Karlsruhe kommt am schlechtesten weg

Rechnungshof brandmarkt Förderpraxis für Ganztagsschulen / Unterrichtsausfall durch Pädagogischen Tag
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Voigt
Stuttgart/Karlsruhe. Gelbe Karte für viele Lehrerkollegien im Land: Überwiegend während der regulären Unterrichtszeit lassen zahlreiche Schulen ihre so genannten Pädagogischen Tage stattfinden. Das hat jetzt den Rechnungshof des Landes mit scharfer Kritik auf den Plan gerufen (siehe Kommentar Seite 2).
„Mehr als 18 000 Unterrichtsstunden sind durch diese Praxis allein im Schuljahr 2006/2007 ausgefallen“, rechnet der Präsident der in Karlsruhe ansässigen Prüfinstanz, Martin Frank, vor. Das entspricht 19 Lehrer-Vollzeitstellen mit einem rechnerischen Gegenwert von einer Million Euro pro Jahr. Dabei besagen die Leitlinien des Kultusministeriums klar, dass die schulinternen Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich in der unterrichtsfreien Zeit abzuhalten sind. Die Finanzkontrolleure fordern nun von Kultusminister Helmut Rau (CDU), die eigenen Vorgaben wirkungsvoller durchzusetzen.
Die Missstände bei den Pädagogischen Tagen sind unterdessen geringfügig, vergleicht man sie mit den „groben Fehlern“, die das Kultusministerium nach Darstellung des Rechnungshofs bei der Förderung von Ganztagsschulen begangen hat.

528,3 Millionen Euro hat das Land seit 2003 aus dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ des Bundes verteilt und damit 566 Maßnahmen gefördert. Jedoch äußerst ungerecht, wie die Finanzkontrolleure beanstanden: Mehr als die Hälfte der bewilligten Zuwendungen (269 Millionen Euro) und mehr als ein Drittel der geförderten Maßnahmen (208) entfielen auf den Regierungsbezirk Tübingen. Und das, wiewohl dort nur knapp 20 Prozent der Schulen im Land liegen und dort nur 17,4 Prozent aller Schüler von Baden-Württemberg unterrichtet werden. Der Regierungsbezirk Stuttgart bekam gut 140 Millionen Euro, und auf Freiburg entfielen knapp 70 Millionen. Am schlechtesten kamen die Schulen im Karlsruher Regierungsbezirk weg: Nur 52,3 Millionen Euro wurden hier ausgeschüttet. Der Präsident des Rechnungshofs spricht von einer „allzu unbürokratischen und fehleranfälligen Bewilligungspraxis“: Nach dem so genannten Windhundprinzip verteilte das Kultusministerium den Geldsegen übers Land. Diejenigen Schuldirektoren sicherten sich mithin den größten Batzen, die als erste „Hier!“ schrien.

Noch weitere Abgründe tun sich bei der Förderung von Ganztagsschulen auf. So bewilligte das Regierungspräsidium Tübingen Zuwendungen für nicht förderfähige Maßnahmen wie Lehrerzimmer und sogar für den Kauf eines VW-Busses. Einem Schulträger genehmigte man Zuwendungen von 228 000 Euro, obwohl dieser nur 124 000 Euro beantragt hatte. Als sehr erfindungsreich erwiesen sich viele Schulträger wenn es darum ging, Maßnahmen als dem Förderzweck konform zu deklarieren. So wurde im Regierungsbezirk Tübingen etwa eine profane Sportplatz-Tribüne kurzer Hand als „Grünes Klassenzimmer“ ausgegeben.
Beachtlich ist die Spannbreite der Beträge, mit denen ein Ganztagsplatz gefördert wurde: An der Schule in Schrozberg wurde beispielsweise jeder neue Ganztagsplatz mit 230 Euro gefördert, an der Illertalschule in Berkheim waren es dagegen 41 103 Euro und am Gymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd sogar 71 000 Euro.
Nach Darstellung von Rechnungshofs-Präsident Frank verfolgte das Kultusministerium weder ein eigenständiges Konzept noch setzte es inhaltliche Schwerpunkte bei der Förderung. „Hier vergab das Land die Chance, Fördermittel von mehr als einer halben Milliarde Euro bedarfsgerecht, zielgenau und wirtschaftlich einzusetzen.“

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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10 Antworten zu Karlsruhe kommt am schlechtesten weg

  1. Leibd. sagt:

    „Noch weitere Abgründe tun sich bei der Förderung von Ganztagsschulen auf.“

    Mir reichten bereits die finanziellen Abgründe bis zum Anfang dieses Abschnitts.

  2. Hub.Gr. sagt:

    Vom Redaktionsmitglied Wolfgang Voigt sehr gut recherchiert! 🙂

  3. ü sagt:

    Was politisch sicherlich gern gesehen wird.

  4. Mx.-L. sagt:

    Und/oder sind schon länger gegenüber derartigen Meldungen geistig abgestumpft.

  5. Jork. sagt:

    Die Zeitungsleser haben überwiegend ein allzu kurzes Gedächtnis.

  6. S. sagt:

    Warum?

    Weil es morgen eine neue Tageszeitung gibt!

  7. S. sagt:

    Ablauforganisatorische Neuerungsträgheiten und die dadurch verursachten finanziellen Fehllenkungen und Verteilungsmechanismen in öffentlichen Verwaltungen führen eben zu diesen beklagenswerten und erschreckenden Szenarien, die möglicherweise spätestens morgen von den Lesern schon wieder vergessen sind.

  8. Lud sagt:

    Nach dem Gießkannen-Prinzip hat der Zuteilungsmechanismus durch administrative Anordnung gründlich versagt. 🙁

  9. xav. sagt:

    Hier erfolgten Geldzuteilungen auch im Wege von persönlichen Bevorzugungen.

  10. p sagt:

    Die Geldverteiler im Kultusministerium haben sicherlich nicht nur die Fachliteratur für die Funktionsfähigkeit einer Zentralverwaltungswirtschaft gelesen, sondern in Folge ihr erworbenes Wissen in der Praxis glänzend angewendet.

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