Fahrgäste in der Stadtbahn helfen dem wehrlosen Opfer nicht / Amtsgericht Karlsruhe verhängt Freiheitsstrafen
Richter sieht keinen Spielraum für Bewährungsstrafe
Von unserem Mitarbeiter Klaus Müller
Karlsruhe/Ettlingen. „Eigentlich müsste hier die Allgemeinheit auf der Anklagebank sitzen.“ Kaum jemand im Gerichtssaal konnte und wollte dem Satz von Rechtsanwalt Uri Popper widersprechen. Was da am 2. Juli 2006 geschah, wohlgemerkt in einer voll besetzten Straßenbahn, ist eine Geschichte, über die jeder, sobald er sie hört, den Kopf schüttelt – „das ist doch nicht möglich“ – und dennoch ist es passiert.
Vor den Augen zahlreicher Passanten wurde ein behinderter, fast blinder Mann von zwei jungen Männern aufs Übelste traktiert, und niemand half dem Opfer. Keiner reagierte auf die Hilferufe des Mannes. Sein Ruf „Helft mir bitte“ verhallte in der Stadtbahn. Erst nachdem einer der Täter den Behinderten mit einem Faustschlag, dabei hatte er einen Schlagring an der Hand, regelrecht umhaute, begann sich, die bis dato träge und „blinde“ Masse in der Stadtbahn zu bewegen. Einige Mitfahrer kümmerten sich um das Opfer.
Bedrückend war die Verhandlung vor dem Schöffengericht am Karlsruher Amtsgericht unter Vorsitz von Richter Thomas Müller allemal. Hier, auf der Anklagebank zwei Männer im Alter von 30 und 31 Jahren, dort, auf der Nebenklägerbank ihr Opfer, das bis zum heutigen Tag unter den Folgen der „hässlichen Tat“ leidet. Die Formulierung „hässlicher Fall“ fiel immer wieder im Verlauf der Verhandlung. Und es wurden etliche Augenzeugen befragt. Einige konnten sich nicht mehr so recht erinnern, andere wollten sich nicht mehr so recht erinnern. Nur ganz wenige zeichneten ein Bild von den Geschehnissen in der Stadtbahn, das erschreckender hätte nicht ausfallen können. Ihren Anfang nahm die Geschichte an der Stadtbahnhaltestelle in der Nähe des Epplesees. Nach einem vergnüglichen Badetag fuhren viele Badgäste mit der Stadtbahn zurück nach Karlsruhe. Unter ihnen die zwei Beschuldigten mit freiem Oberkörper und, wie eine Zeugin aussagte, mit „viel Imponiergehabe“.
Ein Opfer fanden die beiden Männer schnell – den behinderten, fast erblindeten Mann. „Er war zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort“, konstatierte später Staatsanwältin Petra Dietz.
In der Straßenbahn suchten die Täter ihr Opfer regelrecht heim: mit Beschimpfungen, mit Ellenbogen-Schlägen. Als die Stadtbahn den Albtalbahnhof erreicht hatte, schlug einer der Täter nochmals zu. „Blitzschnell und mit voller Wucht“, erinnerte sich ein Zeuge, „und das noch mit einem Schlagring“. Der Behinderte stürzte daraufhin zu Boden.
Kurz danach trotteten die Täter in aller Selenruhe davon; allerdings verfolgt von einem Passanten. Dadurch gelang es der Polizei, sie wenige Minuten nach der Tat zu fassen. Keinen Spielraum für eine Bewährungsstrafe, gefordert von den Verteidigern, sah das Gericht. Das Schöffengericht verurteilte die Täter zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und zehn Monaten beziehungsweise zwei Jahren.