Mit Nebenwirkungen: Klimawandel in Baden-Württemberg

26.05.2007 Karlsruhe. Reinen Wein einschenken -­ das hatten sich wohl die Wissenschaftler am Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) vorgenommen, als sie die Mitglieder des Umweltausschusses im Landtag von Baden-Württemberg vor wenigen Tagen zu Gast in der renommierten Einrichtung hatten. Das Thema beim Informationsbesuch der Abgeordneten war der drohende Klimawandel, insbesondere ging es dabei um die Folgen und Auswirkungen für Baden-Württemberg.

Die ernüchternde Nachricht für die Politiker an diesem Tag: In den kommenden 30 bis 40 Jahren kann der Klimawandel zunächst gar nicht mehr aufgehalten werden. Und: Die Nutzung erneuerbarer Energien ist längst nicht so weit fortgeschritten, wie manch einer Glauben machen will. Sonnen- und Windenergie jedenfalls werden nach Ansicht der Wissenschaftler in Karlsruhe auch in 50 Jahren nicht den Löwenanteil bei den erneuerbaren Energien darstellen.

Die globalen Klimamodelle sprechen nach dem Bericht der „Zwischenstaatlichen Sachverständigengruppe über Klimaveränderung” der Vereinten Nationen eine eindeutige Sprache. Doch in einem nächsten Schritt sind nun regionale Szenarien gefragt ­ Politiker vor Ort wollen wissen, was vor ihrer eigenen Haustüre passiert. Die Forscher des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung am Forschungszentrum Karlsruhe haben sich damit befasst. Wolfgang Seiler, einer der Professoren des Instituts und zuständig für den Bereich Atmosphärische Umweltforschung, machte klar, dass der Südwesten Deutschlands besonders vom Klimawandel betroffen sei. In den kommenden 30 bis 50 Jahren sagt er für Baden-Württemberg einen Temperaturanstieg von etwa zwei Grad voraus. Hinzu kommt noch ein Anstieg von einem weiteren Grad, der sich schon vollzogen hat und dazu gerechnet werden muss.

Folgen für den Tourismus
Dies hat Folgen, etwa für den Wintertourismus. Seiler sagt für das Jahr 2070 eine Verkürzung der Wintersaison mit lediglich wenigen Tagen Schnee auf den Schwarzwaldhügeln voraus. Der Grund: Die durchschnittliche Schneefallgrenze könnte nach seinen Berechnungen um bis zu 500 Meter ansteigen. Ein anderes Beispiel: der Sommertourismus im Jahr 2030. Die Sommer werden deutlich länger, trockener und wärmer. Nicht zu warm aber für die Südeuropäer. Diese würden deutlich häufiger den Weg über die Alpen nach Deutschland finden, so Seiler, der das als „enorme Chance” bezeichnete. Wo viel Licht, da auch viel Schatten: Die Anzahl der heißen Tage über 30 Grad wird deutlich ansteigen -­ mit Folgen für die Gesundheit. Die Anzahl der Tage mit einem Ozonwert von über 180 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft wird sich um das Achtfache erhöhen. Auch Insekten werden zunehmen: „Der Oberrheingraben ist nur deshalb noch nicht zum Malaria-Gebiet geworden, weil unser Gesundheitssystem hervorragend ist”, betont Seiler.

Viel stärkere Auswirkungen haben nach Ansicht der Forscher aber die Veränderungen bei den Niederschlägen. Für den Rhein wird mit einem 30-prozentigen Anstieg der Regenmengen gerechnet. Die Pegel werden generell höher liegen als heute, weil 80 Prozent des zusätzlichen Wassers nicht versickert, sondern den Rhein hinunterfließen wird. Mehr Hochwasserereignisse mit neuen Rekordpegeln sind die Folge. Doch der Niederschlag hat auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft im Lande: zu befürchten sind Ertrags- und Qualitätseinbußen, gerechnet werden kann aber auch mit steigenden Chance aufgrund verlängerter Vegetationsphasen.

Der Klimaforscher plädierte für eine Steigerung der Energieeffizienz und für ordnungspolitische Maßnahmen, beispielsweise im Mietrecht oder bei der Autosteuer. Seine Forderung: „Jedes Gesetz muss auf seine Klimaverträglichkeit überprüft werden”. Die Mitarbeiter des Instituts wollen in Zukunft die Anstrengungen für das Erstellen regionaler Klimamodelle mit „lupenartigen Blicken” verstärken, die fast die Qualität einer Wettervorhersage haben sollen. Ausschussmitglied Bernhard Schätzle (CDU) lobte den regionalen Ansatz, er helfe bei langfristigen Flächennutzungs-Entscheidungen, die die Politiker zu treffen hätten.

