Außer Kontrolle

Der Fall Trojan ist ein Einzelfall, doch er zeigt auf, wo es bei der Aufsicht von Bürgermeistern hakt
VON RUDI SCHÖNFELD , LEUTKIRCH
H A I G E R LO C H . Es kommt hin und wieder vor, dass Bürgermeister ihre Kompetenzen überschreiten. Straffällig werden sie allerdings selten. Roland Trojan, bis vor kurzem Bürgermeister von Haigerloch im Zollernalbkreis, ist es geworden. Wegen Betrugs und weiterer Straftaten ist er nun am Landgericht Hechingen zu einer 20-monatigen
Bewährungsstrafe verurteilt worden. 36 Jahre lang hatte Trojan im Amt geschaltet und gewaltet, wie er wollte – die Stadträte schauten ebenso weg wie die Zuständigen in der Dienstaufsichtsbehörde, dem Landratsamt.

Obwohl sie die Anklagepunkte gegen den wegen des Verfahrens vorzeitig aus dem Amt scheidenden Bürgermeister kannten, haben manche ihm im September noch Kränze geflochten. Willi Fischer, Landrat in Balingen, lobte Trojans „Augenmaß, Weitsicht und konsequentes Handeln“. Ein anderer Redner bemühte gar einen Superlativ: „Roland Trojan ist ein Weltklassestürmer, der tausend Kisten macht und ab und zu mal ein Eigentor.“
Dem 64-Jährigen wird in der 11 000-Einwohner-Stadt einiges gutgeschrieben: Ortsumfahrungen, Stadterneuerung, neue Sporthallen und Schulen. Doch auch seine Negativliste, die freilich erst durch die Ermittlungen der Staatsanwälte ans Tageslicht kam, ist beachtlich:

20 Punkte standen in der Anklageschrift. Hätte sich der Rathauschef nicht allzu selbstherrlich gegeben und sich den Klärwärter des Abwasserverbands sowie einen Stadtrat zum Feind gemacht, wäre womöglich alles unter der Decke geblieben: der Kauf eines Rasenmähertraktors fürs eigene Anwesen, der Bau eines Pferdestalls, überzogene Reisekosten, die Bezahlung eines Mercedes-Benz durch die örtliche Wohnbaugesellschaft oder die private Installation einer Solaranlage. Auch die Vergabe von Bauleistungen an einen Jagdfreund am Gemeinderat vorbei wäre vielleicht geheim geblieben. Das Ratsgremium, konstatierte der Ankläger im Prozess, hatte offenbar grenzenloses Vertrauen in den Bürgermeister, „da wollte mancher manches gar nicht so genau wissen“.

Bei der Betrachtung des Trojanschen Sündenregisters bleibt dem Experten die Spucke weg. Für den Verwaltungswissenschaftler Paul Witt, Prorektor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl, ist es nicht nachvollziehbar, wie sich ein erfahrener Bürgermeister derart in kriminelle Handlungen verstricken konnte. An
der Besoldung, meint er, könne es wohl kaum liegen. Doch vielleicht, vermutet Witt, sei’s im konkreten Fall auch so gegangen wie beim Ladendieb: Es fängt mit dem Klau von Bananen an und steigert sich dann übers Handy bis hin zum Fernseher. Ein Problem sieht Witt in der allein vom Lebensalter (68 Jahre) befristeten Amtszeit. Habe sich ein Bürgermeister erst mal etabliert, bleibe er nicht selten bis zum Ruhestand im Amt. „Ich bin für eine Begrenzung“,
sagt der Fachmann. Drei Amtsperioden (24 Jahre) hält er für genug. Zumindest sei dann die Gefahr, sich in einem Geflecht von Beziehungen und Abhängigkeiten zu verstricken, nicht so groß.

