Von „Entrümpelung“ ist nicht mehr die Rede

Oettinger und Rau demonstrieren Einigkeit bei Nachbesserung des achtjährigen Gymnasiums
Lehrer müssen nicht mit zusätzlicher Arbeit rechnen
Von unserem Redaktionsmitglied Wolfgang Voigt
Stuttgart. Die Wortwahl von Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat sich merklich verändert: Wo er vor einer Woche noch von der „Entrümpelung“ der Lehrpläne am achtjährigen Gymnasium sprach, ist jetzt nur noch von einer „Flexibilisierung“ der Inhalte die Rede. Weitgehend abgerückt ist der Regierungschef zudem von seiner Forderung, das Pensum in Physik, Chemie und Biologie merklich einzudampfen. „Das sollen die Fachleute entscheiden“, sagt Oettinger jetzt. Fest steht für den Ministerpräsidenten hingegen: „Wir müssen das schulische Programm in Zukunft so ausrichten, dass an langen Schultagen Hausaufgaben in der Schule erledigt werden können und dass wir die dafür nötige Unterstützung gewähren.“

Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz demonstrierten Oettinger und sein Kultusminister Helmut Rau gestern Einigkeit. Der Tenor: Es ist beim achtjährigen Gymnasium (G 8) konsequent, dort nachzubessern, wo Bedarf besteht. Einen „großen Änderungsbedarf“ gebe es jedenfalls nicht, sagte der Ministerpräsident. Beobachter werteten diese Relativierung als Reaktion Oettingers auf Äußerungen seines Fraktionsvorsitzenden Stefan Mappus (CDU). Der Pforzheimer hatte dringenden Reformbedarf bei den Gymnasien im Land bezweifelt. Nach Ansicht des Regierungschefs braucht es einen Mittelweg innerhalb der bundesweiten G 8-Debatte. „Wir dürfen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, aber auch nicht alles so lassen wie es ist.“ Damit würde man die Akzeptanz von G 8 bei vielen Eltern gefährden, warnte Günther Oettinger.

Merklich war Oettingers Bemühen, den Eindruck zu zerstreuen, er habe mit seinem überraschenden Vorstoß vom Aschermittwoch aus der Hüfte geschossen. Über das Thema habe man bereits Mitte Januar Gespräche geführt, erklärte der Ministerpräsident. Alle Nachjustierungen beim Turbo-Gymnasium haben für Oettinger den Sinn, die Qualität des Abiturs zu halten und den Gymnasiasten Chancengleichheit zu bieten: „Es darf nicht sein, dass Eltern für ihr Kind vom Gymnasium Abstand nehmen, nur weil sie sich nicht zutrauen, bei den Hausaufgaben zu helfen.“ Kultusminister Rau unterstreicht daneben die Notwendigkeit, den Schülern Raum für außerschulische Aktivitäten und das Familienleben zu lassen. „Wenn Schüler um 16.30 Uhr von der Schule nach Hause kommen, müssen sie mit Schule für diesen Tag fertig sein“, so Rau. Greifen sollen die Neuerungen nach Auskunft von Kultusminister Rau zum Schuljahr 2009/10.

Nach Darstellung des Kultusministers hat das Land anlässlich der Einführung von G 8 die Lerninhalte angepasst. Zuvor verpflichtende Stoffe seien aus dem Programm genommen worden. „Es war nicht gewünscht, dass die Schulen einfach auf die alten Lehrpläne zurückgreifen“, sagte der Minister. Hier müsse gegebenenfalls innerhalb der Kollegien nachgebessert werden. Nicht in Frage kommt es laut Ministerpräsident Oettinger, die Lehrer mit zusätzlichen Wochenarbeitsstunden zu belasten.

Die Grünen im Landtag kritisierten Oettingers „defensive Erklärungen“. Die angekündigte Entrümpelung sei wohl nur eine Fata Morgana gewesen, sagte die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, Renate Rastätter.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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6 Antworten zu Von „Entrümpelung“ ist nicht mehr die Rede

  1. RL sagt:

    Wenn Politiker von entrümpeln reden, dann muss ich an solche Dinge wie Kopfpauschale oder große Steuerreform denken. Das wurde auch nie umgesetzt… Ob es die perfekten Konzepte waren, darüber kann man streiten – beser als das jetzige System wäre es allemal weil einfache Lösungen die besten sind…

    Es wird wie immer nur verschlimmbessert werden… Und Bildung wird darauf reduziert werden fachwissenbetankte Funktionierer für die Wirtschaft nachzuzüchten. So unkritisch wie möglich natürlich und möglichst Etikfrei.

  2. B-L sagt:

    Kultusminister reklamieren gern das öffentliche Gut Bildung für sich.
    Mit ihrer desolaten Schulpolitik drängen sie Eltern geradezu in ein privates Parallelsystem.

  3. ed./La. sagt:

    Übrigens, der Run auf die Privatschulen ist eine logische Antwort auf die staatliche Bildungspolitik.

  4. L.K. sagt:

    Bloß, wer soll es anpacken?
    Die Opposition (SPD und Grüne) etwa? – Daß ich nicht lache!

  5. ulf. sagt:

    Aber doch – es muss einiges im Musterland entrümpelt werden!

  6. Zumb. sagt:

    Bei einem geführten Landtagsbesuch in Stuttgart durften wir auf der Zuschauertribüne rein zufällig eine Debatte um Schüler-und Lehrerzahlen anhören und ansehen.
    Kurz nachdem Herr Rau (CDU) das Wort ergriffen hatte, musste ich die Tribüne verlassen, um nicht völlig der Wirkung einer Körperverletzung zu erliegen.

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