Alle wollen zurück zum Ei

Von Andreas Tschürtz
ECE Karlsruhe – Von oben gleicht das Bild, das sich Center-Manager Christian Schröder bietet, einem Ameisenhaufen. Auf den 37 000 Quadratmetern der 130 Läden und Gastrobetriebe im ECE Ettlinger Tor flanieren Tag für Tag bis zu 30 000 Kunden über die drei Etagen. Während der klassische Einzelhandel seit Jahren über stagnierende Umsätze klagt, funktioniert das Konzept der vielen Läden unter einem Dach auch in Karlsruhe seit Eröffnung im Herbst 2005 prächtig: „Einheitliche Öffnungszeiten, hell, sicher, sauber, temperiert, gute Parkmöglichkeiten und im Herzen der Stadt“, ist Center-Manager Schröder nicht um eine Erklärung des Erfolgs verlegen.

Weil die Menschen ihr Geld so gern in den Einkaufstempeln ausgeben, entstehen landaus, landein immer mehr davon. Seit 1990 stieg ihre Zahl von 93 auf 384 im vergangenen Jahr. Am 5. März öffnete in Heilbronn ein ECE seine Tore. Bis 2010 erwartet das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI den Bau weiterer 60 Center. Die Erfolgs-Idee ist dabei keine neue Erfindung der Center-Betreiber. Die klassische deutsche Innenstadt funktionierte lange Zeit ebenso: Im Innern auf kleinem Raum ein vielfältiges Angebot, drum rum eine Mauer – die Stadt glich einem Ei. Dann kamen die 1980er Jahre, der Einzelhandel drängte auf die grüne Wiese und die Stadt franste aus wie ein Spiegelei – wurde weitläufig und aufs Auto zugeschnitten. Heute erscheinen die Einkaufszentren den einen als letzte Möglichkeit, verlorene Kaufkraft in die Innenstädte zurückzuholen; Kritiker fürchten dagegen, die Malls machten mit ihren gigantischen Verkaufsflächen dem bestehenden kleinteiligen innerstädtischen Einzelhandel erst vollends den Garaus.

Gute Erfahrungen In Karlsruhe fällt zweieinhalb Jahre nach der Eröffnung das Fazit auf Seiten der Stadtverwaltung positiv aus. „Wir haben seit der Eröffnung den Kaufkraftzufluss auf 456 Millionen Euro gesteigert“, bilanziert Andrea Scholz, Leiterin der Wirtschaftsförderung, einen „satten Zugewinn“. 1999 lag der Zufluss aus dem Umland noch bei 346 Millionen – zu wenig für das Oberzentrum, das zunehmend Kaufkraft an Mannheim und Stuttgart verlor, wie eine Analyse im selben Jahr feststellte. Man entschloss sich zu handeln.

2001 öffnete am oberen Ende der Fußgängerzone das Einkaufscenter Postgalerie, 2005 das Ettlinger Tor einige hundert Meter entfernt im Süden. „Die Befürchtung, die Kaiserstraße werde leiden, ist nicht eingetroffen. Nach wie vor ist sie die am stärksten frequentierte Einkaufslage“, sieht Scholz die Entscheidung im Nachhinein bestätigt. In einer Umfrage gaben lediglich acht Prozent der Befragten an, ausschließlich ins Einkaufscenter Ettlinger Tor zu gehen. 56 Prozent nutzen dagegen allein das Angebot der Kaiserstraße, jeder Dritte beides.

Neue Laufwege Von den deutlich mehr gewordenen Passanten in der Innenstadt, die die Stadtverwaltung ausmacht, hat Gabriele Calmbach-Hatz allerdings nicht viele in ihrem Geschäft Papier Fischer begrüßen dürfen. Sie zählt sich am unteren Ende der Kaiserstraße, gut zehn Gehminuten vom ECE entfernt, „nicht unbedingt zu den Gewinnern“. Den anfänglichen Frequenzrückgang um zehn Prozent „haben wir bis heute noch nicht kompensiert“, sagt die Geschäftsfrau.

Trotz einer grundsätzlich sehr positiven Bewertung findet auch der IHK-Handelsrefent Markus Wolff kritische Aspekte. Abseits der Hauptfußwege zwischen ECE, Postgalerie und Kaiserstraße habe die Zahl der Passanten deutlich abgenommen. „Es gibt eine Konzentration. Das freut diejenigen, die in den Schwerpunkten liegen und ärgert die anderen.“

Reaktionen Zu schaffen machen die neu geschaffenen Attraktionen auch den umliegenden Mittelzentren. Aus Ettlingen, Gaggenau, Bruchsal, Bretten, selbst aus dem Elsass zieht es Einkaufslustige in die Karlsruher Innenstadt. „Karlsruhe schöpft uns einiges an Rahm ab“, redet Bruchsals Oberbürgermeister Bernd Doll nicht um den heißen Brei. Die Veränderungen in Karlsruhe und jetzt auch in Heilbronn „waren daher ein Grund, die Dinge bei uns zu beschleunigen“, beschreibt er die Eigeninitiative: Vergangenen Sommer eröffnete ein C&A. Derzeit graben die Archäologen auf dem Marktplatz. Hier wird zwischen Rathaus und Stadtkirche ein Kaufhaus entstehen. Und ins Erdgeschoss des Rathauses zieht ein H&M. „Damit stärken wir die Innenstadt massiv“, ist das Stadtoberhaupt überzeugt. Auch der ECE-Konzern hatte in Bruchsal angeklopft. Um die gewachsenen Strukturen der Innenstadt nicht auf den Kopf zu stellen, entschied man sich in Bruchsal jedoch gegen eine Ansiedlung. Center-Manager Schröder kann Vorbehalte gegen die innerstädtischen Einkaufscenter verstehen, durch die schon mancherorts die Handelsfläche auf einen Schlag verdoppelt wurde.

„Natürlich führt ein Einkaufscenter zu Umverteilungen“, sagt er, „auch in Karlsruhe.“ Zugleich ist er aber überzeugt, „diejenigen, die verlieren, hätten sowieso verloren“. Und in Karlsruhe bestehe eindeutig eine „Win-Win-Situation“. „Wir erweitern den Handel und bieten ihm eine Plattform. Karlsruhe bietet uns einen attraktiven öffentlichen Raum.“

Die intakte Innenstadt mit zahlreichen Bars, Cafés und Museen an den Plätzen und in den Gassen ist auch für Wirtschaftsförderin Scholz nicht unerheblich für den Erfolg der ECE-Ansiedlung. „Eigentlich ernten wir jetzt die Früchte davon, dass Politik und Verwaltung schon seit 1987 ein Märktekonzept verfolgen.“ Anders als in vielen Städten ließ Karlsruhe in den Randzonen keinen Einzelhandel zu. „Denn Innenstadtangebote gehören in die Zentren, nicht auf die grüne Wiese.“ Und ohne intakte Innenstadt, ist Scholz überzeugt, helfe auch kein ECE.

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