltiges Wirtschaften laufe den machtvoll vertretenen Interessen der Industrie zuwider, „Bürger und Konsumenten haben dagegen kaum eine Lobby.“

Jürgen Volkert ist bei all seinem Fachwissen über all die Ungerechtigkeiten kein Mensch, der emotional reagiert: „Ein Gutachten, das mit Wut oder Emotion geschrieben ist, bewirkt viel weniger“, sagt er. Sprengstoff für die Zukunft sei übrigens die künftige Altersarmut – schließlich haben etwa 30 Prozent der Bevölkerung kein Vermögen, mit dem sie ihr Alter absichern könnten. Matthias Kehle

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

Print Friendly, PDF & Email
Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu „Hilfe für Arme nützt Politikern wenig“

  1. -az- sagt:

    „Existenzsicherung für Bedürftige“ sei so ein Thema, das Politikern wenig nütze, „schließlich sind Bedürftige schlecht organisiert und gehen seltener wählen, und das wissen Politiker.“

    Und die 20 Millionen Rentner?
    Die gehen halt zur Wahl, sind aber nicht organisiert und werden deshalb abkassiert – egal wie die Wahl ausfällt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert