Geprellte Gemeinden schreiben Millionensummen in den Wind

Der mutmaßliche Kreditbetrüger Hans Jürgen Koch sitzt nach wie vor in Namibia in Haft-Ob und wann er in Deutschland vor ein Gericht kommt, ist offen
BÖBLINGEN/BERLIN. Der Bund der Steuerzahler hält die Affäre Hans Jürgen Koch für einen der größten Finanzskandale der Nachkriegszeit. Auch die Stadt Böblingen gehörte zu den Geschädigten. Doch der mutmaßliche Millionenbetrüger weilt in Namibia.
Von Günter Scheinpflug

Es ist eine verworrene Geschichte, die für reichlich Schlagzeilen gesorgt und manchen Kämmerer und Kassenchef um den Schlaf gebracht hat. Auch Dieter Vinzelberg, der in Böblingen über viele Jahre für die Stadtfinanzen verantwortlich war. Wie hunderte andere Finanzenverwalter hat auch Vinzelberg versucht, in kurzen Fristen möglichst hohe Gewinne auf dem Geldmarkt zu erzielen. Dazu muss man wissen, dass die Kommunen nicht selten für wenige Wochen über Geld verfügen, das bereits verplant, aber noch nicht abgeflossen ist. Um dieses geparkte Vermögen zu mehren, begeben sich die kommunalen Kassenverwalter manchmal auf den freien Finanzmarkt – und auf dünnes Eis.


Die Stadt Böblingen hat in solchen Fällen gerne auf die Dienste eines Finanzmaklers aus dem Bayerischen gesetzt, der inzwischen in Namibia sitzt, und zwar in einer Gefängniszelle. Dieter Vinzelberg hatte eines Tages erste Ungereimtheiten festgestellt und irgendwann ein Loch in der Kasse bemerkt. Es fehlten fast 14 Millionen Mark. Wie konnte es so weit kommen?

Angefangen hat alles mit Faxen wie jenem vom 15. November 1999, das an den damaligen Leiter der Stadtkasse Böblingen adressiert war. „Sehr geehrter Herr Vinzelberg, vereinbarungsgemäß überlassen Sie eine Termingeldanlage zu folgenden Konditionen“, heißt es auf dem Papier. Genannt werden der Geldnehmer, das Landratsamt in Offenburg, und der Betrag von 3 041 301,42 Mark. Laufzeit, Zinssatz, Bankverbindung sind exakt vermerkt. Weiter heißt es: „Wir danken Ihnen für den Abschluss.“ Auf dem Briefkopf prangt in großen Lettern ¸¸Hans Jürgen Koch, Finanzberatung“. Alles scheint korrekt, auch die Adresse des Beraters in Bad Heilbrunn, Ganghoferweg 2-4, lässt nichts Böses ahnen. Und so hat der Böblinger Stadtkassenchef Dieter Vinzelberg auch in diesem Fall ahnungslos in die Stadtkasse gegriffen.

Fünf Millionen Mark gehen als kurzfristiger Kredit an den Landeswohlfahrtsverband Baden, fünf weitere an die Stadt Witten, nochmals fünf nach Konstanz und immer so weiter. Ein Fax des Finanzberaters Koch genügte, und der Finanzchef bemühte seine Geldschatulle. Immer musste es schnell gehen, die Gegenzeichnung des Rathauschefs war Routinesache und erfolgte oft im Nachhinein. Schließlich warfen die von Koch vermittelten Finanzanlagen gutes Geld ab. So oder so ähnlich geschah es nicht nur in Böblingen, sondern auch in 329 anderen Städten, Gemeinden und Landkreisen der Republik.

Die meisten der Finanzpartner sind nach wie vor in ein gigantisches Wirrwarr aus Geldströmen verstrickt. Denn irgendwann fing Koch an, Geldgeber und Darlehensnehmer darüber im Unklaren zu lassen, woher die Millionensummen kamen und wohin sie gingen. Nicht von ungefähr handelt es sich für den Bund der Steuerzahler um einen der größten Finanzskandale nach 1945. Das System Koch funktionierte so lange, wie die Beträge wieder pünktlich auf den Konten eintrafen. Koch gab Zahlungsanweisungen, und die Summen flossen kreuz und quer durch die Republik.

