Einfach einfordern

Nachhaltigkeit ist mit Samthandschuhen kaum zu erreichen
– VON MICHAEL SCHWARZ
Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) setzt auf Nachhaltigkeit – und Dialog.
Deshalb hat er gesellschaftlich relevante Gruppen eingebunden und Politikfelder benannt, in denen es in Zukunft nachhaltiger zugehen soll. Kritikern ist das zu beliebig. Parteifreund Klaus Töpfer rät aus seiner Erfahrung als Umweltpolitiker zu klaren
Vorgaben und Prioritäten.

„Wir können alles außer Hochdeutsch“, heißt der wohl bekannteste Werbespruch aus und für Baden-Württemberg. Ein „Hochdeutscher“ nahm die Vertreter des Landes am vorvergangenen Samstag beim Wort. Der gebürtige Schlesier Klaus Töpfer (CDU), der nach einem Leben in der Landes-, Bundes- und Weltpolitik seit einem Jahr privatisiert, forderte führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Villa Reitzenstein auf, Ernst zu machen mit dem hohen Anspruch und auch im Bereich Umwelt Maßstäbe zu setzen. Anlass der Rede in Stuttgart war die Präsentation der Nachhaltigkeitsstrategie (siehe Stichwort) durch Regierungschef Günther Oettinger und Umweltministerin Tanja Gönner (beide CDU).

Wie bei anderen Themen setzt Oettinger dabei auf die Einbindung möglichst vieler gesellschaftlich relevanter Gruppen. Nicht bei allen ist dies gelungen. Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), verzichtete mit dem Hinweis darauf, dass die meisten der nun präsentierten Nachhaltigkeitsprojekte schon seit Jahren existierten. Sie falle auf kein „Täuschungsmanöver“ herein, hieß es in einer Presseerklärung.

Frühwarnsystem. Mit von der Partie ist dagegen der Naturschutzbund (Nabu). Der Landesvorsitzende Stefan Rösler kritisierte, dass der Doppelhaushalt 2006/07 ohne Klimacheck verabschiedet wurde. Auch missfalle ihm der „Bauchladen der Projekte“. Dennoch macht er mit, weil er Nabu als Teil eines „Frühwarnsystems“ sieht.
Götz Werner, Drogerieunternehmer und Bürgergeldapostel aus Karlsruhe, warnt davor, im Widerstreit der Interessen auf einen Kuschelkurs zu setzen: „Man muss bereit sein, sich gegenseitig auf die Füße zu treten.“ Er forderte verbindliche Ziele – ebenso wie Töpfer, der die Erfahrung gemacht hat, dass die Entwickler in der Industrie erst dann damit beginnen, nach neuen Lösungen zu suchen, wenn Politiker ihnen Vorgaben gemacht haben. Der ehemalige Bundesumweltminister und UN-Umweltdirektor mahnte die Landesregierung, die Priorität ihrer Bemühungen auf die Ökologie zu setzen. Ökonomische und soziale Ziele hätten ihre Berechtigung, doch wesentlich wichtiger als ein Landeshaushalt ohne Neuverschuldung sei es, wenn aus Baden-Württemberg Impulse für einen neuen Umgang mit der Umwelt ausgingen.
„Was können wir tun, um Prognosen entgegenzutreten, dass sie nicht eintreffen“, fragte er. Und: „Ist Baden-Württemberg das erste Land, das die CO2-Emissionen halbieren kann?“

Friedenspolitik. Seiner Ansicht nach haben die Erfinder und Tüftler im Land das Zeug, zukunftsweisende Umwelttechnologien zu entwickeln – „auch für Afrika“. Dies sei angesichts des Klimawandels und der zunehmenden Zahl von Katastrophen keine Frage der Wohltätigkeit, sondern „vorsorgende Friedenspolitik“. Töpfer verwies auf die Beispiele Bolivien und Tuvalu.
Die Regierungen des Anden- und des Südseestaats erwägen rechtliche Schritte gegen Industrieländer wie die USA. Die „Erste Welt“ sei danach verantwortlich dafür, dass in5 dem einen Land die Felder versinken und im anderen die gesamte Inselkette unterzugehen droht. Keine Zweifel hat Töpfer im Übrigen, dass die Autohersteller in Baden-Württemberg in der Lage sind, EU-Feinstaubwerte einzuhalten, um die es in den vergangenen Wochen Streit gab. Er zitierte den Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter, der gesagt hat, Unternehmer könnten allein dann erfolgreich sein, wenn sie ihr Werk fortwährend „schöpferisch zerstören“, und ergänzt: „Man muss es einfach einfordern.“

