Entspannen im Pool

In der Region Neckar-Alb arbeiten Bürgermeister bei der Vermarktung von Gewerbeflächen zusammen – das senkt Risiken und den Flächenverbrauch
V O N A N D R E A S G R Ä T E R , K U S T E R D I N G E N

B A L I N G E N / M Ö S S I N G E N . Ein Pendant gibt es weder in Baden-Württemberg noch in anderen Bundesländern:
Acht Gemeinden in der Region Neckar-Alb gehen neue Wege in der Vermarktung ihrer Gewerbeflächen.
Sie vermeiden dadurch einen ruinösen Konkurrenzkampf und sparen –als Beitrag zum Umweltschutz – Flächen ein. Das Vorhaben wird wissenschaftlich begleitet und erhält die nächsten drei Jahre über 400 000 Euro aus dem Bundesforschungsministerium.

In der Vergangenheit brachte die Hoffnung auf zukünftige Gewerbesteuereinnahmen zahlreiche Gemeinden dazu, Flächen auf Reserve auszuweisen. Ökologische Entwicklungen und städtebauliche Bedenken schoben Räte und Bürgermeister bisweilen
beiseite. Außerdem wurden Bauplätze oftmals weit unter dem Marktpreis an Unternehmer verkauft.
Dieter Gust, der als Vorsitzender des Regionalverbands Neckar-Alb maßgeblich am Aufbau des Gewerbeflächen-Pools Neckar-Alb beteiligt war, weiß sogar von einem Fall aus der Region, bei dem die Stadtoberen Bauplätze kostenlos abgaben. Paradebeispiel für den Konkurrenzkampf, der um solvente Gewerbesteuerzahler entstehen kann, war Ende der 90er-Jahre
das Ringen der Städte Reutlingen, Tübingen und Hechingen um ein Briefverteilzentrum der Post. Letztendlich profitierte das Unternehmen am meisten von den Streitereien.

Diese Wild-West-Methoden gehören zumindest in den am Gewerbeflächen-Pool beteiligten Städten und Gemeinden in der Region Neckar-Alb der Vergangenheit an: In einem ersten Schritt setzten die Bürgermeister verstärkt auf interkommunale Gewerbegebiete.
Doch mit dem Pool eröffnen sich weitere Möglichkeiten. „Die Idee ist so einfach, dass vielleicht gerade deswegen bisher noch niemand darauf gekommen ist“, sagt Gust. Die Kommunen – sieben aus dem Zollernalbkreis mit den Städten Balingen und Hechingen an der Spitze sowie Bodelshausen aus dem Kreis Tübingen – vermarkten zukünftig ihre unbebauten Gewerbeflächen weitgehend gemeinschaftlich.
Die Devise lautet: Weg von der punktuellen Zusammenarbeit zwischen Gemeinden – wie üblicherweise bei interkommunalen Gewerbegebieten der Fall – hin zu einer umfassenden Kooperation der beteiligten Kommunen auf allen zukünftigen Gewerbeflächen.

Diese strategische Allianz soll einerseits eine Begegnung auf Augenhöhe mit ansiedlungswilligen Unternehmern ermöglichen und andererseits den Flächenverbrauch eindämmen. Gust verspricht sich eine Stärkung der Wirtschaftskraft in der gesamten Region, da Risiken verteilt werden. Aufgrund von Krisen innerhalb einzelner Branchen komme es in den betroffenen Gemeinden zu Steuereinbrüchen. Mithilfe der Kooperation können diese Schwankungen abgemildert werden. Die aktuelle Größenordnung des Vorhabens liegt bei etwa 50 bis 70 Hektar. Grundlage der Zusammenarbeit ist eine anteilige Abrechnungslösung:
Unabhängig vom Ort, an dem sich ein Unternehmer niederlässt, profitieren dadurch alle Teilnehmergemeinden vom Flächenverkauf und der künftigen Gewerbesteuer. Wird eine Fläche verkauft, erhält die betreffende Kommune zunächst ihre Erschließungskosten erstattet, der zusätzliche Verkaufserlös fließt in den Pool ein und wird anteilig an alle Mitglieder verteilt – genauso wie die Steuerzahlungen. Dazu haben die Bürgermeister der Kommunen Ende Juli einen Kooperationsvertrag unterschrieben.

An Einzelheiten wird noch gefeilt. So werden derzeit die Bewertungskriterien, ihre wirtschaftliche und ökologische Wertigkeit sowie der Verteilungsschlüssel erarbeitet. „Es wird wohl auf eine Lösung in der Rechtsform eines Zweckverbands hinauslaufen“, erläutert Gust.
Auch ohne Grund und Boden können sich Kommunen an dem Modell beteiligen, wie der Vorsitzende des Regionalverbands
erklärt: „Die Gemeinden kaufen sich mit Geld ein, statt selbst Bauplätze zu erschließen. Dadurch sichern sie sich auf Dauer Einnahmen.“

Gerade für kleine Gemeinden sei dies eine attraktive Möglichkeit.
Und auch Kommunen, die die Grenzen ihrer Entwicklung bereits erreicht haben, können so von dem Pool-Modell profitieren. Den Bürgermeistern bleibt es darüber hinaus überlassen, ortsansässigen Firmen weiterhin eigene Gewerbeflächen anzubieten.
„So bleibt die Eigenentwicklung der Gemeinden gewährleistet“, betont Gust. Fremde Firmen dürfen sich hingegen allein auf Pool-Flächen ansiedeln. Der Zusammenschluss soll offen bleiben für neue Mitglieder, interessierte Bürgermeister können noch
mitmachen – allerdings momentan ohne Stimmrecht.