Manchmal wunderten sich die Kämmerer, dass die Summen gestückelt eingingen und von Einzahlern stammten, denen man gar keinen Kredit gewährt hatte. Doch Hauptsache war, das Geld floss termingerecht wieder in die Kasse zurück – inklusive Zinsen. Einige Finanzverwalter hatten beträchtliche Summen auf der hohen Kante. Der Konjunkturmotor lief, die Gewerbesteuer floss. Und wo konnte man so kurzfristig und für weniger als 30 Tage Anlagegeschäfte machen? Am schnellsten und unkompliziertesten über das Büro Koch. Das hatte sich herumgesprochen.

Drei Millionen Mark zu drei Prozent Zinsen machten in einem Monat 7500 Mark. Sollten Kämmerer, die rechnen können, für ihre Kommune nicht auf diese wundersame Weise ein bisschen Reibach machen? Oder hätte ihnen solches Finanzgebaren von Anfang an suspekt sein müssen? In jedem Fall war es ein verführerisches Spiel – und kein schlechtes Geschäft auch für jene, die kurzfristig ein Etatloch zu stopfen hatten. Denn der Zinssatz war meistens günstiger als bei der Bank. Obendrein hatten die kommunalen Geldgeber ein gutes Gewissen. Schließlich unterstützte man mit den Finanzspritzen die öffentliche Hand und damit den Bau von Schulen oder Kliniken.

Man hat sich so sehr vertraut, dass der Böblinger Stadtkassenchef Vinzelberg auch 1996 keinen Verdacht schöpfte, als das seinerzeit an den Ortenaukreis verliehene Geld zum Teil von der Städtischen Krankenanstalt Solingen zurückgezahlt worden ist. Das böse Erwachen kam dann im März 2000. Die fälligen Termingelder, dieses Mal von der Stadt Eschweiler und dem Landkreis Ortenau, trafen nicht wie gewohnt in Böblingen ein. Die Nachfrage in Kochs Büro ergab, dass die Staatsanwälte bereits ermittelten. Weitere Gelder blieben aus. Der Stadt Böblingen fehlten am Ende 6,4 Millionen Euro.

Während immer mehr geprellte Kämmerer vergeblich auf die Rückzahlungen warteten, strich der mutmaßliche Trickbetrüger in diesem Durcheinander laut der Staatsanwaltschaft 31 Millionen Euro für sich ein und reiste mit seiner Freundin durch die Welt. Koch hatte alles sorgfältig vorbereitet. Bevor ihn die deutschen Behörden verhaften konnten, stieg er im Dezember 1999 ins Flugzeug, dieses Mal in Richtung Namibia. Dort hatte er sich auf einer Farm luxuriös eingerichtet, mit Tennisplatz, Pool und Flugzeuglandebahn. Im Internet warb er als Honorarkonsul von Namibia für seine riesige Ranch La Rochelle. Kochs Gäste kamen aus Deutschland, er empfing aber auch namibische Würdenträger, darunter den Staatspräsidenten Sam Nujoma, und ging mit ihnen auf Großwildjagd.

Böblingens Finanzbürgermeister Michael Beck, der erst ins Amt kam, als die Transfers abgeschlossen waren, setzte alle Hebel in Bewegung und zog gegen die Geldnehmer vor Gericht, die ihrerseits Schulden bei anderen Gemeinden hatten und daher den Kredit aus Böblingen nicht begleichen wollten. Böblingen gewann die Prozesse gegen die Städte Eschweiler und Detmold. Auch der Ortenaukreis überwies die geliehene Summe zurück, denn die Belege waren eindeutig: In dem ganzen Verwirrspiel fungierte Böblingen ausschließlich als Geldgeber. Am Ende konnte man durchatmen. Das Finanzloch von 6,4 Millionen Euro war gestopft, sogar mit Zins und Zinseszins.

