Denkzettel-Mentalität

MICHAEL LEHNER
Die Meinungsforscher verderben der CSU die Sommerlaune: Die Prognosen, ob Bayerns Regierungspartei bei der Landtagswahl in acht Wochen ihre absolute Mehrheit halten kann, sind ein Wechselbad der Politiker-Gefühle – und Alarmsignal für die etablierten Parteien insgesamt. Viel spricht dafür, dass es vom Herbst an in Bayern ein Sechs-Parteien-Parlament geben könnte: Neben der FDP, deren Ausgangslage diesmal recht komfortabel scheint, geben die Demoskopen auch den Freien Wählern und der Linkspartei reale Chancen, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.

Ausgerechnet im früher so stabilen Bayern sind Wählerinnen und Wähler offenbar ausgesprochen experimentierfreudig geworden. Wer genauer hinschaut, merkt jedoch: Es ist viel Denkzettel-Mentalität zum Schaden der Volksparteien CSU und SPD im Spiel. Enttäuschte Konservative neigen deshalb zu FDP und Freien Wählern; erboste Sozi-Anhänger zur Linken. Während die SPD bisher vom Tief der erfolgsverwöhnten Regierungspartei kaum profitiert, sind die Grünen vom Wähler-Strafgericht nicht betroffen. Aber die Deutung, dass die CSU ihr akutes Dilemma überwiegend allein verschuldet hätte, ist wenig überzeugend: Auf den ersten Wahlversammlungen spielt Bundespolitik bei Roten wie bei Schwarzen eine beherrschende Rolle. So gesehen, setzt sich in Bayern fort, was nach den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen zu ahnen war: Der Souverän straft die Berliner Koalitionsparteien auf Landesebene ab.

Auch das belegt, dass die Ursachen der konservativen Schwäche weit über Stoibers Schwebebahn-Träume und gravierende Mängel im bayerischen Schul-Alltag hinaus gehen. Eher trifft zu, dass die Menschen in Bayern vor der Wahlentscheidung Dinge plagen, die überall in der Republik für Missmut sorgen: Karge Renten, horrende Energie-Preise und das Gefühl, dass die Gruppe der Verlierer immer größer wird. Spätestens nach der Bayern-Wahl werden auch die Regierungsparteien in Berlin mehr darüber reden müssen. Nicht nur die Meinungsumfragen belegen Denkzettel-Mentalität im Volke.

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5 Antworten zu Denkzettel-Mentalität

  1. L.K. sagt:

    Und weil ihr Fokus mit dem Schwerpunkt auf ihr Parlamentarier-Einkommen gerichtet ist!
    🙂

  2. Ull.Mü. sagt:

    Warum denn nicht?
    Weil bei ihr ein Geldmangel einfach nicht -Höhe der Abgeordnetenbezüge! – ankommen kann. 🙂

  3. i-L sagt:

    Bedenklich, die politische Klasse nimmt noch keine besondere Notiz davon.

  4. will.hofm. sagt:

    Die Länder in Ost- und Westdeutschland – die „armen“ sowie die „reichen“ Bundesländer gleichermaßen!

  5. Frz. sagt:

    „Karge Renten, horrende Energiepreise und das Gefühl, dass die Gruppe der Verlierer immer größer wird.“

    MICHAEL LEHNER hat es wieder einmal exakt auf den Punkt gebracht!

    Diese Aussage für sich betrifft richtigerweise nicht nur den Freistaat Bayern, sondern leider alle Bundesländer. 🙁

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