Ein weiteres Problem erkennt Witt auch in der unzureichenden Kontrolle der Bürgermeister durch die Dienstaufsichtsbehörden. Denn die Landräte werden in Baden-Württemberg als dem mittlerweile einzigen Bundesland
von den Kreistagen gewählt. Und da diese häufig bis zu 50 Prozent von Bürgermeistern dominiert sind, ist es für jeden Landrat schwierig, seine Aufsichtspflicht unnachsichtig auszuüben. Der ungenannt bleiben wollende Chef der Kommunalaufsicht bei einem Landratsamt kann ein Lied von der Macht der Bürgermeister singen.

Er erzählt von einer Sachbearbeiterin, der ihre Standhaftigkeit gegenüber einem Rathauschef nicht gut bekommen ist: Sie wurde vom Landrat Knall auf Fall versetzt. Solche Fälle, bestätigt Witt, kämen immer wieder vor. Deshalb plädiert er für die Volkswahl der Landräte. Das Argument, Landratskandidaten müssten dann richtig zeitaufwendige und teure Wahlkämpfe führen, hält er für fadenscheinig. Was dem Bewerber um einen Chefsessel im Rathaus zugemutet werde, dürfe auch einem Landratskandidaten nicht erspart bleiben. Der im Südwesten dominierenden Partei gehe es vor allem darum, ihren Favoriten sicher durchzusetzen.

Freilich ist auch die Macht der Bürgermeister in den Kreistagen keine hundertprozentige Garantie dafür, dass ein Landrat stets unter Kontrolle bleibt. Der Fall des ehemaligen Sigmaringer Landrats Jürgen Binder beweist es. Zwar bietet der beschauliche und strukturschwache Landkreis wenig Nährboden für große Skandale. Doch Binder schaffte es zwischen 1996 und 1999 bundesweit in die Schlagzeilen. Der Landrat reiste unentwegt in eigener Sache und lebte zu Hause in Saus und Braus. Wie aus einer Auflistung der Staatsanwaltschaft hervorgeht, war Binder in den Jahren von 1992 bis 1996 etwa 71 Wochen lang auf 146 angeblichen Dienstreisen in Europa unterwegs. Die Konsequenz: zwei Jahre Gefängnis auf vier Jahre zur Bewährung. Er wurde aus dem Dienst entfernt und muss 115 000 Euro für seine Reisen auf Staatskosten zurückzahlen. Der öffentlichen Schmach folgte der persönliche Ruin.

Ähnlich könnte es nun auch dem Exbürgermeister von Haigerloch ergehen: Die Verurteilung wird Auswirkungen auf seine Altersversorgung haben. „Roland Trojan“, sagte sein Anwalt, „wird somit jeden Monat einen Denkzettel erhalten, sein Leben lang.“ Er muss außerdem Schadenswiedergutmachung in Höhe von 14 000 Euro an die Stadt leisten. Das Bedauern darüber hält sich zumindest bei Paul Witt in Grenzen. „Wer als erfahrener Bürgermeister so handelt, ist einfach dumm.“

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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9 Antworten zu Außer Kontrolle

  1. J-N sagt:

    Eine Rechtsaufsicht hat die folgenden Rechte: Informationsrecht, Beanstandungsrecht, Anordnungsrecht, Ersatzvornahme, Bestellung eines Beauftragten, vorzeitige Beendigung der Amtszeit des Bürgermeisters.
    Was geschah bei Herrn Trojan? – Verletzte die Rechtsaufsicht etwa ihre Pflichten? Wie sah sie ihr pflichtgemäßes Ermessen? War ihr Einschreiten im öffentlichen Interesse geboten?

  2. D/F sagt:

    Die Rechtsaufsicht überprüft die Gesetzmäßigkeit, nicht die Zweckmäßigkeit der gemeindlichen Selbstverwaltung. Die Überprüfung liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen und muß im öffentlichen Interesse geboten sein.
    In Sachen Trojan ist davon nichts zu erkennen.

  3. Z-/-A sagt:

    Das haben Gemeinderäte davon, wenn sie ihren Vorsitzenden ergeben sind und ihnen sozusagen aus der Hand fressen. Mit dem Leitsatz Augen und Ohren zu und durch erarbeiten sie solche Resultate und sind mitverantwortlich. Vor diesen lockeren Einstellungen und Verhaltensweisen ist zu warnen. Wachsamkeit ist geboten.

