Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung

Erinnern Sie sich noch?
Am 22. März des Jahres 1983, drei Tage vor dem dreizehnten Geburtstag des türkischen Jungen Özel, unterschreibt der Brettener Oberbürgermeister Leicht einen Brief, der sicher nicht ganz kindgemäß mit dem Satz beginnt: „Sehr geehrter Herr Alan, gemäß §9 Absatz 2, 10 Absatz 1 Nr. 11, 12, 13 und 24 des Ausländergesetzes vom 28.4.1965 ergeht folgende Verfügung: Sie werden aus der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin ausgewiesen. Die Ausweisung gilt unbefristet.“

Am Geburtsort des Humanisten und Reformators Philipp Melanchthon, wird die Ausweisung des Kindes weiterhin begründet mit „Nach Ihrer Persönlichkeit und Ihrem bisherigen Verhalten ist zu erwarten, daß Sie im Falle eines Verbleibens in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit bilden.“

Das strafunmündige Kind, das nicht einmal einen deutschen Schulaufsatz schreiben kann, dürfte die juristische Rechtfertigung kaum verstanden haben. In der hohen Sprache der Brettener Behörden liest sich die Belehrung an den Türkenjungen so: „Die zu berücksichtigenden persönlichen Interessen an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiegen nicht die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit.“

Federführend bei der Brettener Ausweisungsverfügung war das Ausländeramt der Stadt. Darin heißt es: „Auskunft erteilt Herr Hermann“. Herr Hermann konnte bei einer Rückfrage des Journalisten der „Zeit„, jedoch keine Auskunft erteilen. Er war im Urlaub. Bei seiner Rückkehr wird er sich sicherlich erschrocken haben, Özel war inzwischen wieder in der Bundesrepublik. Die Sicherheit und Ordnung in Bretten war dadurch wohl erneut in „außerordentlich hohem Maße“ gefährdet. Durch einen nun Dreizehnjährigen.

Und heute, im Jahr 2008?
Während der jetzige Oberbürgermeister Metzger jährlich die Thesen Melanchthon’s an die Rathaustüren nagelt, damit den Bürger/Innen das humanitäre Gedankengut des „Praeceptor Germaniae“ nicht verloren ginge, sorgt sein pflichtbewußter Mitarbeiter Hermann weiterhin für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung in der Stadt.

Text teilweise entnommen aus einem Artikel in „Die Zeit“, Nr 51. 16.12.1983

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

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4 Antworten zu Eine Gefahr für die öffentliche Ordnung

  1. -an-i- sagt:

    Wie wird ein Deutscher zum Ausländer?

    In dem er/sie sich außerhalb deutscher Grenzen aufhält. 🙂

  2. -az- sagt:

    Wenn der einzelne Entscheider in der Bürokratie die Möglichkeit hätte jede beliebige Person (auch die einheimischen) auszuweisen, dann wäre man („manipulations“?) sicher nur „unter uns“ – oder?

  3. b sagt:

    Und heute werden öffentlich Melanchthon-Thesen aus erlesenem Mund verkündet!

  4. wert.- sagt:

    So hatten alle, die daran beteiligt waren, etwas zu schaffen.

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