Leserbrief : „Allen wohl und niemand weh“

Zu „Gegenvorschläge zur Rechbergstraße“ in der Donnerstagausgabe:
Toll wie in Bretten Lokalpolitik funktioniert! Jeder gewählte politische Vertreter versucht nach dem Motto zu handeln: „Allen wohl und niemand weh“. Da dies noch nirgends funktioniert hat, wird sich über Jahre vor einer Entscheidung zum Nachteil einer Bevölkerungsmehrheit gedrückt.
Wenn ein Regierungspräsidium und eine Stadt einen Generalverkehrsplan in Auftrag geben, dann deshalb, um zur Lösung ihrer Verkehrsprobleme nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden mit aktuellen Verkehrszahlen und Computersimulationsmodellen von Fachleuten die wirksamste Entlastung herausfinden zu lassen. Beide Straßenbaulastträger verwalten Steuergelder, bei deren Verteilung sie verpflichtet sind, diese nur in Projekte zu stecken, denen das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis zu Grunde liegt. Wäre dem nicht so, könnte man einfach ein paar Straßentrassen in einen Plan einzeichnen und alle wahlberechtigten Bürger darüber abstimmen lassen. Kein Mensch kommt aber auf die Idee, die Entscheidung darüber, wie ein Blinddarm zu operieren oder wie ein Prozess zu gewinnen ist, einer Bürgerbefragung zu unterstellen.

In Bretten wird – wie anderswo – der Prozess der wissenschaftlich abgestützten Findung von den gewählten politischen Vertretern begleitet und mit Mehrheitsbeschlüssen in die Bauleitpläne übernommen. Offenbar vertrauen die Bürger zu zirka 99,9 Prozent in dieser Phase ihren gewählten Vertretern, denn nur eine Handvoll Zuschauer begleitete in den öffentlichen Sitzungen diese Entscheidungen. Aber wehe es geht daran, das Ziel vor Augen, die Entscheidung in weiterer Konkretisierung umzusetzen. Dann greift eine eigenartige, wiederholt praktizierte Brettener Tradition: Diejenigen gewählten Vertreter einer politischen Couleur, die bei den vorangegangenen demokratischen Beschlüssen unterlegen sind, greifen alte, nicht zum Zuge gekommene Trassenvarianten wieder auf und machen sich mit diesen zum Fürsprecher der von einer wirksamsten Entlastungstrasse negativ betroffenen Bürger, die naturgemäß – nun plötzlich interessiert – sich lautstark bemerkbar machen. Die anderen bekommen kalte Füße und waren nun auch nicht mehr bei den früheren Beschlüssen dabei. Dies ist so geschehen als in den 50er Jahren der Bund eine große Südumgehung als die sinnvollste ermittelt hatte, die Brettener Politik dann aber die Nordumgehung durchsetzte. Diese führte dazu, dass ein erneuter Versuch, die Südumgehung mit einer Ostumgehung um Gölshausen zu bekommen, am Widerstand des Bundes scheiterte. So dann wieder geschehen, als die Stadt Beschlusslage die Fortsetzung des innerstädtischen Ringes im Osten bauen wollte oder als die schon finanzierte Nordumgehung Gölshausen ebenso an der Brettener Traditionssystematik scheiterte und erst 20 Jahre später durch beherztes Zugreifen von Oberbürgermeister Metzger und Gemeinderat verwirklicht werden konnte, oder jüngst wieder bei der Lösung des Taubenproblems.

So wird auch eine Nord-Süd-Entlastung in Bretten wohl nie realisiert. Oder glaubt wirklich einer, es hätte sich nicht herumgesprochen, dass eine fachtechnisch für richtig, weil zum Wohle der Mehrheit, erkannte Trasse von der negativ betroffenen Minderheit nicht zu Fall gebracht werden kann? Was einer Gruppe recht war, wird jeder anderen nur billig sein.

Gunter Lange
Albert-Einstein-Strasse 107
Bretten

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6 Antworten zu Leserbrief : „Allen wohl und niemand weh“

  1. L.K. sagt:

    Ich kann es kaum glauben, daß das ein ehemaliger langjähriger leitender Mitarbeiter der Brettener Stadtverwaltung zu Papier gebracht hat. Vielleicht wirkt die Gehorsamspflicht im Beamtenbereich gegenüber dem Dienstherrn noch nach, so daß man auch im Ruhestand als Beamter auf Lebenszeit gegenüber dem Dienstherrn weiterhin eine besondere loyale Verpflichtung haben muß.
    Ich weiß wirklich nicht, ob der obige Leserbriefschreiber ein Beamter im Ruhestand ist. Ich kann es mir jedoch sehr gut vorstellen.

  2. hjb sagt:

    Im Ruhestand sind derartige Äußerungen nur bedauernswert und unrühmlich. In der Anstellung wären sie äußerst bedenklich.

  3. S. sagt:

    So äußert sich der Laie, aber nicht der Fachmann.

  4. dr sagt:

    Den Wohlfühlfaktor für Bretten auszurufen, ist die eine Sache, ihn danach auch entsprechend zu erzeugen, eine zweite Sache. Hier tun sich Abgründe auf zwischen behauptetem Anspruch und der angedachten Realisierung.

  5. wf sagt:

    Es fehlt nur noch, eine als fachtechnisch für richtig, weil zum Wohle der Mehrheit, erkannte Trasse der Minderheit als „Wohlfühlfaktor“ zu vermitteln. Ich glaube, Herr Lange weiß genau, wovon ich spreche. Die Minderheit würde sich bei ihm herzlich bedanken.

  6. pp sagt:

    „Oder glaubt wirklich einer, es hätte sich nicht herumgesprochen, dass eine fachtechnisch für richtig, weil zum Wohle der Mehrheit, erkannte Trasse von der negativ betroffenen Minderheit nicht zu Fall gebracht werden kann?“

    Über einen solchen Unsinn kann ich nur den Kopf schütteln.

    Denn die Schaffung einer – EINHEITLICHEN – Lebens- und Umweltqualität ist ein Grund des öffentlichen Wohls und aus dem Verfassungsrecht abgeleitet. Das Ziel der Schaffung EINHEITLICHER Lebens- und Umweltqualität findet seine Rechtfertigung aus Artikel 3 Grundgesetz und dem Sozialstaatsprinzip.

    Das Wohl der Mehrheit zu Lasten des Wohls der Minderheit aus einer fachtechnisch für richtig erkannten Trasse abzuleiten, zeigt überhaupt nur ein ganz einseitiges Denken. Es offenbart leider die stark eingeschränkte Sicht, die aus einer einseitigen – fachtechnischen – Beurteilung stammt. Wie damit der Verfasser zum öffentlichen Wohl beitragen will, kann nur er selbst beantworten. Er läßt es am besten sein.

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