AVL-Affäre (Müllglühofen)

Interview von Günther Jungnickl (Stuttgarter Nachrichten) mit Landrat Dr. Rainer Haas:
Schlussstrich noch in diesem Jahr?

G. Jungnickl (StN)
Herr Haas, der frühere AVL-Chef Marbach ist rechtskräftig wegen Vorteilsnahme verurteilt worden. Hatten Sie das so erwartet?

Dr. R. Haas
Ja – keine Frage. Denn bereits1996 waren die Anhaltspunkte und Vorwürfe gegen ihn so stark geworden, dass ich ihn im Zuge einer Eilentscheidung fristlos entlassen habe und die Entlassung umgehend vom Kreistag bestätigt worden ist.

G. Jungnickl (StN)
Meinen Sie, dass Marbach jetzt noch eine Chance hat mit seiner Klage auf Wiedereinstellung als Geschäftsführer? Es gibt ja wohl keinen besseren Entlassungsgrund als die Entgegennahme von Schmiergeldern?

Dr. R. Haas
Das sehe ich genau so. Dieses Verfahren hatte bis jetzt geruht. Wir gehen davon aus, dass sich unsere Position durch seine strafrechtliche Verurteilung sehr gefestigt hat.

G. Jungnickl (StN)
Gibt es schon Hinweise von der Gegenseite, ob sie die Wiederaufnahme des Verfahrens weiter verfolgt?

Dr. R. Haas
Nein, da haben wir bisher nichts gehört.

G. Jungnickl (StN)
Aber Sie wollen weiterhin im Rahmen einer Widerklage 1,6 Millionen Mark von Klaus Marbach haben. Oder?

Dr. R. Haas
Wir denken darüber nach, wie wir mit der von Herrn Marbach im Strafverfahren vor Gericht angegebenen Vermögenslosigkeit umgehen sollen. Denn wenn ihm nicht das Gegenteil bewiesen werden kann, dann haben wir zwar einen schönen Titel über 1,6 Millionen, müssen aber im Zivilrechtsverfahren als Kläger die Kosten des Verfahrens tragen. Andererseits brauchen wir so ein Urteil, falls es sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass Herr Marbach doch Vermögen hat oder noch zu Vermögen gekommen ist. Wir müssen da sorgfältig abwägen. Einen Pyrrhussieg brauchen wir nicht.

G. Jungnickl (StN)
Woraus resultiert denn die Forderung auf 1,6 Millionen Mark?

Dr. R. Haas
Das sind zunächst einmal die Mehrkosten für den Interimsbetrieb des Deponierückbaus in Horrheim, bei dem statt nach Gewicht nach Zeitaufwand abgerechnet worden ist. Und das ohne entsprechende Beschlüsse in den Gremien! Dann zählen dazu die Gehälter in Höhe von monatlich etwa 8000 Mark für zwei Abfallberater, die allenfalls mal mit dem Tennisschläger unter dem Arm irgendwo gesichtet worden sind und die noch dazu in einem persönlichen Verhältnis zu Herrn Marbach standen. Weiter sind da noch die Kosten für jenen Tunnelglühofen, den Herr Marbach – ohne mich zu informieren – noch zu einem Zeitpunkt bestellte, als bereits die Untersuchungen bei der AVL durch die Schitag liefen, Schließlich sind in dem Betrag auch die Schmiergelder enthalten sowie die Erstellung eines Abfallkonzepts für China, das ebenfalls ohne Beschluss in Auftrag gegeben worden war.

G. Jungnickl (StN)
Kommen. wir zu der Schuldfrage in dieser AVL-Affäre. Sie sitzen jetzt auf einem Schuldenberg von 180 Millionen Mark, und die Bürger fragen sich doch, ob dafür allein Mar-bach verantwortlich war?

