Schlechtes Gewissen

MARTIN FERBER
Alles ist teurer geworden. Der Staat hat die Mehrwertsteuer kräftig erhöht, die Stromkonzerne zocken die Bürger ab, die Benzinpreise erreichen Rekordhöhen und auch die Mieten wie die ganz normalen Lebenshaltungskosten kennen nur einen Weg: steil nach oben. Nur eines hat sich in dieser Zeit so gut wie nicht verändert: der Regelsatz für die Hartz-IV-Empfänger. Nachdem er zweieinhalb Jahre lang bei 345 Euro lag, wurde er zum 1. Juli um zwei Euro angehoben. Angesichts der massiven Preissteigerungen in allen Bereichen ein Tropfen auf den heißen Stein, für die Betroffenen kaum der Rede wert.

Auf den ersten Blick klingt die Forderung einiger prominenter Politiker aus allen Parteien, den Hartz-IV-Regelsatz alle zwei Jahre zu überprüfen und ihn bei Bedarf automatisch an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen, sinnvoll. Die Sozialhilfe findet nicht im luftleeren Raum statt, der Regelsatz ist kein willkürlich festgelegter Wert, sondern hat sich an den Ausgaben fürs tägliche Leben zu orientieren. Wer die automatische Anpassung an die Inflationsrate fordert, darf sich des Beifalls der Betroffenen sicher sein.

Bei genauerem Hinsehen allerdings wird klar, dass dies kein geeignetes Mittel ist, für einen gerechten Ausgleich zu sorgen. Denn weder die Löhne und Gehälter noch die Renten und erst recht nicht alle anderen staatlichen Leistungen vom Kindergeld bis zum Bafög sind an die Inflationsrate gekoppelt, weder die Erwerbstätigen noch die Rentner erhalten unverzüglich mehr Geld, wenn die Lebenshaltungskosten steigen. Nein, nein, der Gesetzgeber hat sich schon etwas dabei gedacht, als er Hartz IV an die Renten gekoppelt hat, sind diese doch abhängig von der Entwicklung der Löhne und Gehälter. Verdienen die Erwerbstätigen mehr, profitieren davon auch die Rentner und die Langzeitarbeitslosen, müssen die Berufstätigen Nullrunden hinnehmen, wirkt sich das unmittelbar auf die Bezieher der Transfereinkommen aus. Das ist transparent und gerecht. Immerhin, die Debatte um Hartz IV offenbart, dass die politische Klasse ein gerüttelt Maß an schlechtem Gewissen plagt.

Wer ständig Lohnverzicht fordert, den Ausbau der Mini-Jobs und des Niedriglohnbereichs forciert, die Sozialleistungen begrenzt, Rentenkürzungen beschließt und gleichzeitig die Steuern erhöht, darf sich nicht wundern, wenn die Bürger immer weniger im Geldbeutel haben, egal ob Erwerbstätige, Rentner oder Langzeitarbeitslose. Die Jahre des Verzichts und der permanenten Kürzungen gehen an der Gesellschaft nicht spurlos vorüber.

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9 Antworten zu Schlechtes Gewissen

  1. P.L. sagt:

    Herr Sozialminister Müntefering (SPD) kämpft für (s)einen Mindestlohn.

    Das heißt schon was!

  2. Nag. sagt:

    Die Sozialminister sorgen sich um den sozialen Abstieg. Dieser wird ihnen letztlich den wohl verdienten Schlaf rauben.

  3. Th. sagt:

    Unter dem Konkurrenzkampf der Parteien und Interessengruppen ist ein antizyklisch und sozialkonsumtiv motivierter Ausgabenrausch entstanden (Jochen Röpke).

  4. b/m sagt:

    Es reicht eben bei weitem nicht aus, wenn Landtagsabgeordnete nach Stuttgart einladen, Firmenbesichtigungen organisieren, Kreisel eröffnen, die Hauptschule retten, sich um ihr Image sorgen u.v.a.m.

    Von diesen Aktivitäten haben die Bürger so gut wie nichts. Die Abgeordneten stehen immerhin in der Tageszeitung.

  5. F.M. sagt:

    Den Ansatz im 4. Kommentar kennt Herr Joachim Kößler als Volkswirt und Mitglied des Landtags (Wahlkreis Bretten).

    Darum soll er sich mal im Finanzausschuss für die Menschen einsetzen. Denn dort wird Geld (gerecht) verteilt.

  6. dr sagt:

    Ein volkswirtschaftpolitischer Ansatz empfiehlt, auf eine gerechte Ordnung hinzuarbeiten, die dem Wesen des Menschen und der Sache entspricht und in der Maß und Gleichgewicht herrschen.

  7. g-d sagt:

    Die Christliche Soziallehre erkennt Freiheit und Eigentum des einzelnen im liberalen Sinne an.

    Diese Anerkennung muss aber in eine soziale Verpflichtung dem Ganzen gegenüber eingebunden sein.

    Wie steht es damit in der (Sozial-)Politik?

  8. Z.K. sagt:

    Eine geistige Grundlage der christlichen Soziallehre (sollte für alle Parteien im Bundestag gelten) ist die Verminderung „scharfer“ Einkommens- und Vermögensunterschiede im Sinne der austeilenden Gerechtigkeit.

    Im Mittelpunkt stehen staatliche Vorkehrungen zur Erleichterung des sozialen Aufstiegs – und nicht wie bei Hartz IV des sozialen Abstiegs!

    Weiter die Sicherung eines menschenwürdigen Unterhalts – sicherlich nicht Hartz IV – für diejenigen Menschen, welche wegen Alter, Krankheit, Unfall, geistiger und psychischer oder körperlicher Schwäche kene Arbeit finden

    – an die Adresse von Arbeits- und Sozialminister Müntefering (SPD) –

    oder nicht selbst für sich sorgen können.

  9. -el- sagt:

    „Nachdem er zweieinhalb Jahre lang bei 345 Euro lag, wurde er zum 1. Juli um zwei Euro angehoben.“

    Das könnte ein Betrag sein, den eine kleine Familie eines Befürworters des Hartz IV Gesetzes für ein Abendessen in einem Lokal für „feine Leute“ ausgibt. Mit 2 Euro Trinkgeld wird der Zecher noch als knauserig angesehen.

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