Ein Haus voller Engel

Quelle: Sonntagsblatt Bayern

Dieter Friedrich ist Gründer des Deutschen Schutzengelmuseums in Bad Wimpfen
»Schutzengelmuseum« steht in Frakturschrift über der schmalen Eingangstür eines schlichten Fachwerkhauses in Bad Wimpfen, 15 Kilometer nordwestlich von Heilbronn. Schon im schummrig beleuchteten Vorraum fühlt sich der Besucher schlagartig beobachtet von unzähligen Engelsgesichtern und gesegnet von erhobenen Engelsarmen.

Die Wände sind mit Engel-Abbildungen bedeckt. Erst nach und nach gewöhnen sich die Augen an die Engelflut, und Einzelheiten stechen hervor: Über dem Kassentisch hängen zwei Schutzengel in hölzernen Schaukästen an der Wand, der obere aus Gips, der untere aus Porzellan. Die Wand gegenüber ist bestückt mit einer Auswahl von Postkarten.

Dieter Friedrich, 70 Jahre alt, betreibt seit vier Jahren das erste und einzige »Deutsche Schutzengelmuseum«. Rund 650 Unikate hat er zusammengetragen. Postkarten, Figuren und Bücher sind ausgestellt, auch Zeitschriften, Kalender, Anhänger und Amulette, Lithografien, Prägungen, Stickbilder, Schwarz-Weiß-Fotografien, zwei Gobelins, und sogar Ofenplatten gehören zur Sammlung. Die verwendeten Materialien reichen von Biskuitporzellan über Holz und Gips bis zu Bronze.

Den Anstoß zu seinem Museum habe eigentlich sein Vater gegeben, sagt Friedrich. Als einziges von acht Kindern habe dieser die schlechte Zeit nach dem Ersten Weltkrieg überlebt, die mangelnde Versorgung, das unzureichende Essen. »Er sagte immer, er habe einen Schutzengel gehabt.« Auch auf die wiederholte Nachfrage des skeptischen Sohnes hin habe der Vater auf seiner Version der Geschichte bestanden. »Daraufhin fing ich an zu sammeln«, erzählt der Museumschef.

160000 Kilometer fuhr er insgesamt, um alles zusammenzutragen, ungefähr fünf Jahre lang reiste er von Flohmarkt zu Flohmarkt. Mit der Zeit hätten ihn manche Antiquitätenhändler persönlich gekannt und Stücke für ihn zurückgehalten. Auf dem Flohmarkt in Öhringen bei Stuttgart ergatterte er vor 20 Jahren sein erstes Bild aus der Zeit der Jahrhundertwende – eine schwarz gerahmte Farblithografie von Fridolin Leiber: Ein Junge jagt einem Schmetterling hinterher, während ein Mädchen Blumen pflückt. Beide wandeln gefährlich nahe an einem Abgrund. Aus dem Hintergrund hält ein Engel schützend seine Hände über sie.

Für die Menschen damals, die das Überleben ihrer Kinder sichern wollten, sei es oft die letzte Hoffnung gewesen, sie in Begleitung von Schutzengeln darzustellen, erläutert Friedrich das häufig wiederkehrende Motiv. Gefreut habe er sich über jedes einzelne Stück: »Man hängt dran.« Als Besonderheit zeigt Friedrich die in einer Vitrine ausgestellte Karte mit einem von Tieren umgebenen Schutzengel, eine kolorierte Lithografie des 1846 gegründeten Wiener Tierschutzvereins, die überschrieben ist mit »Liebe und Schutz auch dem Tiere« – und da blitzt die Sammlerleidenschaft durch: »Was glauben Sie, wie man sich freut, wenn man so etwas in einem Stoß Karten findet?«

Bei der Einrichtung der Museumsräume kam Friedrich sein Können als Handwerksmeister für Energieerzeugung zugute. Elf Jahre lang sorgte er auf Schloss Solitude in Stuttgart für die Technik. Seine freie Zeit im Ruhestand nutzte er, um Schlosser- und Schreinerarbeiten für das Museum selbst zu erledigen. Die Besucherzahlen des Museums hängen Friedrich zufolge nicht von der Entwicklung des »Engeltrends«, sondern vor allem vom Fremdenverkehr in Bad Wimpfen ab. Den größten Zulauf verzeichne er zurzeit wegen des überregional bekannten Weihnachtsmarktes. Friedrichs größte Sorge gilt inzwischen der Zukunft seines Lebenswerks. Von den berufstätigen Kindern kann keines das Museum übernehmen. »Ich möchte die Stücke aber nicht einzeln verklickern«, sagt Friedrich. Interesse an der Übernahme des Museums zeigt nach der Ablehnung der Stadt Bad Wimpfen eine Bürgerinitiative für Denkmal- und Heimatpflege im badischen Bretten.

Die Initiative wolle das Museum für rund 30000 Euro kaufen und möglicherweise der Stadt schenken, informiert der Sprecher der Stadtverwaltung, Franz Csiky. Die Melanchthonstadt Bretten, die das Geburtshaus des Reformators Philipp Melanchthon (1497-1560) und die Reformationsgedenkstätte Melanchthonhaus beherbergt, erhofft sich durch die Dauerausstellung eine erhöhte touristische Attraktivität.

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Eine Antwort zu Ein Haus voller Engel

  1. dr sagt:

    „Ein Haus voller Engel“
    Immerhin ist es in der Zwischenzeit von Bretten bis nach Bayern gelangt. So wird zielgerichtete überregionale Werbung gemacht. Einfach lobens- und erwähnenswert. Für wen?

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