Nicht besser als der Durchschnittsamerikaner
Einen Einwand des SPD-Abgeordneten Winfried Scheuermann wies FZK-Forscher Seiler zurück. Ersterer hatte moniert, warum man in Amerika nicht zu denselben Ergebnissen gelange wie in Europa. Seiler sagte dazu, es gebe keinen Anlass, mit dem Finger auf den amerikanischen Kontinent zu zeigen. „Die Ergebnisse in der Forschung darf man nicht mit der Bush-Administration gleichsetzen. Es gibt mindestens zehn Bundesstaaten, die weiter sind als wir, während wir uns intensiv auf die Schultern klopfen.” In den alten Bundesländern sei der CO2-Ausstoß sogar angestiegen. Sein Fazit: „Wir sind nicht viel besser als der Durchschnittsamerikaner.”

Um die CO2-Emissionen in Baden-Württemberg bis 2010 um zehn Prozent zu senken, müsste nach Berechnungen von Ludwig Leible vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (Itas) am Forschungszentrum der Anteil der Energie, die von Kohlekraftwerken hergestellt wird, um den Faktor drei erhöht werden. Voraussetzungen hierfür sind jedoch hochmoderne Kohlekraftwerke, bei denen das CO2 abgespalten und quasi endgelagert wird. Eine Technik die noch in den Kinderschuhen steckt. Auf Dauer gesehen scheint jedoch auch der verstärkte Einsatz von Kohlekraftwerken problematisch, da – angesichts der wärmer werdenden Sommer – das Kühlwasser in Rhein und Neckar knapp werden kann. Außerdem wäre der Kohletransport nach Baden-Württemberg sehr aufwändig. Am Rhein werden in den kommenden Jahren trotzdem neue Kohlekraftwerke gebaut. Das Potenzial von Sonnen-, Wind- und Wasserenergie zusammengenommen kann auch in fernerer Zukunft nicht so groß werden, als dass es reichen würde, den Primärenergieverbrauch eines hoch industrialisierten Bundeslands wie Baden-Württemberg zu decken, so die Wissenschaftler in Karlsruhe. 2004 lag nach deren Zahlen der Anteil regenerativer Energien bei 1,16 Prozent. Nimmt man die Biomasse hinzu, kamen sie auf 3,6 Prozent. Nach den Zahlen des Umweltministeriums in Baden-Württemberg hingegen liegt der Anteil der regeneraltiven Energien am gesamten Endenergieverbrauch im Jahr 2005 bei 6,9 Prozent.

Aussagen neu
Für die Mitglieder des Umweltausschusses war die geballte Informationsvermittlung in dieser Form eine neue Erfahrung, wie der Vorsitzende Ulrich Müller (CDU) betonte. Überraschend für ihn waren vor allem die Aussagen der Forscher zur Nutzung von Biomasse . Deren Potenzial liegt nach Berechnungen von Itas-Mitarbeiter Leible in Baden-Württemberg bei lediglich neun Prozent am Primärenergiebedarf. „Die Grenzen der Biomasse werden zu einem Zeitpunkt deutlich, wo man noch gar nicht richtig eingestiegen ist”, so die Reaktion des früheren Umwelt- und Verkehrsministers. Auch für die jetzige Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) war der Vortrag über Grenzen und Möglichkeiten der Biomasse „in diesem Umfang” neu. Die bekennende Anhängerin von Laufzeit-Verlängerungen für Atomkraftwerke sah sich nach dem Informationsbesuch darin bestärkt, weiter intensiv nach den wahren Potenzialen von erneuerbaren Energien zu fragen. Für die Oppositionspolitiker reicht das nicht aus. Sie wollen, dass sich die Landesregierung mehr darum bemüht, die Klimakatastrophe zu verhindern. Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Gisela Splett (Grüne) kritisierte, dass Ministerpräsident Günter Oettinger (CDU) bei der Frage, wie die jüngst verkündeten Steuermehreinnahmen verwendet werden sollen, von Klimaschutz überhaupt nicht mehr geredet habe.

Marcus Dischinger

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