Durch die Welt ging ein Ruck

In seiner „Berliner Rede“ thematisiert Bundespräsident Köhler die Globalisierung
Berlin. Nichts Neues unter der Sonne, alles schon einmal da gewesen. Die Krise der amerikanischen Hypothekenbanken, die leichtfertig Kredite vergeben und damit die internationale Finanzwelt erschüttert haben, kommt für Bundespräsident Horst Köhler nicht wirklich überraschend. „Gier und Dummheit sind alte Verbündete“, sagt er gestern bei seiner mit Spannung erwarteten zweiten „Berliner Rede“, die er dem Thema Globalisierung widmet, „die Menschen führen immer wieder dasselbe Stück auf“.

Genüsslich erinnert er an die „Tulpomanie“ im 17. Jahrhundert, als die Preise für die aus dem Morgenland stammenden Blumen derart in die Höhe schossen, dass man in Amsterdam für eine Handvoll Blumenzwiebeln ganze Häuser kaufen konnte. „Jeder hätte wissen können, dass dahinter reine Spekulation steckte.“ Am Ende brach die Blase zusammen und viele hatten alles verloren.
Für Horst Köhler ist die Lehre aus diesem stets wiederkehrenden Verhalten klar: Nichts gegen freie Märkte, aber sie bedürfen auch „ausreichender politischer Kontrolle und Rechenschaftspflicht, damit die Politik ihre Verantwortung wahrnehmen kann“.
Nichts gegen privatwirtschaftliches Handeln, „aber die Freiheit dazu bringt auch Verantwortung mit sich“. Europa, das mehr Kriege, Ideologien, Fanatismus und Verbrechen hinter sich habe als manch andere Weltgegend und deshalb etwas müder und skeptischer, aber auch ein bisschen weiser geworden sei als andere, könne der Welt viel berichten: „Über unsere guten Erfahrungen mit persönlicher Freiheit und gelebter Vielfalt, über unsere Verbindung von Markt und sozialem Ausgleich, über gelungene Transformation nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.“ Als Köhlers Vor-Vorgänger Roman Herzog 1997 die Institution der „Berliner Rede“ ins Leben rief, forderte er in seiner berühmten „Ruck-Rede“, dass ein „Ruck“ durch Deutschland gehen müsse.
Genau zehn Jahre später stellt Horst Köhler zufrieden fest: „Durch die Welt ist ein Ruck gegangen.“ Überall würden sich die Nationen in Schwung bringen und die internationale Zusammenarbeit gleiche einer „einzigen, riesigen Baustelle, auf der überall beraten, geplant, erneuert und erweitert wird“. Deutschland, so der Befund des Staatsoberhauptes, brauche sich vor dem Wandel nicht fürchten, es gelte auf dem Globus als „fair und verlässlich“ und es genieße Vertrauen. Ausdrücklich würdigt er die „mutigen Reformen der vergangenen Jahre“, die das kräftige Wirtschaftswachstum und den Abbau der Arbeitslosigkeit möglich gemacht hätten. Vollbeschäftigung in Deutschland sei möglich.
Genauso offen spricht Köhler die Kehrseiten der Entwicklung an: Die Ungleichheit der Einkommensentwicklung, die Angst der Menschen vor sozialem Abstieg und die Abkopplung der einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten. „Der Aufstieg der einen darf nicht der Abstieg der anderen sein“, fordert Köhler, die Arbeitnehmer müssten an den Erträgen und am Kapital der Unternehmen beteiligt werden, alle sollten gleiche Zugangschancen zu guter Bildung, zu wirtschaftlichem Erfolg und zu sozialem Aufstieg haben. Gleichwohl kommt Köhler zum Schluss seiner rund 50-minütigen Grundsatzrede nicht umhin, seinen Landsleuten die Leviten zu lesen. Das Bildungswesen schneide im internationalen Vergleich nur mittelmäßig ab, der vorsorgende Sozialstaat sei wenig effektiv, die bestehenden Strukturen engten die Handlungsspielräume der Bürger ein, das politische System sei nicht besonders wandlungsfreudig und lernbereit, die Erneuerung bleibe auf halbem Weg stehen. Dies habe nichts mit der Globalisierung zu tun. An anderer Stelle wird Köhler noch deutlicher: „Die Globalisierung jedenfalls hindert uns nicht daran, unser Haus in Ordnung zu bringen — sie beleuchtet nur, wie nötig das ist.“
Gleichwohl, bange machen gilt nicht. Und so sieht der Bundespräsident trotz aller Risiken der Herausforderung optimistisch entgegen. „Denn die Globalisierung, das ist einfach das Leben, das gestaltet sein will, durch nüchternes Tagwerk und schöpferische Fantasie, durch fortwährende Anstrengung und fröhliche Begeisterung.“ Martin Ferber

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2 Antworten zu Durch die Welt ging ein Ruck

  1. -el- sagt:

    „Das Bildungswesen schneide im internationalen Vergleich nur mittelmäßig ab, der vorsorgende Sozialstaat sei wenig effektiv, die bestehenden Strukturen engten die Handlungsspielräume der Bürger ein, das politische System sei nicht besonders wandlungsfreudig und lernbereit, die Erneuerung bleibe auf halbem Weg stehen.“

    Brauchen deshalb die „da oben“ nicht besonders schlau zu sein?
    Wird dann zusätzlich im richtigen Leben der Rest noch vom Lug, Betrug, Manipulation, Korruption , (Pseudo) Macht usw., versorgt?

  2. -an-i- sagt:

    „…das politische System sei nicht besonders wandlungsfreudig und lernbereit,…“
    Beginnend in den Dörfern, Städten …

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