  4. ul-d sagt:

    An den Fall Trojan müssen sich Gemeinderäte im Sinne ihrer Aufsichtspflicht ständig erinnern. Er kann Amtskollegen gewiß nicht zur Nachahmung empfohlen werden. Deshalb ist die gründliche Kontrolle unerläßlich.

  5. f-h sagt:

    In Haigerloch hat aber auch der Gemeinderat gut geschlafen, der ja die Verwaltung zu kontrollieren hat. Und dazu gehört auch der Bürgermeister in der Funktion des Verwaltungschefs. Bei Aufdeckung von Mißständen jeglicher Art hat der Gemeinderat den Bürgermeister zur Abhilfe aufzufordern. Das betraf eben auch Mißstände, die durch den Bürgermeister selbst herbeigeführt wurden. Sein zu verantwortender Schlamassel mußte unbedingt vom Kontrollorgan Gemeinderat erkannt werden.
    In der Sache Trojan haben Landrat, Kommunalaufsicht und Gemeinderat
    total versagt. Sie waren allesamt Herrn Trojan lange nicht gewachsen.

  6. E/A sagt:

    Der Rechtsaufsicht unterliegt u.a. ganz allgemein die Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegenüber Bürgermeistern und Oberbürgermeistern. Im Fall Trojan hat es daran gefehlt.

  7. n-Or sagt:

    Herr Regierungsdirektor Thorsten Maiwald ist in der Rechtsaufsicht beim Regierungspräsidium Karlsruhe auch für die Stadt Bretten und andere Selbstverwaltungskörperschaften zuständig.

    Von ihm stammt der Text im 2. Kommentar. Wenn man sich diesen vergegenwärtigt, könnte man sehr leicht zu dem Schluß kommen, daß er eine Meinung vertritt, wie sie die Dienstaufsicht beim Landratsamt Zollernalbkreis in Balingen praktiziert hat.

    Erst dann stehen den Wahlbeamten auf Zeit (Oberbürgermeistern) Möglichkeiten offen, die zu einer solchen Anzahl leichter bis schwerster Verfehlungen führen können.

  8. BAK sagt:

    aus einem Antwortschreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe an den Bürgerarbeitskreis Bretten vom 17.02.2006 :

    „Der Bürgermeister hat weder einen Dienstvorgesetzten noch eine obere Dienstbehörde. Gemäß § 134 Nr. 4 des Landesbeamtengesetzes (LBG) werden lediglich bestimmte, normalerweise dem Dienstvorgesetzten oder der obersten Dienstbehörde zustehenden Aufgaben von der Rechtsaufsichtsbehörde wahrgenommen.“
    Verfasser : Thorsten Maiwald

    Und nun ?

  9. mm sagt:

    Lieber Leser, Sie glauben Parallelen zu erkennen ?!
    Falls ja, überlegen Sie sich bitte genau :

    • arbeiten Sie oder ein Mitglied Ihrer Familie im Rathaus,
    • oder sind Sie als Unternehmer an öffentlichen Aufträgen interessiert,
    • und/oder möchten Sie auch im nächsten Jahr zum Neujahrsempfang des Oberbürgermeisters eingeladen werden ??

    Falls Sie eine der obigen Fragen mit "Ja" beantwortet haben, lesen Sie diesen Artikel nochmals durch und denken dabei fest an Ihre Familie und an Ihren Kontostand.
    Falls auch das nicht hilft und Sie immer noch glauben, dass Ihnen hierbei etwas bekannt vorkommt, halten Sie sich bitte mit beiden Händen Augen und Ohren zu und bitten Sie Ihre Ehefrau ihnen den Artikel nochmals vorzulesen.
    Falls Sie auch weiterhin darauf bestehen sollten, Parallelen zu noch lebenden oder gar (schein-) toten Personen entdeckt zu haben …….kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen 

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