Recht zögerlicher Kampf gegen Flächenverbrauch

In vielen Gewerbegebieten im Land herrscht Leere
Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat ein Ende des Flächenverbrauchs ausgerufen. Doch der schreitet fort, wenn auch mit abgeschwächter Tendenz. Noch fehlt es vielen Kommunen bei der Ausweisung von Gewerbgebieten am nötigen Willen zur Zusammenarbeit.

Von Reiner Ruf
Die Bäume fallen. Seit Dezember tönt das Kreischen der Motorsägen aus dem Brettener Rüdtwald. Erschreckt äugt der Schwarzspecht aus seiner Wohnstube, der Baumpieper sucht bereits das Weite. Nur die grazilen Springfrösche, die noch in ihren Winterquartieren im Boden dahindösen, ahnen noch nichts von der Gefahr. Der Springfrosch (Rana dalmatina), verrät das Lexikon, zeigt eine hohe Geburtsortstreue. Solche Immobilität kann in Zeiten der fortschreitenden Globalisierung tödlich sein.

Paul Metzger triumphiert. Nach jahrelangem, erbittertem Streit mit Teilen der Bürgerschaft hat das Oberhaupt der Kraichgaustadt Bretten – unterstützt vom Gemeinderat – sein Ziel erreicht: die Erweiterung des Gewerbegebiets Gölshausen. Dafür muss der benachbarte Rüdtwald weichen – mitsamt seiner Bewohnerschaft, zu der allein 45 Vogelarten zählen, dazu Amphibien und Fledermäuse. 22 Hektar Kahlschlag, das entspricht der Fläche von etwa 30 Fußballfeldern.

Vorangegangen war ein aufwendiges Genehmigungsverfahren. Der Regionalplan Mittlerer Oberrhein musste geändert und dazu das Placet des Wirtschaftsministeriums eingeholt werden. Die Fortschreibung des Flächennutzungsplans war dem Regierungspräsidium Karlsruhe vorzulegen. Außerdem galt es, einen Bebauungsplan aufzustellen und die Waldumwandlungserklärung der Landesforstverwaltung zu erwirken. Schließlich bedurfte es des Regierungspräsidiums Stuttgart, um den Rüdtwald aus dem Naturpark Stromberg-Heuchelberg zu lösen.

Nun aber ist es geschafft. Zwar liegt beim Landtag in Stuttgart noch eine Petition, doch die wird frühestens Anfang März behandelt und besitzt keine aufschiebende Wirkung. Zur Enttäuschung der Bürgerinitiative Rüdtwald, die in der 28 000-Einwohner-Stadt 6000 Unterschriften gegen das Abholzen des Waldes gesammelt hatte. Zwar gab die Forstdirektion Freiburg der Stadt auf, im Gegenzug 27 Hektar Wald an anderer Stelle aufzuforsten, zum Teil auf bisher landwirtschaftlich genutztem Boden. Dazu kommen noch weitere Auflagen wie Ersatztümpel. Doch das schenkt dem Grünen-Stadtrat Otto Mansdörfer keinen Trost: „Den Effekt des Waldes haben wir erst in 100 Jahren wieder.“

Landtagsabgeordnete der Grünen wie Renate Rastätter oder Gisela Splett unterstützten den Widerstand gegen die Abholzung. In mehreren Eingaben an die Landesregierung verwiesen sie auf die rund 300 Hektar bereits erschlossene Gewerbeflächen im Umkreis der Stadt. Nur fünf Kilometer entfernt vom Rüdtwald findet sich ein interkommunales Gewerbegebiet mit dem wohlklingenden Namen „Station Zukunft“, das noch reichlich Platz für Neuansiedlungen ausweist. Betrieben wird es von vier Gemeinden mit zusammen etwa 20 000 Einwohnern, deren größte Oberderdingen heißt. Bürgermeister Thomas Nowitzki sagt, man befinde sich „laufend in Gesprächen mit den Brettenern“. Doch die Stadt Bretten, im Landesentwicklungsplan als Mittelzentrum ausgewiesen, beanspruche eigene Gewerbeflächen. Nowitzki ist vorsichtig. Er wolle keine Betriebe abwerben, beteuert er, „aber für Neuansiedlungen wäre unser Gewerbegebiet eine gute Lösung gewesen“.

Der Grünen-Abgeordnete Boris Palmer unternahm den Versuch, leer stehende Gewerbeflächen im Land zu ermitteln. Ein schwieriges Unterfangen, weil Statistiken fehlen. Palmer konzentrierte sich auf die Gewerbeflächenbörsen im Internet. So errechnete er einen Leerstand von 5808 Hektar Fläche. Für Palmer ein „schockierendes Ergebnis“.

