Angepasster Populismus oder sachgerechte Unpopularität?

Der Schweizer Bundesrat Moritz Leuenberger hat 2002 in einer Rede Populismus – und das Gegenteil – so beschrieben: „Der Populist will nur dorthin führen, wo er annimmt, dass sich das Volk bereits befinde. Und das ist nicht Führung, sondern
Anpassung. Derjenige, der führt, riskiert im Gegensatz zum Populisten Unpopularität, weil sein Ziel unter Umständen nicht identisch ist mit demjenigen „des Volkes“ und er darum viel Überzeugungsarbeit leisten muss.“
Die Situation in der Gemeinderatssitzung vom 21. Juni 2005 war so: Viel „Volk“ befand sich in den Zuschauerreihen. In der Bürgerfragestunde wurde akzentuiert für eine höhere Finanzierung „ihres“ Kindergartens als in der Gemeinderatsvorlage empfohlen, plädiert. Es wurde bei genehmen Äußerungen laut applaudiert und umgekehrt. Da also befand sich das „Volk“ des einen überproportionalen Zuschuss erwartenden Befürworter. Und dahin wollte Stadtrat Frank Altenstät-ter den Gemeinderat mit seinem Antrag führen.

Doch das ist nicht Führung sondern Anpassung, ist Scheu davor, sachgerechte aber „unpopuläre“ Maßnahmen vorzuschlagen. In der Mehrheit hat der Gemeinderat diese „populistische“ Zielrichtung des Antrags erkannt und ihn abgelehnt. Denn eine Bevorzugung jener zu beantragen, die in großer Zahl in der Sitzung anwesend waren und eine Benachteiligung jener in Kauf zu nehmen, die nicht anwesend waren ist „populistisch“. Der Gemeinderat kann und darf nicht nach dem Prinzip „Wer am lautesten schreit…“ entscheiden.
„Wer höhere Ansprüche hat muss diese selbst finanzieren. Es war und bleibt erstaunlich, dass Dr. Alten-stätter dem Steuerzahler dennoch Kosten von über 5800 Büro pro Kind und Jahr im Haus Regenbogen zugemutet hätte obwohl vergleichbare Angebote in anderen Einrichtungen nur mit durchschnittlich 2500 Euro von der Stadt zu bezu-schussen sind. Wer in Kenntnis solcher Zahlen wie Dr. Altenstätter und der Leserbriefschreiber Franz Cizerle sich gleichzeitig oft Sorgen um die städtischen Finanzen macht, kann entweder Zusammenhänge nicht erkennen, was ich nicht unterstelle, oder er handelt populistisch.
Unter dem Eindruck des Sitzungsverlaufes stehe ich zu letzterem.“, so OB Paul Metzger. Dass „populistisch“ in der politischen Kommunikation kein schmeichelhafter Ausdruck ist, stimmt. Dass man da gleich eine unfaire Beleidigung zu entdecken glaubt, ist jedoch kaum nachvollziehbar. Wenn dem so wäre, würden die Gerichte nur noch mit Beleidigungsprozessen wegen der Verwendung des Begriffs „populistisch“ beschäftigt sein. Wahllos aus den Medienveröffentlichungen der letzten Tage zitiert erfahren wir:
Ursula Engelen-Kiefer wirft dem bayrischen Innenminister Beckstein vor, er vertrete bei der Zuwanderung „populistische Positionen“. Das Handelsblatt nennt den Zusammenschluss von PDS und WASG eine „populistische Partei“; die SPD bezeichnet in einer Pressemitteilung den Unionsvorschlag zur Pflegeversicherung „populistisch“. Der F.D.P.-General-sekretär Dirk Niebel kommentierte Franz Münteferings Modell der „Reichensteuer“ als „puren Wahl-kampfpopulismus“. Ein Mitglied des WASG Bundesvorstandes nennt Lafontaine, die Nr. l seiner eigenen Partei, einen „begnadeten Populisten“; in der Berliner Zeitung wird Wolfgang Thierse unter der Überschrift „Da lacht der Populist“ glossiert. Die Reihe der Beispiele lässt sich mühelos fortsetzen.

Aber in keinem Fall ist bekannt geworden, dass irgendeiner/eine der politisch so Attackierten es als „bewus-ste Beleidigung“ aufgenommen hätte. Fleißige Brettener Leserbriefschreiber sind sonst gerne mit bun-des- und weltpolitischen Beispielen zur Hand. Warum nicht diesmal?

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Eine Antwort zu Angepasster Populismus oder sachgerechte Unpopularität?

  1. BAK Bretten sagt:

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