Geschichte einer Stadt, an die (nur noch) ein Straßennamen in Bretten erinnert

bak_logovon Helmut Katzmann
Nachdem einige meiner Bekannten und Turnbrüder aus Bretten das heutige polnische Olsztyn kennengelernt haben, möchte ich mit diesem Artikel das frühere deutsche Allenstein und seine Bewohnern näher bringen. Die lokale Presse hat es abgelehnt, diesen Bericht zu veröffentlichen. Auch findet sie den Straßennahmen ungewöhnlich, obwohl in über 90 Städten Westdeutschlands dieser Name zu finden ist. Diese Straßennamen sollen auch eine bleibende Erinnerung an die verlorenen deutschen Städte zB. in Ostpreußen sein.
Nun ist es mir über das Internet möglich, eine Interessengruppe anzusprechen bzw. ihr die Geschichte Allensteins näherzubringen.

Allenstein, Geschichte einer Stadt, an die in Bretten ein Straßenname erinnert (Allensteinerstraße, OT Gölshausen)

Vor kurzem lernte ich einen 25-jährigen Studenten kennen, der einen polnischen Kommilitonen hatte, der mit ihm in Deutschland studierte. Von dem wurde er des öfteren nach Polen eingeladen. Hellhörig geworden fragte ich ihn dann, wohin denn nach Polen? Er antwortete mir, nach Olsztyn. Darauf fragte ich ihn dann, ob er wisse, dass diese Stadt bis 1945 Allenstein hieß und eine deutsche Stadt war, in der ich geboren, getauft und zur Schule gegangen war? Er antwortete darauf treuherzig, das wüsste er nicht.

Diese Aussage hat mich doch tief getroffen. Ist dieses Thema in der Schule, im Geschichtsunterricht, nicht behandelt worden? Oder hat er an diesem Tag zufällig gefehlt?
Diese Antwort war für mich eine Herausforderung den folgenden Artikel zu schreiben um die Geschichtsdefizite unserer Jugend, die sie vielleicht unverschuldet hinnehmen mussten, aufzuklären oder zu erweitern.

Allenstein

Meine Heimatstadt Allenstein wurde 1348 von Johannis von Leiden auf Anweisung des Domkapitels in Frauenburg an der rechten Uferseite der Alle gegründet. Zu ihrem Schutz ließen sie eine Burg errichten, die zunächst dem Domherrn als Residenz und Verwaltungssitz diente. Der Name Allenstein deutet auf niederdeutsche Herkunft (Steen – Burg) an der Alle.
Bis auf den heutigen Tag sind viele Gebäude Zeugen ordenszeitlicher Baukunst. Bereits 1353 erhielt Allenstein die Gründungsurkunde.

Das Allensteiner Stadtwappen

In der Mitte steht der hl. Jakobus, der Schutzpatron der Stadt und der Kirche. Der Zinnturm erinnert an die Herrschaft des Domkapitels, links das halbe Kreuz auf weißem Grund soll die Oberhoheit des deutschen Ritterordens über das Gebiet des Domkapitels symbolisieren.

Von 1348-1351 wurde die Burg /Schloss in Allenstein errichtet. Von 1516-1521 war Nikolaus Kopernikus als Kapitelvogt hier tätig. 1370-1380 begann man mit dem Großbauwerk der Stadt – die Pfarrkirche St. Jakobi, die jüngst von den Polen zur Kathedrale erhoben wurde. Die Anlagen der Stadt entsprachen den ordenszeitlichen Stadtbegründungen in Altpreussen. In der Mitte des Marktplatzes stand das Rathaus, Die Straßenzüge mit den Häusern der Gewerbetreibenden und Handwerkern standen rechtwinklig dazu.

Von 1516-1521 war Nikolaus Kopernikus als Administrator (Kapitelvogt) auf der Burg Allenstein eingesetzt. Die Besiedlung des Umlandes lag in den Händen von Johannis von Leiden, der die Ansiedlung aus Deutschland mit geschickter Hand betrieb. Sie wuchs langsam, doch auch sie wurde in den Zeitläufen nicht verschont. Brände, Seuchen, Krieg und Überfälle, Gräueltaten und Plünderungen waren die Begleiterscheinungen, die zu einen Stillstand der Entwicklung von Umland und Stadt führten.

Nach einer großen Feuersbrunst und Schwedeneinfälle gab es 1660 den Frieden zu Oliva. Die Europäischen Großmächte anerkennen die Souveränität des großen Kurfürsten über Preußen.
1709-1711 raffte die Pest ein Drittel der Bevölkerung in Allenstein dahin. 1807 zog Napoleon in Allenstein ein, Seine Truppen raubten und plünderten die Stadt aus. 1831-1866 herrschte die Cholera in Allenstein.

Die St. Jakobi-Kirche

Bild:Wikipedia.org

1370 wurde mit dem Großbauwerk der Stadt, die St. Jakobi Kirche, begonnen. Von den Polen wurde sie inzwischen zur Kathedrale erhoben. In diesem Zusammenhang noch eine geschichtliche Klärung:

Allenstein gehörte immer zum Domkapitel Frauenburg und somit zum Ermland. Es gehörte nie zu Masuren, wie es heute gern dargestellt wird.

Die folgenden friedlichen Jahrzehnte verschafften Allenstein nun die notwendige Zeit, die Städtischen Strukturen zu verändern, so wie sie auch nach Außen zu verbessern. 1877 wurde der neue Bürgermeister Oskar Belian gewählt. Altenstein geriet unter ihm in ein völlig neues Stadium. Innerhalb weniger Jahre wurde ein staatliches Gymnasium und ein Landgericht errichtet, ein Bahnhof gebaut und das Eisenbahnnetz nach allen Richtungen weiter ausgebaut. Damit entstand bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Allenstein ein bedeutender Verkehrsknoten. Die bestehende städtische Realschule wurde zu einer Oberrealschule und die höhere Töchterschule zu einem Lyzeum aufgewertet.
Im gotischen Stil wurde eine evangelische Kirche gebaut und 1877 eingeweiht.

Die Jakobi Kirche reichte für die wachsende Bevölkerung längst nicht mehr aus und so wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zwei neue Kirchen gebaut. 1919 bekam die Evangelische Gemeinde mit der Soldatengemeinde eine Garnisonkirche, Die jüdische Gemeinde baute bereits 1877 eine Synagoge.

Am 14.10.1905 wurde Allenstein zur Regierungsstadt erhoben, mit Sitz in Allenstein. Die städtische Entwicklung machte weiter große Fortschritte. 1907 fuhr in Allenstein schon die erste Straßenbahn, die später auf 5 Linien erweitert wurde und etwa ab 1938 wurde das Verkehrsnetz der Stadt durch Oberleitungsbusse weiter ausgebaut.

Der 1. Weltkrieg
1914 begann der 1. Weltkrieg. Die russische Truppen besetzten für zwei Tage auch Allenstein. Im August 1914 wurde die russische Armee bei Tannenberg, etwa 18km von Allenstein entfernt, vernichtend geschlagen. Am 11.11.1918 wurde dieser grausame Krieg beendet.
Die Alliierten erstellten eine Friedensvertrag, der in Deutschland das Diktat von Versailles genannt wurde. Die Polen stellten damals schon die Forderung, ganz Ostpreußen einschließlich Königsberg unter polnischer Verwaltung zu stellen. Die Alliierten lehnten diesen Plan jedoch ab. Dagegen gab es eine Volksabstimmung unter Aufsicht der Alliierten. In Ostpreußen stimmten 97,8% und in Westpreußen 94,3 für den Verbleib im deutschen Reich. Trotz der klaren Abstimmung, musste Westpreußen nach dem Versailles Vertrag an Polen abgetreten werden. Ostpreußen wurde dadurch eine Insel und vom Mutterland abgetrennt. Wer auf dem Landweg nach Deutschland wollte, musste durch den so genannten polnische Korridor und für die Waren, die er mit führte an die Polen Zoll bezahlen. Auch begannen die ersten Schikanen an den deutschen Reisenden durch die polnische Zöllner.

Die nächste kriegerische Auseinandersetzung war damit schon vorprogrammiert. Man kannte die Mentalität der Deutschen – diese Trennung würden sie auf die Dauer nicht hinnehmen. Aus Gründen von Willkür und Schikanen an der deutschen Bevölkerung sind rund 760.000 Menschen aus Westpreußen in ihr deutsches Staatsgebiet zurückgekehrt.

Die Stadt Allenstein hatte zu Friedenszeiten 50.400 Einwohner.
Bereits vor Ausbruch des Krieges 1939 wurde in Allenstein an verschiedenen Standorten der Schulbetrieb eingestellt und Notlazarette eingerichtet. Eine Zeit lang hatte ein Teil der Schüler im Allensteiner Stadtwald, in Gottes freier Natur, Unterricht. Später wurden sie auf auf andere Schulen verteilt und es wurde auch nachmittags, zum Teil bis 18.00 Uhr unterrichtet. Dadurch, dass Allenstein eine Garnisonstadt war, mit ca. 6 Kasernen, kam es Ende August zu einer riesigen Truppenbewegung in Richtung Osten.

Der 2. Weltkrieg
Am 1.September 1939 überschritten deutsche Soldaten die polnische Grenze. Am 3.September, also drei Tage später, erklärten England und Frankreich Deutschland den Krieg.  Damit begann der 2. Weltkrieg und für Deutschland ein 3 Frontenkrieg. Am 14. September 1939 marschierte Russland in Ostpolen ein. Dennoch erfolgte keine Kriegserklärung von England und Frankreich an Russland. Der Weltkrieg endete am 9.Mai 1945.
Allenstein war bis zum 22. Januar in deutschen Händen und somit unter deutscher Verwaltung. Als die russischen Truppen eindrangen, war die Bevölkerung zu spät informiert worden und nur ein Teil gelang die Flucht.
Eine Verteidigung der Stadt hat nicht stattgefunden.
Die russischen Truppen fielen in Allenstein wie Dschingis Khans Horden ein und haben sich in der Stadt und an der Bevölkerung bestialisch ausgetobt. Die schrecklichen Tragödien hat der russische Schriftsteller Lew Kopolew in seinem Buch „Aufbewahren für alle Zeit“ niedergeschrieben (Seiten 19-96-112-122).