Seit einiger Zeit hat auch die Landesregierung den Flächenverbrauch als Thema entdeckt. 2003 trat der damalige Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) mit einem „Flächensparappell“ an die Öffentlichkeit. Der Nachhaltigkeitsbeirat der Regierung forderte, den täglichen Flächenverbrauch für Wohnen, Verkehr und Gewerbe von damals knapp elf Hektar bis zum Jahr 2020 auf drei Hektar stufenweise zu senken.

2004 veröffentlichte der Beirat ein Gutachten, in dem er die hergebrachten Instrumente der Raumplanung als untauglich zur Begrenzung des Flächenverbrauchs qualifizierte. Die neun Wissenschaftler schlugen vor, handelbare Flächenzertifikate auszugeben. Kommunen mit geringem Flächenbedarf könnten nach diesem Modell Bebauungsrechte an andere Städte und Gemeinden verkaufen. Ulrich Müller (CDU), damals Umweltminister wehrte das Ansinnen ab. Sein Nachfolger Stefan Mappus installierte ein Aktionsbündnis mit dem hübschen Namen „Flächen gewinnen in Baden-Württemberg“.

2006 regte sich die nächste Ministergeneration. Ernst Pfister (Wirtschaft, FDP) und Tanja Gönner (Umwelt, CDU) warnten auf dem Gewerbeflächentag vor dem Verlust naturnaher Lebensräume. Täglich würden 2,4 Hektar allein an zusätzlichen Gewerbeflächen ausgewiesen – pro Jahr also fast 900 Hektar. Eine „Besorgnis erregende Entwicklung“, befanden die Minister. Dabei müsse nicht jede Gemeinde eigene Gewerbegebiete einrichten. „Vielmehr sei „mit gemeinsamen Konzepten eine Flächen schonende Gewerbeentwicklung“ erreichbar.

Besonders forsche Töne schlug Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) in seiner Regierungserklärung nach der Landtagswahl an. Er gab das Ziel aus, wie beim Abbau der Neuverschuldung auch beim Flächenverbrauch eine „Nettonull“ anzustreben. Nur über Mittel und Wege gab er keine Auskunft.

So ist das Land von einem Stopp des Flächenverbrauchs noch weit entfernt, auch wenn der zuletzt etwas abgebremst wurde. Über die Ursachen sind sich Fachleute noch nicht ganz im Klaren. Zeigt die Ökorhetorik praktische Wirkung? Fachleute erklären den Erfolg eher mit schwacher Konjunktur der zurückliegenden Jahre. Von 1997 bis 2000 lag der tägliche Flächenverbrauch für Gewerbe bei 3,4 Hektar. Nimmt man Wohnen und Verkehr hinzu, waren es zwölf Hektar am Tag. Bis 2005 sank er auf 8,8 Hektar. Das entspricht immer noch zwölf Fußballfeldern.

Durchgreifende Pläne hat die Landesregierung noch nicht auf den Tisch gelegt. Wirtschaftsminister Pfister stößt in den Regierungsfraktionen schon mit dem Vorhaben auf Widerstand, im Landesplanungsgesetz die Einschränkung des Flächenverbrauchs zu verankern, obgleich dies eher deklamatorischen Charakter hätte. Die Stuttgarter Ministerien versuchen, den Kommunen die Wiederbelebung von Brachflächen in den Ortskernen schmackhaft zu machen. In der Region Neckar-Alb wird an einem Gewerbeflächenpool gearbeitet. Dessen Dreh besteht darin, dass die Flächen zwar gemeinsam erschlossen und vermarktet werden, im Gegensatz zu interkommunalen Gewerbegebieten aber kein geschlossenes Gebiet umfassen.

Die interkommunalen Gewerbegebiete haben die hoch gespannten Erwartungen bisher kaum erfüllt. Der Brettener Grünen-Stadtrat Mansdörfer beobachtet, dass selbst Gemeinden, die sich mit anderen Kommunen zusammentun, die attraktiven Betriebe auf eigene Gewerbegebiete lenken wollen und die anderen auf das interkommunale Gewerbegebiet verweisen. Speditionen zum Beispiel, die viel Verkehr auslösen, aber wenig Arbeitsplätze bringen. Mansdörfers Fazit: „Der kommunale Egoismus ist groß.“

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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9 Antworten zu Recht zögerlicher Kampf gegen Flächenverbrauch

  1. n-Or sagt:

    Alle Befürworter für die Schaffung von Gewerbegebiet durch Abholzung von gesundem Wald dürfen sich den folgenden Satz zu eigen machen: Die Industrie steht in Blüte. Man sieht es an der toten Natur.