Das Projekt wird wissenschaftlich von Professoren und Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen begleitet. An der Entwicklung der Pool-Idee wirkte zudem die inzwischen aufgelöste Akademie für Technikfolgenabschätzung mit.

Die Themen dieses Tages in einem anderen Jahr :

Print Friendly, PDF & Email
Dieser Beitrag wurde unter Flächenverbrauch, Interkommunales, Wirtschaft abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

11 Antworten zu Entspannen im Pool

  1. kv sagt:

    Die Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner sowie die Schaffung von Bürgernähe durch die Verwaltung unterliegen einer absoluten Fehlanzeige.

    Die andauernde Unzufriedenheit der Einwohner nur aus den im 10. Kommentar dargelegten Gründen ist nicht zielführend für die Festigung der Verbundenheit der Bürger. Bürgernähe der Verwaltung besteht nicht darin, daß der Bürger einmal in der Zeit den „direkten Draht“ benutzen kann. Sie besteht in einer verständlichen Presse- und Informationsarbeit der Stadtverwaltung. Hier genügt es nicht, im Amtsblatt Beschlüsse des Gemeinderates zu veröffentlichen und ständig Fotos des Rathauschefs, den die Brettener zur Genüge kennen, zu zeigen.

    Es genügt weiter nicht, in den Brettener Nachrichten etwas zu veröffentlichen, was ausschließlich verwaltungsbezogen und daher nur eingeschränkt verständlich ist. Die Leser und Bürger wollen eine begreifbare kritische Berichterstattung über die Rathausarbeit.

    Letztlich schafft man Verbundenheit auch nicht ausschließlich durch die Anzahl von Stadt- und Altstadtfesten. Das ist kein Gradmesser. Von einer neudeutsch „Wohlfühl-Stadt Bretten“ ist man meilenweit entfernt – schade.

  2. v/Z sagt:

    Die Schaffung einer einheitlichen Lebens- und Umweltqualität für die Brettener Bürger ist in keinster Weise vollzogen, sondern bis heute regelrecht versäumt worden. Von der Notwendigkeit des Tafelladens ganz zu schweigen!
    Von den hier aufgeführten Versäumnissen können besonders die Anwohner der B35 ein Lied singen. Andere aber ebenso. Man denke nur an die gute Luft im Rinklinger Tal oder an den Standort für den Funkmast zwischen Diedelsheim und Rinklingen.
    Die Brettener Volksvertetung hat sich für die Lebensqualität der Bürger in den genannten Lebensbereichen übermächtig ins Zeug gelegt.
    Umweltqualität soll durch die Abholzung des Rüdtwalds – mit mehrheitlicher Zustimmung der Brettener Volksvertretung – ins Bewußtsein der Bürger gerufen werden. Man will sich durch Mehrheitsbeschluß schließlich Geltung bei den Brettener Bürgern verschaffen. Und darauf soll es regelmäßig ankommen.

  3. S. sagt:

    Zum 6. und 7. Kommentar.
    Gründe des öffentlichen Wohls sind Interessen der Allgemeinheit an besonderen Fragestellungen. Sie sind aus dem Verfassungsrecht abgeleitet: Dazu zählt auch die Schaffung einer einheitlichen Lebens- und Umweltqualität. Dieses Ziel findet seine Rechtfertigung aus Artikel 3 Grundgesetz und dem Sozialstaatsprinzip.

    Weitere Gründe des öffentlichen Wohls sind die Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner sowie die Schaffung von Bürgernähe der Verwaltung. Die Festigung der Verbundenheit der Bürger sowie die Bürgernähe der Verwaltung sind wesentliche Bestandteile demokratischen Selbstverständnisses des Staates.

    Wie steht es denn eigentlich in der Großen Kreisstadt Bretten mit einer einheitlichen Lebens- und Umweltqualität sowie mit der Wahrung der örtlichen Verbundenheit der Einwohner und der Schaffung der Bürgernähe der Verwaltung?

  4. K-H. W. sagt:

    In einer Pressemitteilung vom 15. November 2005 verkündete Umweltministerin Gönner: „Bei den Anstrengungen zur Verringerung des Flächenverbrauchs nimmt Baden-Württemberg unter den Flächenstaaten eine bundesweit anerkannte Vorreiterrolle ein.“ Die tausend Hektar Ackerland in der Region, die ohne Bedarf für Gewerbegebiete versiegelt wurden, lassen an dieser Aussage zweifeln.

