„Stadtwerke werden gezielt zum Abschuss freigegeben“

Experten entsetzt über mögliche Folgen der Liberalisierung am Strommarkt / Regenerative Energien in Gefahr
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Voigt
Stuttgart. Viele Bürgermeister und Stadtwerke-Chefs im Land schlagen Alarm. Sie sehen die Ertragskraft ihrer Stadtwerke in Gefahr. „Wenn die Versorgungsbetriebe kein Geld mehr verdienen, bleiben die Schwimmbecken leer und die Parkgebühren verdoppeln sich“, sagt zugespitzt der OB von Tübingen, Boris Palmer (Grüne).
Was viele Stadtwerke-Geschäftsführer und Dezernenten im Land umtreibt, sind die Folgen der Liberalisierung auf den Energiemärkten. Der Wettbewerb gilt nicht nur als hart sondern zunehmend auch als unfair. Die großen Energiekonzerne genießen ungerechtfertigte Vorteile, klagen Insider wie der Brettener Oberbürgermeister Paul Metzger (CDU). Schwer im Magen liegt ihm eine neue Verordnung, die bei den Netzbetreibern Anreize zur Steigerung der Effizienz schaffen und die Netzentgelte senken soll (siehe Kasten). „Wenn diese Art der Regulierung weitergeht, werden die Stadtwerke gezielt zum Abschuss freigegeben“, sagt Metzger. Heinz Merklinger, der Bürgermeister von Walldorf, stößt ins selbe Horn: Die Verordnung werde zu erheblichen Einbußen bei der Ertragskraft der Stadtwerke führen.

Der Tübinger OB Boris Palmer hat seine Bürgermeister-Kollegen jetzt zusammengetrommelt, „damit etwas geschieht, bevor aus der verordneten Diät eine Hungerkur mit Todesfolge für den Finanzhaushalt von Städten und Kommunen wird“, wie er im Gespräch mit den BNN erklärte. Gemeinsam fordern die Bürgermeister mehr Augenmaß bei der Regulierung der Energiemärkte.
40 kommunale Verwaltungschefs aus dem Südwesten begehren gemeinsam gegen die neue Verordnung auf. Es könne nicht gesund sein, wenn sich der Energiemarkt immer weiter zugunsten der Großkonzerne verlagere, betont der in der Branche als Experte gehandelte Geschäftsführer der Fellbacher Stadtwerke, Thomas Mahlbacher.

Auch Tübingens OB Palmer bekräftigt: „Vorgaben zur Kostensenkung um jeden Preis, die sich allein an der Theorie orientieren, führen zu einer dauerhaften Kosten-Unterdeckung und gefährden damit nicht nur den Wettbewerb sondern auch die existenzielle Basis der Stadtwerke“. Wenn überhaupt werden die Stadtwerke der Zukunft nur noch einen Bruchteil der heutigen Summen an die städtischen Haushalte abführen können. Die Politik habe den hohen Strompreis von der völlig falschen Seite ins Visier genommen, klagt Palmer. Auch Rastatts Oberbürgermeister Hans Jürgen Pütsch (CDU) betont, die Höhe des Strompreises werde im Wesentlichen beim Einkauf an der Strombörse entschieden. Er ruft den Querverbund in Erinnerung, über den die profitablen Geschäftsfelder defizitäre Engagements ausgleichen. Werde weniger Geld erwirtschaftet, müsse der kommunale Haushalt den Bedarf ausgleichen. Sofern er kann.

Vor zusätzlichen Konsequenzen einer Umsetzung der Verordnung warnt der Brettener OB Metzger. Vor allem kleine und mittlere Stadtwerke investierten vorbildlich in regenerative Energien und Kraft-Wärme-Kopplung. Sollte dafür in Zukunft das nötige Geld fehlen, entfalle auch ein bedeutender Motor bei der Umsetzung der Klimaschutz-Ziele.

Noch ein weiteres Gut sehen Fachleute in Gefahr: Die bislang hohe Versorgungssicherheit. Wenn das Geld für die Pflege der Netze ausgeht, müssten diese eben günstiger dimensioniert werden, befürchten viele Praktiker bei den kommunalen Versorgern. Größere Netzausfälle wie man sie etwa aus den USA kennt, wären damit wahrscheinlicher. Eine Aussicht, die nicht nur dem Verwaltungschef von Walldorf die Zornesröte ins Gesicht treibt. Unerträglich findet Bürgermeister Heinz Merklinger die Vorstellung, dass in der international vernetzten SAP-Hauptverwaltung eines Tages plötzlich die Lichter ausgehen und die Computer stillstehen könnten.

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25 Antworten zu „Stadtwerke werden gezielt zum Abschuss freigegeben“

  1. p sagt:

    Auch wenn das Verhalten der EU einer zunehmend verbraucherorientierten politischen Grundhaltung ähnelt, haben davon die Stadtwerke-Kunden bisher nicht den geringsten Nutzen gehabt.

  2. Nolt./Hues. sagt:

    Die EU zwingt Regierungen und Unternehmen mit verschiedenen Richtlinien und Kartellverfahren zu mehr Wettbewerb.

  3. -Emm- sagt:

    Wir haben heute keine Energiemonopole mehr, sondern Oligopole.

  4. val sagt:

    Inzwischen haben die Strom- und Gaspreise in der BRD neue Höchststände erreicht.

