Vertrauen in Kommunikationsmittel schwindet

Vorratsdatenspeicherung
Karlsruhe – Die zum Jahresbeginn in Deutschland eingeführte flächendeckende Speicherung von Kommunikations- und Standortdaten behindert in weiten Bereichen der Gesellschaft die Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet als freie Kommunikationsmittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung. Ein Eilantrag zur Aussetzung des Gesetzes liegt dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe vor. Das BVerfG wird zudem am 27. Februar sein Urteil über die Zulässigkeit von Online-Durchsuchungen durch Ermittlungsbehörden bekanntgeben.

Bürger, die keine E-Mails mehr versenden, Journalisten, die den Kontakt zu Informanten verlieren, Unternehmer, die Unterlagen wieder per Post verschicken müssen – die von CDU, CSU und SPD eingeführte Vorratsdatenspeicherung führt in weiten Bereichen der Gesellschaft zurück in die Zeit, als es weder Telefon noch Internet gab. Dies ist das Ergebnis einer nicht repräsentativen Umfrage des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung unter 8.000 Personen Ende Januar, die nach beobachteten Auswirkungen des Gesetzes fragte.

Anrufe bei Drogenberatern und Psychotherapeuten bleiben aus
Ein Journalist berichtete etwa, ein Informant aus einer Sicherheitsbehörde habe ihm bereits in der Neujahrsnacht mitgeteilt, er möchte „ab heute nie mehr unter dieser Nummer“ angerufen werden. Auch SMS mit „Sitzungsergebnissen“ erhalte der Journalist seit Jahresbeginn nicht mehr. Ein Steuerberater teilt mit, seine Mandanten würden seit Jahresanfang telefonische Rückfragen bei ihm scheuen. Er befürchte, „dass sich die Mandanten mangels Beratung strafbar machen“ könnten.

Ein Unternehmer aus Süddeutschland klagt, seine Kunden würden „sicherheitsrelevante Beschreibungen“ nur noch persönlich übergeben wollen, was dem Unternehmen große Schwierigkeiten bereite. Seine Firma habe dadurch vor wenigen Tagen „einen Großkunden verloren“, was den Verlust von zwei bis drei Arbeitsplätzen nach sich ziehen werde. Drogenberater und Psychotherapeuten beklagen, dass Anrufe ausbleiben oder inhaltslos verlaufen. Ein Rettungsassistent berichtet gar von einem Patienten, der nicht wollte, dass sein Zustand telefonisch an die Klinik durchgegeben wird, in die er eingeliefert werden sollte.

„Große Einschränkung der Freiheit und persönlichen Sicherheit“
„Politisch aktive Menschen, Firmenkunden und Hilfsbedürftige, die der Telekommunikation nicht mehr vertrauen – solche erschreckenden Zustände würde man in einer Diktatur erwarten, aber nicht in einem freiheitlich verfassten Staat“, kommentiert Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Ergebnisse der Umfrage. „Wir haben seit langem vor den Folgen einer Protokollierung des Telekommunikations- und Bewegungsverhaltens der gesamten Bevölkerung gewarnt; ihre nun bekannt gewordenen tatsächlichen Auswirkungen übertreffen meine schlimmsten Befürchtungen noch.“

„Aus diesen Berichten heraus wird deutlich, dass die neuere Überwachungsgesetzgebung von den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur als große Einschränkung ihrer Freiheit, sondern auch ihrer persönlichen Sicherheit empfunden wird,“ ergänzt Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis. „Damit erreicht der Gesetzgeber das Gegenteil dessen, was er als Argument für die Beschneidung der Bürgerrechte anführt. Es ist höchste Zeit für eine Kurskorrektur.“

Verfassungsbeschwerde eingelegt
Insgesamt ist eine dreistellige Zahl von Antworten eingegangen. Berichte über nachteilige Auswirkungen kamen neben Privatpersonen und den bereits angesprochenen Berufsgruppen auch von Anwälten, Forschern, betrieblichen Vertrauenspersonen, Ärzten, Seelsorgern und Geistlichen. Etliche Schilderungen Betroffener sind für einen Schriftsatz an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zusammengestellt worden, um den dort vorliegenden Eilantrag auf Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung weiter zu untermauern. Das Gericht hat sich nach Angaben von Ricardo Cristof Remmert-Fondes, Pressesprecher des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung, noch nicht zu dem Eilantrag geäußert. Er hofft auf eine Entscheidung in dieser oder der nächsten Woche. Der Schriftsatz steht im Internet in einer anonymisierten Version zum Download bereit.

Das BVerfG wird zudem sein mit Spannung erwartetes Urteil über die Zulässigkeit von Online-Durchsuchungen durch Ermittlungsbehörden am 27. Februar verkünden. In dem Verfahren geht es um das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz, das als bisher einziges Gesetz das heimliche Ausspähen von privaten Computern erlaubt. Dagegen hatten eine Online-Journalistin, ein Mitglied der Partei Die Linke und drei Rechtsanwälte Verfassungsbeschwerde eingelegt. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erhofft sich dabei schon eine Grundsatzentscheidung von Seiten des Gerichts zu dem gesamten Themenkomplex. (ps/phf)

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Eine Antwort zu Vertrauen in Kommunikationsmittel schwindet

  1. -nz- sagt:

    „…solche erschreckenden Zustände würde man in einer Diktatur erwarten,…“

    Erinnert das nicht an die frühere DDR? Kurz vor der Auflösung der DDR waren die Zustände m.E. besonders erschreckend.

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