Dr. R. Haas
Ich bin kein Strafrichter, und deshalb kann ich auch die Schuldfrage nicht beantworten. Aber so viel kann ich wohl feststellen: Bei der zivilrechtlichen Auseinandersetzung geht es bei weitem nicht um diesen Betrag. Bei diesen 180 Millionen müsste wohl erst im einzelnen auseinandergepflückt werden, was als schlichte Fehleinschätzung oder Fehlentscheidung eines Geschäftsführers zu werten ist, für die er nicht persönlich haftbar gemacht werden kann, und was als bewusstes, schadenersatzrechtlich relevantes Fehlverhalten zu sehen ist. Die Staats-anwaltschaft hat sehr umfangreich ermittelt, und sie hat Herrn Marbach als den Schuldigen herausgefunden in den im Strafverfahren relevanten Fällen. Dafür ist er verurteilt worden.

G. Jungnickl (StN)
Und was ist mit den Kreisräten im AVL-Aufsichtsrat oder Ihrem Vorgänger als Vorsitzendem? Ist es nicht so, dass bei uns über Verantwortung immer nur geredet, dass sie aber letztlich nicht getragen wird, wenn es zu eklatanten Fehlentwicklungen kommt?

Dr. R. Haas
Das ist nur schwer zu beantworten, wenn man nicht selbst dabei gewesen ist. Es ist für mich eine Tatsache: Der Geschäftsführer der AVL hat immer wieder und in manchmal dreister Form die Gremien unzureichend, überhaupt nicht oder sogar falsch informiert. Solche Fälle machen immer wieder Schlagzeilen – nicht nur bei uns. Und letzten Endes bleibt der entstandene Schaden beim Steuerzahler hängen. Das ist unbefriedigend und bedauerlich. Das gefällt mir persönlich auch überhaupt nicht. Aber es ist die Praxis – und ich wüsste auch nicht, wie man das Problem anders lösen könnte. Ich erinnere aber auch daran: Es kam aus der Mitte des Kreistages, dass – als die Fehlentwicklung in der Abfallwirtschaft erkennbar wurde – die Schitag mit der AVL-Untersuchung beauftragt wurde.

G. Jungnickl (StN)
Was kommt jetzt noch an Forderungen auf den Landkreis Ludwigsburg zu von jenen Firmen, die auf Schadenersatz klagen, weil Sie das Müllkonzept geändert haben?

Dr. R. Haas
Da wird in der Tat noch etwas auf den Landkreis zukommen. Positiv ist schon mal, dass sowohl das Landgericht wie auch das Oberlandesgericht eine Klage der LEG zurückgewiesen haben. Auch im Verfahren der AVL gegen Geosa – die frühere PIUT/Göschel – hat das Landgericht die Geosa in erster Instanz zur Rückzahlung von einer Million Mark verurteilt. Bei der Schadensersatzklage der Firma Gerosan/Rommel wegen des abgebrochenen Deponierückbaus – es geht um 49 Millionen! – und der damit verbundenen fristlosen Kündigung müssen wir abwarten, wie das Verfahren ausgeht. Da steht noch ein Gutachten aus, das die tatsächlichen Kosten von Gerosan ermittelt. Bei allem Vorbehalt muss man hier am ehesten fürchten, dass noch etwas auf die AVL zukommt. Trotzdem hatte hier der Kreistag auf Vorschlag der Verwaltung die Notbremsung beschlossen, weil durch den Deponierückbau tagtäglich bis zu hunderttausend Mark in den Sand gesetzt worden sind. Es ist also unterm Strich dadurch mehr Geld gespart worden, als jetzt möglicherweise noch bezahlt werden muss. Schließlich gibt es dann noch die Forderung der ISEO/Telwest wegen des abgebrochenen Restmüllsplittings. Da gehen wir aber nach der Verurteilung von Herrn Marbach wegen Vorteilsnahme und Herrn Telwest wegen Vorteilsgewährung davon aus, dass es sich erledigt hat.

G. Jungnickl (StN)
Und kann dann endlich der Schlussstrich unter die AVL-Affäre gezogen werden?

Dr. R. Haas
Ja – und es ist durchaus möglich, dass diese Verfahren noch in diesem Jahr über die Bühne gehen.

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