Doch wie Böblingen mit einem blauen Auge sind längst nicht alle Städte davongekommen. Einige getäuschte Kommunen wollten zur Aufarbeitung und zum Ausgleich der Fehlbeträge eine Klärungsstelle beim Städte- und Gemeindetag einrichten. Damit sollte eine teure Prozesslawine verhindert werden. Andere Kommunen winkten aber ab. Sie fürchteten, in letzter Konsequenz an den Kosten beteiligt zu werden. Der Bundesgerichtshof entschied schließlich in einem Grundsatzurteil, dass die Geschäfte einzeln rückgängig gemacht werden müssten. Landauf, landab bemühen die Opfer des Koch-Systems nun die Gerichte und ringen um Aufklärung. Ein Ende ist nicht absehbar.

Ob Hans Jürgen Koch selbst jemals Licht ins Dunkel seiner Machenschaften bringen wird, ist fraglich. Die große Freiheit auf La Rochelle ist für ihn zwar vorbei. Koch wurde am 14. Oktober 2002 auf seiner Ranch verhaftet. Seitdem versuchen Münchener Staatsanwälte den 54-Jährigen vor ein deutsches Gericht zu stellen – bisher aber ohne Erfolg.

Immerhin stimmten die Richter im namibischen Tsumeb im September der beantragten Auslieferung zu. Die Verteidiger des mutmaßlichen Millionengauners legten jedoch Berufung ein. Der nächste Gerichtstermin ist nicht in Sicht. Möglicherweise werden sich noch zwei weitere Instanzen in Namibia mit dem Auslieferungsverfahren befassen.

Ob Koch, der in 203 Fällen seine Klientel über die tatsächliche Verwendung der Termingelder getäuscht haben soll, demnächst zur Verantwortung gezogen werden kann, ist nach Einschätzung des stellvertretenden Behördenleiters der Staatsanwaltschaft München II, Eduard Mayer, völlig offen. Sollte es je zu einer Verurteilung kommen, habe Koch ein Strafmaß zu erwarten, das zwischen einer saftigen Geldstrafe und fünf Jahren Freiheitsentzug liege.

Im Nachhinein betrachtet sind die Böblinger auch juristisch glimpflich davongekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Oberbürgermeister Alexander Vogelgsang, den Finanzbürgermeister Beck und den Stadtkassenchef Vinzelberg wegen des Verdachts der Untreue und des möglichen Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz ermittelt. Das Verfahren wurde zwar eingestellt. Der Stuttgarter Staatsanwalt Hans Richter sparte allerdings nicht mit Kritik und kam zu dem Schluss, dass die Böblinger Finanzverwaltung wie andere Kommunen das schnelle Geldgeschäft gewerbsmäßig betrieben habe, was Gemeinden nicht gestattet sei.

Weit mehr als einen Imageschaden trägt die badische Gemeinde Grenzach-Wyhlen davon. Deren Schaden beläuft sich auf fünf Millionen Euro. Der 14 000-Einwohner-Ort muss wahrscheinlich 800 000 Euro in den Wind schreiben. Denn die Gemeinde, die den Böblingern ein Darlehen über 1,8 Millionen Mark zurückzahlen musste, ist eine von zwölf Kommunen, die das Sparkassenkonto von Hans Jürgen Koch direkt bediente. Alles in allem überwiesen sie ihm jene 31 Millionen Euro, die jetzt als verloren gelten.

Der leidgeprüfte Rathauschef von Grenzach-Wyhlen, Jörg Lutz, macht sich und seinen Bürgern nichts vor: ¸¸Es wird schwierig sein, von Koch überhaupt etwas zu erhalten“, sagt er und fügt sarkastisch hinzu: „Wenn Herr Koch ausgeliefert wird, könnten wir ihn auf unserem Werkhof beschäftigen, bis er seine Schulden abgearbeitet hat.“
WOERNER / WOERNER

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