Alle Räder stehen still

Von Heiko Fritze
Zu einem ungewöhnlichen Mittel des Protests haben die Einwohner des Heilbronner Stadtteils Kirchhausen gegriffen: Zwei Stunden lang haben einige am Freitagnachmittag ihre Fahrzeuge völlig korrekt – nämlich nicht teilweise auf dem Gehweg parkend – in der Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 39 abgestellt; andere betätigten die Fußgängerampeln im Dauerbetrieb. Die Folge: Alle Auto- und Lastwagenfahrer, die über Land den Stau auf der Autobahn 6 umgehen wollten, standen wiederum im Stau.

„Man darf sich einfach nicht alles gefallen lassen“, sagt Elvira d’Apolonia. Sie wohnt mit ihrer Familie, darunter drei Kinder, am Ortseingang an der Hauptstraße. „Nachts kann man das Fenster nicht offen lassen, und morgens um 5 geht es mit den Lastwagen los“, erzählt sie. Nun steht der 45 Jahre alte Traktor der Familie am Straßenrand, und jeder 40-Tonner muss einen Bogen um ihn machen – wenn der Gegenverkehr es überhaupt zulässt.

„So kann es einfach nicht weitergehen“, meint Jürgen Wörsching. Zusammen mit anderen Anwohnern hat er die Aktion organisiert. „Es würde uns schon viel helfen, wenn der Schwerverkehr nicht mehr durch den Ort fahren dürfte.“ Der Platz für die Schwerlaster ist ohnehin beschränkt: In den engen Kurven am Deutschordensschloss fahren die Trucker routinemäßig über den Bürgersteig. Während der Park-Blockade nutzten sie auch jede andere sich bietende Gelegenheit, um über den Bürgersteig ein Stückchen weiter zu kommen.

„Hier hält sich auch niemand an Tempo 30“, schimpft Wörsching. Zeit ist schließlich Geld im Speditionsgewerbe. Je länger die Wartezeiten werden, um so nervöser werden die Brummifahrer. Während sie warten, greifen viele zum Handy und geben die Verspätung durch, andere funken Kollegen per CB-Gerät an. Einer schimpft lauthals, als er auch noch die Arbeitsfahrzeuge eines Dachdeckerbetriebs umkurven muss, dessen Mitarbeiter gerade an einem Haus in der Ortsdurchfahrt arbeiten. „Die Polizei hat gesagt, wir dürfen so parken“, antwortet ein Handwerker.

„Die Leute sind aggressiv bis zum Anschlag“, erzählt Bezirksbeiratssprecher Bruno Bopp. Und damit meint er nicht die Trucker. „Einige Anwohner sind mit den Nerven fertig.“ Noch wenigstens bis Ende Oktober werde Kirchhausen beliebte Ausweichstrecke bleiben, habe man ihm auf dem Heilbronner Rathaus mitgeteilt – so lange würden wohl die Stau verursachenden Baustellen auf der A 6 noch andauern. „Es bringt auch nichts, keine Umleitungsempfehlung mehr im Radio auszusprechen“, hat Bopp festgestellt. „Mit den Navigationsgeräten suchen die Fahrer sich ihren Weg selber.“ Mittlerweile seien vier von fünf Lastwagen ausländischer Herkunft, hat Jürgen Wörsching beobachtet. Slowaken, Tschechen und Polen sind darunter am häufigsten. „Man kann eben keine Autobahn durch einen Ort leiten“, meint Anwohner Nicolai Knauer.

Ihren Protest sehen die Kirchhausener als Warnsignal. „Wir müssen jetzt doch mal eine Demonstration beantragen“, meint Bruno Bopp.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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5 Antworten zu Alle Räder stehen still

  1. RL sagt:

    Also diese Aktion fände ich genial. Bis auf den kleinen Wehrmutstropfen, dass in dem Stau auch jede Menge Brettener gefangen wären. Aber wenn man das regelmäßig an einem Tag im Monat machen würde, dann könnte man sich als Brettener auf das Chaos einstellen. Ein Tag Urlaub machen und mit der Kamera die Wüteriche in ihren LKWs angucken. Vielleicht noch ein paar Handybilder an die Leserreporter Abteilung der Bild Zeitung schicken und ich bin sicher einige Andere aufgebrachte Gemeinden kommen dann auch auf die Idee das zu machen.

    Aber vermutlich wird dann ein generelles Halteverbot ausgesprochen…

  2. Polak sagt:

    Gilt auch heute noch :

    Mann der Arbeit, aufgewacht!
    Und erkenne deine Macht!
    Alle Räder stehen still,
    Wenn dein starker Arm es will.

    Bundeslied für den Allgemeinen deutschen Arbeiterverein, 1863 von Georg Herwegh

  3. H.U. sagt:

    Ja, der Bürger muss selbst aktiv werden. Allerdings könnte das die Stadt auch selbst – mit der vielzitierten Brettener Rathaus-Schläue vielleicht.

    Sperrschilder aufstellen, obwohl nicht genehmigt (wann kontrolliert schon das Regierungspräsidium), Brücken- bzw. Tunnelschilder niedriger deklarieren als tatsächlich vorliegend (Max. Höhe 2,80m und schon wären die ungarischen Mautpreller draussen), Kreisle NICHT vergrößern, längst genehmigte und angeordnete Nachtfahrverbotsschilder aufstellen…

  4. -Ger.-Luk.- sagt:

    Die geplagten Brettener werden den Mumm dazu haben müssen, sobald sie erkennen, dass ihre Volksvertreter die Hände in den Schoß gelegt haben.

  5. mm sagt:

    das wäre doch was für die geplagten Brettener? Aber dazu gehört halt nein wenig Mumm….

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