Überzeugungsarbeit. Oettinger ist da vorsichtiger. Auf die Frage, ob die Regierung nicht einfach ins Landesplanungsgesetz schreiben könne, dass der enorme Flächenverbrauch deutlich reduziert wird, verweist er auf die Kompetenz der Kommunen. Oettinger möchte offenbar niemanden vor den Kopf stoßen. In einem Interview in Sonntag Aktuell sagt er: „Man kann den Gemeinden nichts befehlen, man muss sie überzeugen.“ Der Ministerpräsident weist darauf hin, dass der Flächenverbrauch, der schon einmal bei 13 Hektar pro Tag lag, auf acht zurückgegangen sei, doch ergänzt: „Acht Hektar sind auf Dauer acht Hektar zu viel.“ Andererseits zeigt der Regierungschef viel Verständnis dafür, dass „Tanker in Politik und Wirtschaft“ nicht so einfach stoppen und wenden könnten. Bei einer jährlichen Zunahme von 20 000 Einwohnern in den kommenden Jahren sei es in Baden-Württemberg nicht möglich, den Flächenverbrauch kurzfristig auf Null zu senken. Er verweist auch auf die Bedürfnisse von Industrie und Bürgern. Nach wie vor steige die Zahl der Quadratmeter Wohnfläche pro Landeskind, weil die Menschen lieber in Einfamilienhäusern als in Mietwohnungen lebten.

Nettonull. Langfristig strebt Oettinger auch beim Flächenverbrauch die „Nettonull“ an, die er sich für den Landeshaushalt auf die Fahnen geschrieben hat. Langfristig sollen die Revitalisierung von Industriebrachen und die Sanierung alter Häuser in den Innenstädten den Flächenfraß aufhalten. Kurzfristig hat der Ministerpräsident jedoch kein Patentrezept. Oder doch zumindest keines, welches alle zufriedenstellt und womit er nirgends aneckt. Vielleicht sollte er sich ein Beispiel bei seiner Umweltministerin nehmen? Tanja Gönner hat sich, wie in den Stuttgarter Nachrichten zu lesen war, jüngst in einem Streit mit Forstminister Peter Hauk (CDU) durchgesetzt. Hauk hatte vor den Folgen einer Bundesverordnung gewarnt, die derzeit im Bundesumweltministerium vorbereitet wird. Danach sollen die Abgasgrenzwerte für Holzheizungen drastisch gesenkt werden. Was Hauk missfällt, findet Gönner gut und hat dies auch in der Antwort auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Franz Untersteller deutlich gemacht.
Danach hält es nicht allein sie, sondern auch die Landesregierung „ technologiepolitisch für wünschenswert, die Nachfrage in Richtung hochwertiger Produkte zu lenken“. Für die heimische Wirtschaft sieht Gönner „in Anbetracht deren Innovationskraft“ gute Marktchancen.
Klaus Töpfer hätte es nicht besser formulieren können.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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3 Antworten zu Einfach einfordern

  1. za. sagt:

    Dazu ein Zitat von George Bernard Shaw:

    DIE POLITIK IST DAS PARADIES ZUNGENFERTIGER SCHWÄTZER.

  2. Th. sagt:

    Oettinger verweist beim Flächenverbrauch auf die Kompetenz der Kommunen sowie auf die Bedürfnisse von Industrie und Bürgern. Dabei vergißt er die Bedürfnisse der Natur, die sich nicht artikulieren kann. Wo die Industrie und Neubaugebiete blühen, ist die Natur tot!

    Seine Umweltministerin müßte besonders die Natur vor den Umweltbedingungen schützen. Wenn man sie hört, schützt sie sich besonders vor Kritikern im Lande.

  3. S. sagt:

    Der Bericht trieft vor lauter Unverbindlichkeiten und stellt die Aussagen der Politakteure dar. Diese gehen um die genannten Probleme herum wie die Katze um den heißen Brei. Sie können die Probleme gar nicht lösen, weil sie sich noch nicht einmal an die Probleme heranwagen.

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