  5. Bert.W. sagt:

    Nach dem Landeswaldgesetz soll “die Genehmigung versagt werden, wenn … die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt.” Wird hier das Gesetz missachtet?
    Wiegt der überzogene Wunsch eines Oberbürgermeisters nach Gewerbeflächen – der vorhandene Alternativen ablehnt – mehr als gesetzliche Vorgaben? Oder ist das Engagement von 6000 Bürgern, die ihren Wald erhalten wollen, kein “öffentliches Interesse” ?

  6. dr sagt:

    Zum Kommentar unter 6.
    „Öffentliches Interesse“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff aus dem Verwaltungsrecht. Das öffentliche Interesse ist das Wohl der Allgemeinheit.
    Der „vollständige Erhalt“ des Rüdtwaldes dient zweifelsfrei dem Wohl der Allgemeinheit. 6000 Bürger stehen mit ihren Unterschriften dafür.
    Der Gemeinderat ist dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet. Durch Mehrheitsbeschluß für die Abholzung hat er diese Verpflichtung aufgegeben. Er hat sich gegen die berechtigten Interessen der Bürger gewandt. Das disqualifiziert ihn.
    Nach dem Landeswaldgesetz soll „die Genehmigung versagt werden, wenn … die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt.“ „Soll“ ist nicht so verpflichtend wie „muß“ und – „überwiegend“ im öffentlichen Interesse – ist ein dehnbarer Begriff. Die mit dem Waldgesetz befaßte Behörde hat juristisch zu klären, warum sie die Genehmigung zur Abholzung versagen muß.

  7. kv sagt:

    Folgt der Brettener Gemeinderat dem Handeln der Region Neckar-Alb, so kann der Rüdtwald in seiner Vollständigkeit bestehenbleiben.

    Nicht nur Freunde des Waldes hätten daran eine große Freude, sondern auch all diejenigen, welche mit dem Begriff „Natur“ im weiteren Sinn heutzutage noch etwas anfangen können. Und das sind ganz bestimmt nicht wenige in der Region.

    Sich jetzt an dem Tun der Region Neckar-Alb zu orientieren und sich besonders zu engagieren und es nicht so zu belassen, das würden sehr viele Menschen im Kraichgau positiv aufnehmen.

  8. ghg sagt:

    Ja, sehr geehrte Damen und Herren im Brettener Gemeinderat, dem obigen Zusammenschluß mit einer Abstimmung nachzueifern, das wäre was.

    Aber was macht ihr Vorsitzender? Statt einer Beschlußvorlage für die Vermarktung von Gewerbeflächen in der Region bereits in der Vergangenheit unternahm er mit Weinflaschen im Gepäck eine Reise an die Ostsee. Als eine besondere Form des Marketing (Werbung) für die Weine der Region. Sind die Weinerzeuger in der Region nicht selbst in der Lage, ihre Produkte zu vermarkten? Brauchen sie dazu einen Oberbürgermeister (der Region)? Ist so etwas eine interkommunale Aufgabe? Bestimmt, weil man den Wein am Besuchsort auch mittrinkt. Weine der Region lassen sich zudem leichter vermarkten als Gewerbeflächen der Region.

    Ihr Vorsitzender denkt sogar laut über völlig überflüssiges Stadtmarketing auf der Offerta, einer Endverbrauchermesse, nach. Er kommt mir mit seiner Darbietung ebenso überflüssig vor.

    Unternehmen brauchen von Kommunen keine Unterstützung. Sie machen ihr Marketing selbst und fahren damit sehr gut. Also lassen sie es dabei bewenden.

  9. A/P sagt:

    Dort kann sich Herr Metzger noch etwas abgucken. Das setzt Lernfähigkeit und Lernwilligkeit voraus. Beides ist vorab in Frage zu stellen. Wenn er versucht hat, den Stein der Weisen (das Ziel der mittelalterlichen Alchimisten) zu finden – Melanchthon läßt grüßen – und ihn gefunden hat, dann ist da nichts mehr zu machen. Dann weiß er ja alles.
    Andernfalls kann er sich in die Region Neckar-Alb begeben und sich zum Wohl der Region Kraichgau, ihrer Menschen und ihrer schönen Landschaft kundig machen.

  10. -an-i- sagt:

    „Das Projekt wird wissenschaftlich von Professoren und Studenten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen begleitet.“
    So etwas schadet auf jeden Fall nicht, vorausgesetzt die Beteiligten können zumindest über den eigenen Tellerrand blicken. Das ist scheinbar aber nicht überall der Fall.

  11. mm sagt:

    Auch Balingen und Hechingen sind Mittelzentren Herr Oberbürgermeister ! Ihr Argument, dass ein Mittelzentrum egoistisch und einsam alles an sich ziehen muß, ist doch wohl sehr antiquiert, oder, bei Ihrer Liebe zur „Denkmal- und Brauchtumspflege“, hier trifft das (kommunalpolitische)Mittelalter auf die Neuzeit !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert