Flächenverbrauch

Entwicklungschancen im ländlichen Raum sichern – Mit Modellprojekt MELAP Diskussion in Gang bringen
VON PETER HAUK MINISTER FÜR ERNÄHRUNG UND LÄNDLICHEN RAUM
Erfolgreiche Entwicklungskonzepte in Kommunen werden zu oft an der Ausweisung von Neubaugebieten gemessen. Die zunehmende Flächeninanspruchnahme in ländlichen Gebieten ist aber nicht allein eine Belastung für die Natur und den Bestand an wertvollen landwirtschaftlichen Flächen, sondern auch ein Eingriff in die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Generationen.

Unsere Lebensqualität hängt wesentlich von unserem sozialen Umfeld ab. Der tägliche Austausch, die Gespräche über Generationen hinweg, war über viele Jahrhunderte ein besonderes Wesensmerkmal gerade ländlich strukturierter Gemeinden. Der Zusammenhalt, die Nachbarschaftshilfe und nicht zuletzt auch ein lebendiges Vereinsleben waren und sind bis heute noch vielerorts eine Selbstverständlichkeit. Diese dörflichen Strukturen müssen erhalten und gestärkt werden. Aber in den vergangenen Jahren machen wir besonders im ländlichen Raum einen Trend aus, der in eine andere Richtung zeigt. Dorfkerne verlieren als Wohnort zunehmend an Attraktivität. Vor allem bei jungen Familien besteht der Wunsch, im Neubaugebiet der Gemeinde oder am Rande der Ballungszentren Wohnraum zu erwerben. Wachsender Wohlstand, zunehmende Individualisierung und Mobilität unserer Gesellschaft sind einige wesentliche Ursachen für diese Tendenz.

Die durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft ohnehin wachsende Zahl an nicht oder untergenutzten Gebäuden in Dorfzentren wird durch diesen Trend weiter vergrößert. Im Verbund mit der gleichzeitigen Ausweisung von Neubaugebieten auf der ,,grünen Wiese“ werden Natur-Ressourcen verbraucht und der Bestand an wertvollen landwirtschaftlich nutzbaren Flächen reduziert sowie Ortskerne geschwächt. Alte, bisher intakte, dörfliche Strukturen gehen verloren. Derzeit werden allein in Baden-Württemberg täglich rund 8,8 Hektar meist hochwertige landwirtschaftliche Flächen überbaut. Eine solche Entwicklung ist weder gesellschaftspolitisch akzeptabel, noch dauerhaft umweltverträglich und wirtschaftlich. Wohl liegt der Schwerpunkt des Flächenverbrauchs in den Ballungszentren. Aber auch der ländliche Raum ist davon betroffen. Wesentliche Vorzüge des ländlichen Raums gegenüber den Verdichtungsräumen werden so schrittweise zerstört.

Lockmittel Neubaugebiet Der Wettbewerb der Kommunen um Einnahmen führt häufig auch dazu, dass die Gemeinden mit großzügigeren Angeboten an preiswerten und attraktiven Neubaugebieten locken. Schließlich bedeutet jeder neue Einwohner zusätzliche Einnahmen für die kommunalen Kassen. Die optimistische Betrachtung der Gegenwart beim Schaffen neuer Baugebiete wird sich jedoch mittelfristig nicht mehr halten lassen. Die Prognosen der Statistiker zeigen, dass selbst bei relativ hohen jährlichen Nettozuwanderungen die Bevölkerungszahl des Landes — nach einer Phase mit Einwohnerzuwächsen — in einen Abwärtstrend übergehen wird. Auch ländliche Gemeinden werden diesen Trend zu spüren bekommen. Durch den Rückgang der Einwohnerzahl sinken die Einnahmen. Der Unterhalt von kostspieligen, großflächig angelegten Infrastruktureinrichtungen, gerade in Flächengemeinden, kann kaum mehr finanziert werden. Kommunen geraten in die Kostenfalle. Vor diesem Hintergrund wird sich die finanzielle Lage in zahlreichen Gemeinden weiter verschlechtern.

Es ist deshalb ein wichtiges Anliegen der Landesregierung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, den Flächenverbrauch einzudämmen und die soziale Funktion der Dorfkerne zu stärken. Das Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum widmet sich mir dem Modellprojekt Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Aktivierung des innerörtlichen Potenzials (MELAP) diesem wichtigen Zukunftsthema. Für Gebäudeumnutzungen und -modernisierungen, die Schließung von Baulücken und vorbereitende Maßnahmen stehen in 13 Modellgemeinden rund 10 Millionen Euro zur Verfügung.

Modellprojekt MELAP Zentrales Ziel des Modellprojekts ist es, Strategien, Beispiele und Wege zu entwickeln, wie innerörtliche Potenziale aktiviert werden können. Dabei geht es insbesondere darum, nicht mehr oder untergenutzte Gebäude umzunutzen beziehungsweise zu modernisieren und freie Flächen zu bebauen. Sofern hierfür Bodenordnungsmaßnahmen erforderlich sind, steht mit der Flurneuordnung ein geeignetes Instrument zur Verfügung. In zwei Modellgemeinden werden solche Bodenordnungsmaßnahmen über innerörtliche Flurneuordnungen durchgeführt, um die Grundstücksverhältnisse durch Neuzuschnitt und Erschließung für neue Nutzungen zu aktivieren.
Eine besonders für die Kommunalpolitik wichtige Erkenntnis aus den ersten zwei Jahren von MELAP ist, dass die Gemeinden innerörtliche Potenziale in ihrer ganzen Dimension zumeist gar nicht kennen. So waren die Vertreter der am Modellprojekt beteiligten Kommunen durchweg überrascht, wie groß die Innenentwicklungspotenziale in ihren Orten sind. Beispielsweise haben die 13 Modellgemeinden im Rahmen ihrer Untersuchungen ein Potenzial von insgesamt mehr als 1000 Wohneinheiten im Ortskern ermittelt – und das bei Ortsgrößen von 230 bis 1600 Einwohnern. Damit kann bei realistischer Betrachtung der Einwohnerentwicklung in den Kommunen des ländlichen Raumes davon ausgegangen werden, dass das Innenpotenzial mehr als ausreichend ist, um die Wohnraumnachfrage auf Dauer zu befriedigen. Unsere Auswertungen belegen damit, dass im ländlichen Raum bei konsequenter Nutzung der Innenräume auf die Ausweisung von weiteren Neubaugebieten weitgehend verzichtet werden könnte. Sieben Modellgemeinden gingen hier bereits mit gutem Beispiel voran, indem bei der Fortschreibung des Flächennutzungsplans bereits ausgewiesene Bauflächen wieder als landwirtschaftliche Flächen eingestuft wurden. Fünf weitere MELAP-Kommunen haben bereits entschieden, dies in naher Zukunft zu tun.

Innerörtliche Potentiale nützen Aber das Projekt hat auch etwas weiteres gezeigt. Es ist in MELAP-Gemeinden in vielen, zum Teil vollkommen unterschiedlich gelagerten Fällen gelungen, Interessante modellhafte Vorhaben anzustoßen, die beispielgebend für die Nutzung innerörtlicher Potenziale in ländlichen Regionen sind. In einigen Fällen wird sehr anschaulich gezeigt, wie attraktiv das Leben im Ortskern sein kann. Gute Beispiele haben dazu geführt, dass auch bei jungen Familien Interesse am Bauen im Bestand geweckt wurde. Die Vorbilder fanden also Nachahmer. Deshalb ist es unverzichtbar, die Bevölkerung in das Projekt eng einzubinden. Mit MELAP werden auch hier neue Wege beschritten. Es geht darum, die Bürgerinnen und Bürger für die Problematik des Landschaftsverbrauchs und der leer stehenden Gebäude zu sensibilisieren. MELAP braucht diese Bürgerbeteiligung, die Schärfung des Bewusstseins, die Sensibilisierung für die Problematik. Und wir müssen den Menschen zeigen, dass nicht allein das Leben im Neubaugebiet lebenswert ist. Wir müssen ihnen mit Beispielen vor Augen führen, dass ein Ortskern mit eigener Identität und Geschichte auch lebenswerte Vorzüge hat, die keine Neubausiedlung bieten kann. Nur wenn wir diesen Umdenkprozess in den Köpfen der Menschen erfolgreich anstoßen, kann die Trendwende gelingen. Viele Einzelgespräche, viele Beratungen sind erforderlich, und nicht immer ist der Erfolg vorprogrammiert. Die anvisierte Trendwende ist trotz Verankerung der Problematik in den einschlägigen Gesetzen und allen Planwerken bislang nicht gelungen. Daher brauchen wir neue Instrumente. MELAP wird seinen Beitrag zur Reduzierung des Flächenverbrauchs leisten.

Zukunftssicherung Daneben dürfen wir aber die anderen Instrumente zur Steuerung nicht aus den Augen verlieren. Und auch hier sollten vorbehaltlos neue Ideen geprüft werden. Dabei will ich nicht einem bedingungslosen Flächenverzicht das Wort reden, sondern, was wir brauchen, ist die Zukunftssicherung durch eine nachhaltige und zielgerichtete Flächennutzungspolitik. Die Gemeinden entscheiden mit ihrer Bauleitplanung darüber, in welchem Umfang Flächen in Anspruch genommen werden. Sicher tragen sie nicht allein Verantwortung, aber den Kommunen kommt durch ihre verfassungsrechtlich garantierte Planungshoheit eine große Verantwortung für die Zukunft zu. Solange die Leistung eines Bürgermeister sehr oft immer noch am Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum gemessen wird, ohne zugleich auch den Preis hierfür gegenzurechnen, der auf Dauer hierfür gezahlt werden muss, wird diese Entwicklung nur schwer zu beeinflussen sein. Wenn wir den Menschen, insbesondere den jungen Familien das Bilden von Wohneigentum ermöglichen wollen, brauchen wir neue Strategien, die einerseits dem Bedürfnis nach anspruchsvollem hochwertigen Wohnraum gerecht wird, andererseits aber auch die gesellschaftlichen, landwirtschaftlichen und den Naturschutz berührenden Interessen berücksichtigen.
MELAP ist nicht mit dem Anspruch angetreten, innerhalb weniger Jahre sämtliche Probleme um den Landschaftsverbrauch und die damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Fragen zu lösen. Aber die Diskussion über den Flächenverbrauch ist nicht zuletzt dank MELAP in den 13 Modellgemeinden und darüber hinaus in vollem Gange.

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