  5. Klus./Rait. sagt:

    Ich kann mich mit bestem Willen nicht daran erinnern, dass in der Vergangenheit von den Stadtwerken Bretten sinkende Energiepreise festgesetzt wurden.

  6. ine.-möll. sagt:

    Damals sank die Zahl der regionalen und lokalen Anbieter. Vertriebsstufen entfielen.

    Die Kunden profitierten zunächst von sinkenden Energiepreisen.

  7. Ev-/-Pad. sagt:

    Nach der Öffnung der Märkte kam es zu neuen Marktstrukturen und einer nationalen und europäischen Konsolidierung.

    Wo im Land – nach dem oben stehenden Kommentar P.L. – der Dornröschenschlaf herrschte.

  8. ghg sagt:

    Kommunale Optionen, anstatt weiter zu jammern:

    Modernisierung des Kerngeschäfts, Ausweitung der Betätigungsfelder, regionale Kooperationen oder Fusionen mit benachbarten Stadtwerken.

  9. -neresh- sagt:

    Man ist nicht man, sondern bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Aufsichtsrat für wichtige grundsätzliche Entscheidungen.

  10. -Kris.(To) sagt:

    Antwort an -rl-

    Man hat die Entwicklung offensichtlich verschlafen.

  11. -rl- sagt:

    30. Januar 2007
    „…deutlich weniger zahlen als beim Einkauf an der Börse,…“

    25.April 2007
    „Die großen Energiekonzerne genießen ungerechtfertigte Vorteile, klagen Insider wie der Brettener Oberbürgermeister Paul Mtzger (CDU).“

    Ja was denn, hat man die Stadtwerke Bretten vor über einem Jahr bereits in eine Kosten-Einbahnstraße geschickt, obwohl „Die Liberalisierungswelle bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren verordnet wurde.“?

  12. Sad./-sch. sagt:

    Mit ihren seltsamen Argumentationen haben sich die Darsteller doch selbst zum kritischen Abschuss freigegeben.

  13. Ro. St. sagt:

    Die Stadtwerke werden gewiss von ihrer Beteiligung am Kraftwerksbau profitieren.

    Die Brettener Stromkunden sollen es.

    Darin wird ein feiner Unterschied bestehen.

  14. seb. sagt:

    Wie gehabt: Der Wohltäter für Verbraucher.

    Fast eine Parallele zum Blumenkauf für Mütter am diesjährigen Muttertag (Pfingstsonntag).

  15. wf sagt:

    BNN 30. Januar 2007

    „Da die Stadtwerke Bretten für den Strombezug aus dem eigenen Kraftwerk deutlich weniger zahlen als beim Einkauf an der Börse, sollen vor allem die Stromkunden der Stadtwerke Bretten von der Beteiligung am Kraftwerksbau profitieren“, erläutert Oberbürgermeister Paul Metzger die Hintergründe für das Engagement der Stadtwerke Bretten beim Kraftwerksbau, der nach dem neuesten Stand der Technik realisiert werden soll.

  16. -wilh. sagt:

    Die heimischen Stadtwerke Bretten haben sich bereits 2005 an der Südweststrom Kraftwerk GmbH&CoKG (SWS Kraftwerk) beteiligt.

    Ende Januar 2007 gehörten rund 60 Stadtwerke zur SWS Kraftwerk, die das Kohlekraftwerk im norddeutschen Brunsbüttel bauen wird.

  17. äth. sagt:

    Übrigens – an die verantwortlichen 40 kommunalen Verwaltungschefs im Südwesten:

    Der nationale Konsolidierungsprozess in der Energiebranche hat vor Jahren eingesetzt.

    Guten Morgen!

  18. P.L. sagt:

    Die in dem Bericht stehenden Stadtwerke-Vertreter befanden sich – wenn sie damals schon dabei waren – in den 80er und 90er-Jahren ihren aktuellen Äußerungen entsprechend zweifelsfrei im Dornröschenschlaf.

  19. k-St. sagt:

    Seltsam. Die Energiebranche spürte den Druck der Liberalisierung früh.

    Die Liberalisierungswelle wurde bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren verordnet. Sie führte zunächst zu heftigem Wettbewerb, Restrukturierung und Margendruck. Die Wertschöpfungsstufen veränderten sich drastisch.

  20. IDR- sagt:

    Schnelligkeit und Effizienz waren über Jahrzehnte nicht die dominierenden unternehmerischen Faktoren, eher schon Verlässlichkeit (Preise) und Vertrauen (Versorgungssicherheit).

  21. xav. sagt:

    Bis zur Liberalisierung hatte die Energiebranche folgendes: Wenig bis keinen Wettbewerb, auskömmliche Renditen, geringen Rationalisierungsdruck sowie mangelnde Transparenz.

  22. -Dir sagt:

    Und die Partei derer, die sich mehrheitlich an der Diskussion über die Folgen der Liberalisierung am Strommarkt beteiligt haben, ist die CDU, die voll hinter der EU-Politik steht.

  23. h - z sagt:

    Zentraler Treiber für mehr Wettbewerb und Liberalisierung – aber auch Regulierung – ist kein anderer als die EU.

  24. h - z sagt:

    Ich habe selten so schwache Argumente gelesen wie diejenigen, welche von den Vertretern der Stadtwerke im Land hervorgebracht werden.

  25. chr.-uh. sagt:

    Erst wollte man politisch die Liberalisierung, jetzt hat man sie und ihre (negativen) Folgen, die zweifellos vorauszusehen waren.

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