Touristen im Schlafzimmer unerwünscht

Ein Dorf in Baden soll zum Freilichtmuseum werden, doch nicht alle Bewohner wollen Inventar sein
Sprantal – Mit der Ruhe im Flecken ist es vorbei. Seit bekannt ist, dass das Badische Landesmuseum in Karlsruhe an Plänen arbeitet, aus dem Kraichgauörtchen Sprantal mitsamt seinen Bewohnern ein „lebendes“ Freilichtmuseum zu machen, zieht sich ein tiefer Graben durch das Dorf. Anders als die Stadtoberen beteuern, ist der Beifall einiger Sprantaler für die Idee eher verhalten.
VON TORSTEN SCHÖLL

Das Dorf liegt auch am späten Vormittag noch wie verschlafen in der Talsenke. In Sprantal, einem Ortsteil von Bretten, leben rund 380 Menschen. Doch genau genommen verbringen die meisten hier nur die Nacht. Denn Arbeit gibt es in der kleinen Kraichgauortschaft kaum. Einen Laden sucht man hier vergebens, am Ortsrand steht der letzte Bauernhof, Handwerker haben sich nur wenige angesiedelt. Wer hier wohnt, fährt ins Büro nach Bretten oder Pforzheim.

Rechts und links der Ortsstraße, die keine 200 Meter lang ist, stehen die alten Fachwerkhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die Ende vergangenen Jahres so unvermittelt in den Fokus von Landeshistorikern und Tourismusexperten gerückt sind. Etwa zehn davon sind unbewohnt – unschwer zu erkennen an zerbrochenen Fensterscheiben, eingedrückten Giebeln und eingetretenen Türen. Sonnenstrahlen bahnen sich durch marode Dächer ihren Weg. Idyllisch muten zwischen all dem Verfall höchstens die alte Linde bei der Dorfkirche und zwei Misthaufen an, die vor sich hin dampfen. Einige der Gebäude, die noch bewohnt sind, machen einen kaum besseren Eindruck.
In einer sperrangelweit offenen Scheuer hängen an diesem Morgen vier Schweine an vier Haken. Ein Schlachter schneidet fette Schinken aus den Tieren. Der Nebenerwerbsbauer, in dessen Stall die Sauen bis gestern noch grunzten, weiß, was die meisten Leute in der Straße von dem geplanten Freilichtmuseum halten: nichts. „Wie stellen die sich das vor?“, fragt der Mann und schüttelt dabei heftig mit dem Kopf. „Sollen wir unsere Türen offen stehen lassen und die Besucher durch das Schlafzimmer führen?“
Schon ist von jährlich bis zu 300 000 Besuchern die Rede, die das zwar historisch einmalige, aber eben in großen Teilen völlig verwahrloste Ensemble aus Kirche, Rathaus, alten Scheuern, Milchhäusle und Viehwaage besuchen sollen. Einen Vorgeschmack auf die Zukunft als lebendes Ausstellungsinventar bekommen die Bewohner der Ortsstraße bereits heute. „Seit das mit dem Museum die Runde gemacht hat, ist es an den Sonntagen vorbei mit der Ruhe“, sagt eine der wenigen jüngeren der rund 80 betroffenen Bewohner, die in der Ortsstraße leben.
Die Vorgänge im Brettener Rathaus, wo Oberbürgermeister Paul Metzger und Sprantals Ortsvorsteher Kurt Kraus kräftig die Werbetrommel für das Projekt rühren, verfolgt die junge Frau skeptisch: „Demnächst“, erzählt sie, „sollen wir uns ein ähnliches Museum im elsässischen Ungersheim anschauen.“ Die Busfahrt nach Frankreich spendiere das Rathaus in Bretten. „Ohne die Zustimmung der Sprantaler“, weiß auch Ortsvorsteher Kraus, „wird es nichts aus dem Kraichtaler Freilichtmuseum.“
Die Mehrheit der 380 Sprantaler ist freilich längst für die Sache gewonnen: Denn der weitaus größere Teil des Dorfes liegt oberhalb des alten Stadtkerns. Oben, im Neubaugebiet, hat sich schon Vorfreude breit gemacht. Das Freilichtmuseum gilt, wie OB Metzger sagt, „als letzte Chance für das Dorf“ auf der Grenze zwischen den ehemaligen württembergischen und kurpfälzischen Territorien. „Noch 1956 haben nur zwei Sprantaler außerhalb des Orts gearbeitet“, beschreibt Ortsvorsteher Kraus den schleichenden Niedergang des Fleckens. „1960 gab es noch 40 Höfe in Sprantal.“ Danach sei es bergab gegangen.
Warum Sprantal unter Historikern als historisches Kleinod ersten Ranges gilt, erklärt der Leiter des Badischen Landesmuseums, Professor Harald Siebenmorgen: Demnach war das Dorf im Grenzgebiet bis zum frühen 19. Jahrhundert mit einem so genannten Bannzaun belegt, der die Ausdehnung, sprich den Bau neuer Häuser, untersagte. Wurde der Wohnraum zu eng, behalfen sich die damaligen Bewohner mit kleinen Anbauten an die bereits bestehenden Gebäude. „Eine außergewöhnliche Situation“, urteilt Siebenmorgen, in dessen Haus eine Machbarkeitsstudie für das Freilichtmuseum auf den Weg gebracht wurde.
Dass so viel Geschichtsträchtigkeit erhaltenswert ist und die Fachwerkhäuser dringend restaurierungsbedürftig sind, bezweifelt inzwischen kaum einer mehr in Sprantal. Doch bei nicht wenigen in der historischen Ortsstraße ist mittlerweile auch der Zweifel gereift, ob ein Freilichtmuseum der richtige Weg ist. „Die Befürworter aus dem Neubaugebiet wären ja selbst nicht betroffen“, gibt der Teilzeitlandwirt zu bedenken. Dass künftig neugierige Touristen zuschauen, wie er seine Schweine an die Haken hängt, sei ihm ein Gräuel.
Anders als Brettens Oberbürgermeister Metzger – in Personalunion Vorsitzender der Tourismusgemeinschaft Kraichgau-Stromberg -, der gerne die ungeteilte Zustimmung der Sprantaler zu dem Projekt betont, sprechen die Bewohner in der Ortsstraße schon von einem großen Graben, der sich durchs Dorf zieht. Der kann noch tiefer werden. Zeit genug ist: Das Freilichtmuseum würde frühestens in acht bis zehn Jahren seine Tore öffnen.

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