  2. -an-i- sagt:

    Eitelkeit … Vergänglichkeit … alles ist eitel. Bill Bonner

    Die menschliche Eitelkeit muss einen epischen Gipfel erreicht haben. Ende der Woche gab es in der Ausgabe der „Metro“-Zeitung einen Artikel, der uns erklärt, was wir tun können, um den Planeten zu retten. Die Feststellung ist weit verbreitet, dass uns die Erde gegeben wurde … eher als dass wir ihr gegeben wurden. Man erwartet von uns, dass wir die Verantwortung übernehmen … dass wir sie schützen … dass wir sie nähren, als wäre sie ein Waisenkind. Man geht davon aus, dass wir die Herren des Universums sind. Wenn der Erde etwas Schlimmes widerfährt … dann werden wir einfach zum Mars umziehen. Und dann können wir auch noch diesen Planeten zerstören.

    Vielleicht ist es wahr. Vielleicht sind wir die Krone der Schöpfung. Vielleicht sind wir nicht bloß dazu bestimmt, über den Vögel der Lüfte und die Fische des Meeres zu herrschen … sondern gleich über das gesamte Sonnensystem. Ich weiß es nicht.

    Aus dem Staub der Erde sind wir erstanden, liebe Leser. Wir sind ein Teil von ihr .. wir sind kein Stück weiter entwickelt als irgendeine andere Spezies. Nur anders. Vielleicht ruht Gottes Gnade auf uns … oder vielleicht auch nicht. Und selbst wenn es so ist, ist es auf keinen Fall sicher. Gott könnte seine Meinung über sein erwähltes Volk ändern. Es wäre nicht das erste Mal.

  3. ed./La. sagt:

    Wahrscheinlich ein wenig zur Volksbelustigung beizutragen, verdient Anerkennung. Merke: Lachen ist gesund.

  4. dr sagt:

    Zwischen dem, was man regelmäßig (öffentlich) sagt und dem, was man in den Kommunen geschehen läßt (Planungshoheit?), liegen Welten.

    Vielleicht gehört das (Herausnahme des Rüdtwalds aus dem Naturpark Stromberg-Heuchelberg durch das Regierungspräsidium Stuttgart als eine Voraussetzung zur Abholzung) zur Pflicht einer Landesregierung für gemeindefreundliches Verhalten. Wenn dann noch die Abholzung gesunden Waldes als eine kommunale Angelegenheit aus Gründen des öffentlichen Wohls (6000 Unterschriften dagegen!) angesehen werden soll, dann muß die Zulässigkeit von Eingriffen in die Planungshoheit der Gemeinden nach den allgemeinen Grundsätzen für die Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechts von der Landesregierung ernsthaft geprüft werden.

    Ansonsten haben ihre andauernden Flächensparappelle nur noch einen belustigenden Charakter.

  5. rt sagt:

    „Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat ein Ende des Flächenverbrauchs ausgerufen.“ Die Kommunalpolitiker im Land scheinen ihn entweder nicht zu hören oder ihm nicht zu folgen.

    Herr Oettinger scheint also ein Rufer in der Wüste zu sein.

  6. hv sagt:

    „Recht zögerlicher Kampf gegen Flächenverbrauch“ entspricht wohl den Vorstellungen diverser Landespolitiker.

    Voll dagegen: Härtester Kampf für Flächenverbrauch – entspricht den Vorstellungen von Lokalpolitikern.

    Wenn dazu auch noch gesunder Wald dem Flächenfraß zum Opfer fällt, dann kann man das als Krönung von Natur- und Umweltschutz bezeichnen.

  7. v/Z sagt:

    Auf der einen Seite stehen die schönen Worte von Spitzenpolitikern des Landes. Auf der anderen Seite handelt ein Oberbürgermeister mit Gemeinderat (diametral) dagegen. Danach gehen beide Seiten zur Tagesordnung über.

  8. pp sagt:

    Gönner, Hauk und Oettinger – allseits bekannt – haben sich in dieser Sache nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

    Es besteht halt ein großer Unterschied zwischen wohl formulierten Zitaten zum Flächenverbrauch und Umweltschutz in Baden-Württemberg und dem, was parallel dazu – in der Stadt Bretten – inzwischen verwirklicht wurde.

    Die theoretischen Worte und die praktische Umsetzung dieser Worte in Taten klaffen so weit auseinander, daß sie nicht mehr im geringsten übereinstimmen. Jedermann weiß, was er davon zu halten hat.

  9. mm sagt:

    Vielleicht bemerkt Herr Oettinger jetzt endlich, was passiert, wenn man dem „kleinen König“ lange Zügel lässt. Er macht jetzt die schlechte Figur, während Metzger „triumphiert“.
    Die Auseinandersetzung um den Rüdtwald ist derweil noch nicht beendet, sie hat das Zeug für eine grundsätzliche Überprüfung der Stuttgarter Umweltpolitik.
    Wenn es nicht gelingt, die „Öko-Rambos“ in Schranken zu verweisen, wird sich, gerade jetzt, durch das Beispiel Rüdtwald und kommende Nachahmer, der Flächenverbrauch niemals eindämmen lassen.

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