Schulen verkehren auf Augenhöhe mit ihrer Aufsicht

Am Melanchtongymnasium in Bretten lässt man sich von Gutachtern freiwillig ins Klassenzimmer schauen
Vom Herbst 2008 an müssen alle Schulen im Land von externen Spezialisten überprüft werden. Am 13. Dezember wird der Landtag wohl das Gesetz beschließen. Viele Schulen hegen große Befürchtungen – aber nicht alle. Einige haben sich schon freiwillig begutachten lassen.
Von Renate Allgöwer

Am Melanchtongymnasium in Bretten hat man keine Berührungsängste mit den Gutachtern. Als erstes Gymnasium war man beim Projekt „Fremdevaluation“ dabei. „Es ist nicht mehr wie früher, als vier schwarze Benze vor der Schule vorfuhren, und die Lehrer vor den Schulräten erstarrt sind“, berichtet Schulleiter Rüdiger Herrscher. „Die heutigen Evaluatoren sind keine obrigkeitsstaatlichen Oberaufseher.“ In Bretten betrachtet man die Abgesandten des Landesinstituts für Schulentwicklung als Kollegen, die durch den Blick von außen verhindern, dass man betriebsblind wird.

Die „freiwillige Fremdevaluation“ begann im Sommer 2005, im November kamen drei Gutachter nach Bretten – mit dem Stadtbus und im dunkelgrünen Mini, statt im schwarzen Benz. Für Herrscher war es keine Frage, „beim achtjährigen Gymnasium und der Ganztagsschule müssen wir Schulentwicklung machen“. Das Kollegium war einstimmig dafür. Im Vorgespräch haben Evaluatoren und Schulleitung die Felder festgelegt, die untersucht werden sollten. Das ist ein Vorteil der frühen Beteiligung. In den Anfängen des freiwilligen Projekts konnten die Schulen wählen, später werden die Felder vom Landesinstitut festgelegt.

In Bretten ging es um das schulische Qualitätsmanagement, um die Unterrichtsergebnisse und die Methodenkompetenz. Das sind ganz sensible Themen. Herrscher und Bernhard Wendler, der Evaluationsbeauftragte der Schule, mussten manchen Lehrer beruhigen, dass der Minister über den Unterrichtsstil informiert werden könnte.

Die Prozedur ist langwierig. Drei Tage waren die Evaluatoren da. Das Melanchtongymnasium Bretten ist mit 1500 Schülern eines der fünf größten Gymnasien im Land. Die Gutachter führten Interviews mit Lehrern, mit Eltern und mit Schülern. Die Eltern hat die Elternbeiratsvorsitzende vorgeschlagen, die Lehrer für die Gruppeninterviews haben Herrscher und sein Stellvertreter Karl-Heinz Bezner nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Natürlich waren Lehrer darunter, die die Schulleitung nicht unbedingt vorzeigen wollte, „aber bei handverlesenen Interviewpartnern lügt man sich in die eigene Tasche“, erinnert sich der Rektor. Dann kam die Unterrichtsbeobachtung, in zwei Klassenstufen wurden Methoden und Klassenklima beobachtet. Am Ende stand der Rundgang durch das Schulhaus, um die Ausstattung zu besichtigen.

Im April wurde der 30-seitige Evaluationsbericht von den Gutachtern in der Gesamtlehrerkonferenz vorgestellt. Dabei kamen Licht und Schatten zu Tage. Eigentlich hielt man sich am Melanchtongymnasium etwas zugute auf das Schulklima. Jetzt kam als ernstes Manko heraus, der Dialog mit Eltern und Schülern sei nicht strukturiert, die Kommunikation der Lehrer untereinander verbesserungswürdig.

Die Lehrer hätten sich gewünscht, dass die Evaluatoren Verbesserungsvorschläge machen. Gerade das tun sie nicht. Die Schule musste sich selbst Gedanken machen und hat sie prompt umgesetzt. „Gut am Bericht war, dass er Prioritäten setzt“, findet der Rektor. Die Lehrer informieren sich jetzt gegenseitig über ihre Arbeitsgruppen, sodass jeder im Bilde ist. Seit der Evaluation gibt es Schulvereinbarungen und jede Menge Arbeitskreise. In allen sind jetzt Eltern und Schüler vertreten. Bei Fehlverhalten der Schüler tritt ein verbindlicher transparenter Stufenplan in Kraft. Bei fünfmal Zuspätkommen, gibt es ein Gespräch mit dem Klassenlehrer und eine schriftliche Zielvereinbarung. Wird diese nach einigen Wochen nicht erfüllt, kommen die Eltern zum Gespräch dazu, die höchste Stufe ist das Gespräch mit dem Rektor, nach dem ein Schulausschluss drohen kann. Das ist eine neue Beratungsqualität, bedeutet aber mehr Arbeit für Lehrer. Durch die klaren Regeln hofft man mittelfristig auf Entlastung. Das Ärgernis Unterrichtsausfall wurde im Arbeitskreis Erziehungspartnerschaft gelöst. Jetzt gibt es Ordner mit Arbeitsblättern samt Lösungsblatt, die sinnvolle Vertretungen ermöglichen. „Das ist einmal ein Riesenaufwand“, sagt Herrscher, aber eben nur einmal.

„Die Kollegen sehen, dass die Ideen zielgerichtet umgesetzt werden, deshalb machen die meisten mit“, sagt Bernhard Wendler. Etwa die Hälfte sei bereits im Boot. Die Angst vor Kontrolle lässt Rektor Herrscher nicht gelten. Seine Schule hat freiwillig eine Zielvereinbarung mit der Schulaufsicht im Regierungspräsidium abgeschlossen. Kollegen werfen Herrscher schon mal vorauseilenden Gehorsam vor, wenn er über die Fremdevaluation referiert. Der Vorwurf prallt an ihm ab. Er findet, das Verhältnis habe sich mit der zunehmenden Eigenständigkeit der Schulen gewandelt: „Allen ist die Qualität an Schulen wichtig. Aufsicht und Schule verkehren jetzt auf Augenhöhe.“

Aktualisiert: 04.12.2006, 06:13 Uhr

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Eine Antwort zu Schulen verkehren auf Augenhöhe mit ihrer Aufsicht

  1. a-v sagt:

    In gut organisierten wirtschaftenden Einheiten kennt man das jeweilige Organisationshandbuch, das die internen Abläufe für jedermann verbindlich festlegt. Dieses Handbuch wird ständig von der entsprechenden Stelle überarbeitet. Es wird also dynamisch fortgeschrieben.
    Das Kultusministerium müßte schon seit langem so etwas in den Schulen installiert haben, auch wenn man es aktuell Evaluation nennt.

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