Flächen sind rar

Bürger wehren sich zunehmend gegen Gewerbeansiedlungen
VON SABINE ROCHLITZ , GÖPPINGEN

S T U T TG A R T. Im Land rumort es: In vielen Kommunen in Baden-Württemberg wehren sich die Bürger gegen Industrieansiedlungen. Suchen Unternehmen Flächen, regt sich immer häufiger Widerstand. Auch wenn die meisten Menschen neue Arbeitsplätze im Land befürworten – vor der eigenen Haustür sollen sie scheinbar nicht entstehen. In Nürtingen (Landkreis Esslingen) hat sich jüngst eine Menschenkette formiert. Rund 3000 Teilnehmer wollten ihren Protest zum Ausdruck bringen.
Stein des Anstoßes: Hugo Boss, Modefirma aus Metzingen, will im Gewerbegebiet „Großer Forst“ auf knapp 29 000 Quadratmetern bisheriger Ackerfläche ein Warenlager bauen. Eine daraufhin entstandene Schutzgemeinschaft kritisiert nicht allein das Projekt, sondern auch die Informationspolitik des Oberbürgermeisters.

Ärger mit Anwohnern
In Vaihingen/Enz droht Ärger mit Anwohnern des Gewerbegebiets Ensingen-Süd (Kreis Ludwigsburg). Die Drogeriekette „dm“ will dort im Sommer auf 80 000 Quadratmetern ein Logistikzentrum eröffnen. Dabei hatte es jahrelang geheißen, der Standort sei für Speditionen
nicht geeignet. Nachdem die Stadt bisher lediglich drei von 15 Hektar des gemeinsam mit Illingen erschlossenen Gewerbegebiets verkaufen konnte, berieten die Stadträte von Vaihingen vor Kurzem hinter verschlossenen Türen. Ergebnis: Man will weiteren Logistikern keine Steine in den Weg legen. Daraufhin bildete sich eine Bürgerinitiative gegen das Projekt.

Im Stauferpark in Göppingen möchte die Firma Kleemann, Maschinenlieferant für die Steine- und Erdenindustrie, noch in diesem Jahr die Bagger anrücken lassen. Dort soll auf rund 125 000 Quadratmetern unter anderem eine Brecheranlage entstehen. Die Bürgerinitiative „Lebenswerter Stauferpark“ beschwert sich darüber, dass das Gewerbegebiet damit – entgegen der ursprünglichen Planung – deutlich erweitert und eigentlich für Grünanlagen, Schulen und Sportanlagen vorgesehene Flächen umgewidmet würden.

Einige Beispiele dafür, dass sich Bürger immer häufiger gegen geplante Industrieansiedlungen zur Wehr setzen. Der Landesverband des Vereins „Mehr Demokratie“ sieht diese Entwicklung positiv: Die Zahl der Bürgerbegehren in Baden-Württemberg habe sich im vergangenen Jahr im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt verdreifacht, verkündete jüngst Landesgeschäftsführer Christian Büttner. Im bundesweiten Vergleich würden mehr als 43 Prozent aller Verfahren sogenannte Bauplanungsfragen berühren, sagt Büttner.
Ein Bereich, über den die Bürger im Südwesten lediglich eingeschränkt mitentscheiden könnten. Und dies, obwohl Baden-Württemberg jahrzehntelang das einzige Bundesland war, welches überhaupt Bürgerbegehren und -entscheide kannte. Büttner fordert, die Bauleitplanung aus der sogenannten Negativliste zu streichen und die sechswöchige Frist, binnen der nach einem Gemeinderatsbeschluss das Verfahren eingeleitet werden muss, fallen zu lassen. Zudem sollte das nötige Quorum der Zustimmung von derzeit 25 Prozent auf zehn bis 20 Prozent – wie in Bayern – gesenkt werden.

Den Befürchtungen, dass Bürger dann zu viel blockieren würden, hält er entgegen: „In Bayern bricht die Kommunalpolitik deshalb auch nicht zusammen.“ Und schließlich bedeute ein Bürgerbegehren nicht immer ein Kontra, in etwa der Hälfte der Verfahren erhielte die Kommune ihre Zustimmung. Aber: Die Menschen wollten mehr an den Entscheidungen beteiligt werden.

Deshalb müssten Unternehmen versuchen, die Bürger stärker einzubeziehen. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) plädiert für ein vernünftiges Miteinander. „Wir versuchen, in Streitfällen zu vermitteln“, sagt Armin Behringer, einer der Geschäftsführer der IHK Region Heilbronn. Firmen könnten sich zudem in einer Internet-Datenbank über geeignete Standorte informieren. Wichtig sei dann das persönliche Gespräch. Es gelte, bei der auserkorenen Kommune „auszuloten, wie die Stimmungslage vor Ort ist“, betont Klaus Knörle, der bei der IHK Region Stuttgart das Referat Mittelstand/Raumordnung leitet.

Eine Garantie gibt es trotzdem nicht. So stößt der Motorenbauer MTU in Salem (Bodenseekreis) auf Widerstand mit seinen Plänen, auf zunächst 65 000 Hektar ein Logistikzentrum für rund 40 Millionen Euro zu bauen. Und dies, obwohl ein Gemeinderat das Gelände angeboten habe, wie Firmensprecher Stefan Wortmann betont. „Da geht man doch davon aus, dass das Vorhaben innerhalb der Kommune besprochen ist.“ Im Oktober hatten die Bürgervertreter den Grundsatzbeschluss zur Ansiedlung des Unternehmens bei lediglich einer Gegenstimme gefasst, sagt Bürgermeister Manfred Härle. Mittlerweile hat sich jedoch eine Initiative „Bürger für Salem“ gegründet, die das Vorhaben mit einem Bürgerbegehren stoppen will. Die Reaktion bei MTU: „Wir verfolgen das jetzt erst einmal und entscheiden dann, wie wir weiter vorgehen“, sagt Wortmann. „Allerdings werden wir nicht endlos zuschauen.“

Bürgerüberzeugen
Der MTU-Sprecher betont, dass man noch andere Alternativen in der Umgebung habe. „Die stehen Gewehr bei Fuß.“ Das ist Härle bewusst. Der Rathauschef der 1200-Einwohner-Kommune hofft deshalb, die Bürger noch überzeugen zu können. Schließlich gehe es auch um etwa 160 Arbeitsplätze. Wenn MTU irgendwann entnervt sein Vorhaben fallen lasse, „möchte ich vor Ort den Aufschrei hören“, sagt Härle. Er habe den Eindruck, dass viele sich erst dann für Kommunalpolitik interessieren, „wenn es ihre eigene Sphäre betrifft“.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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5 Antworten zu Flächen sind rar

  1. k-St. sagt:

    Der Mann sorgt schließlich für Arbeitsplätze auf seiner Gemarkung.

  2. -rath. sagt:

    Am großen Förderer für Gewerbeansiedlungen!

  3. hjb sagt:

    Woran mag das wohl liegen?

  4. nieb. sagt:

    In Bretten gehen die Uhren anders als im übrigen Land.

  5. mm sagt:

    Falls die Firmen Deuerer, Neff und Wolfmüller die „Stimmungslage vor Ort“ in Betracht ziehen würden, käme es wohl kaum zu einer Ansiedlung im Rüdtwald. Aber vielleicht bilden sie ja die berühmte Ausnahme und 6000 Bürger, bzw. deren Votum gegen die Zerstörung des Rüdtwaldes, ist ihnen schnurzegal! Wir werden sehen !!

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