Im Mai 1945 wurde Allenstein unter polnischer Verwaltung gestellt. Nun kamen aus verschiedenen Gebieten ihres Landes die Polen nach Allenstein und Umgebung und nahmen alles in Besitz was ihnen am besten gefiel. DIE BISHERIGE DEUTSCHE Bevölkerung wurde zum Teil in Notunterkünften zusammengepfercht oder durften auf ihren – eigenen – Höfen als Knecht oder Magd bei den Polen arbeiten.
Das war die erste Vertreibung der Ostpreußen von ihrem Eigentum.
Die zweite Vertreibung fand dann für die Deutschen im Oktober 1945 statt. Wie das vor sich ging, ist aus der beiliegenden Bekanntmachung für die deutsche Bevölkerung zu entnehmen. Die einzige Alternative zur freiwilligen Abreise nach Deutschland war darin klar definiert. „Falls dieser Befehl nicht ausgeführt wird, kommen alle Deutschen in ein Straflager.“

Diese armen, geschundenen Menschen aus Allenstein und Umgebung wurden nun für den Transport in Viehwagen verladen. Ein Großteil dieser Menschen überlebten das nicht und kamen dabei um. So auch meine Großmutter mit 84 Jahren. Für sie hat man in Allenstein ein kirchliches Begräbnis abgelehnt. (Das ist in einem separaten Bericht nachzulesen.)
Der Name meiner Heimatstadt Allenstein wurde nach rund 650 Jahren Deutschtum ausgelöscht , mit ihr auch ihre Jahrhundert alte Deutsche Kultur und Geschichte.
Nun heißt die Stadt seit rund 60 Jahren auf polnisch Olsztyn.

Der Gedanke an diese Stadt mit dem herrlichen Umland, mit seinen vielen Wäldern und Seen, den damals blühenden Feldern, wird ewig in Erinnerung bleiben – als unser Heimatland.
Der russische Schriftsteller Lew Kopolew sagte einmal: „Die Wahrheit kann niemals Revanchismus sein!“

Schlussbemerkung:
Das Schicksal der Allensteiner Bevölkerung, die es nicht mehr schafften vor den Einmarsch der russischen Truppen zu fliehen, möchte ich hier nochmals erwähnen. Denn sie hatten die Hauptlast des Krieges zu tragen. Nach unzähligen Gräueltaten und vielen Vergewaltigungen wurden diese armen Menschen, als Stalins Sklaven für mehrere Jahre nach Russland in Arbeitslager verschleppt. So auch zwei meiner Schulkameradinnen von gerade 15 und 16 Jahren – und das nach Kriegsende. Viele dieser jungen Menschen starben an Krankheit, Unterernährung und der ungewohnten harten Arbeit. Das waren die unschuldigsten Opfer an dem Kriegsgeschehen und mussten dafür bitter büßen.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

Print Friendly, PDF & Email
Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten zu Geschichte einer Stadt, an die (nur noch) ein Straßennamen in Bretten erinnert

  1. Helga Kunz sagt:

    Danke für diesen Beitrag. Auch ich war vor einigen Jahren in Allenstein und habe die Kaserne Friedr. der Große gesucht. Mein Vater war dort im Musikkorps und ist ab 22.01.1945 bis heute vermißt. Niemand weiß was aus den Wehrmachtsangehörigen der Kaserne geworden ist.
    Meine Mutter ist mit mir (1 1/2 Jahren) am 18.01.45 nach Allenstein zu meinem Vater gefahren. In seinem letzten Feldpostbrief schrieb er, dass das Korps am 25.01.45 mit unbekanntem Ziel versetzt wird. Wir sind wieder gut zu Hause (Stettin) gelandet. Ich möchte so gerne wissen, was mit meinem Vater und seinen Kollegen passiert ist. Vielleicht weiß jemand aus dem ehemaligen Allenstein etwas. Alle möglichen Adressen wie Rotes Kreuz, Die Dienststelle und Kirchlichen Suchdienst habe ich bereits mehrmals angeschrieben. Ich bedanke mich im Voraus für jeden kleinen Hinweis.

    Helga Kunz

  2. Holapfel sagt:

    Guten Tag

    lebe in München und besuchte gestern Allenstein: Mein Vater war einige Zeit- Nov. 1940 – in einer Kaserne in Allenstein, genannt FRIEDRICH der Große. Konnte diese leider nicht finden bzw. finde nirgendswo diesen Namen. War nur an Bruchteilen der Langsee-Kaserne gestanden.
    Danke für Ihre Hilfe und DANKE für Ihren BERICHT über Allenstein; er hat mich sehr bewegt!
    Gruß

    Hermann Holzapfel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert