Vater eines Mobbingopfers klagt evangelische Kirche an

Schikanen in kirchlichem Amt in Bretten nicht Einhalt geboten – Badische Landeskirche weist Kritik zurück
Eine junge Frau hat ihren Arbeitsplatz in einem kirchlichen Amt verloren. Weil das Verfahren vor dem Arbeitsgericht mit einem Vergleich endete, sieht der Evangelische Oberkirchenrat Mobbingvorwürfe nicht bestätigt. Ihr Vater ist enttäuscht über die „Ignoranz der Kirche“.
Von Andrea Koch-Widmann

Uwe Schlurick hält viel von christlichen Grundwerten, als deren Hüterin er bisher die Kirche sah. Dass die Kirche als Arbeitgeberin im Zweifelsfall nicht an diesen moralischen Ansprüchen zu messen ist, ist für ihn eine erschütternde Erkenntnis. Nie hätte er gedacht, sagt er, dass sich trotz schwerer Mobbingvorwürfe die Kirche hinter Formalitäten und juristischen Finessen verstecke und nichts unternehme, das schikanöse Verhalten in einem kleinen Kirchenamt abzustellen.

Seine jetzt 25-jährige Tochter Inge M. hatte sich im evangelischen Verwaltungs- und Serviceamt Mittelbaden in Bretten (Kreis Karlsruhe) von Kolleginnen schikaniert gefühlt (die StZ berichtete). So war sie bereits bei ihrem Arbeitsantritt am 1. April 2004 als „Aprilscherz“ begrüßt worden, was sie beleidigte. Mehr als ein Jahr lang hielt sie trotz eines Nervenzusammenbruchs aus. Ihr Hausarzt, der sie seit langem kennt, notierte im Februar 2005, dass er sie „noch nie in einem derart auffälligen Zustand“ vorgefunden habe. Die zierliche Frau hatte sieben Kilo abgenommen, litt unter Selbstzweifeln, konnte nachts nicht mehr schlafen. Der Hausarzt schrieb sie krank. Später sprach er in einer Bescheinigung von „zunehmenden Mobbing“, dem Inge M. an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt sei.

Ihre Gespräche mit dem Geschäftsführer des Amtes brachten keine Hilfe. Als ihr Vater, ein ehemaliger Personalsachgebietsleiter einer großen Landesbehörde, der inzwischen völlig verunsicherten Tochter beistehen wollte und selbst ein Gespräch mit dem Chef über Mobbing führte, habe ihm dieser erklärt, dass er die ärztlichen Atteste als Gefälligkeitsgutachten betrachte. Dann nannte er dem Vater die Verfehlungen der Tochter, die ihre Kolleginnen monierten: Sie brauche zu lange zur Ablage, habe eine schlechte Körperhaltung und eine lasche Einstellung, ihr Korb würde im Weg stehen, und sie gehe zu oft zur Toilette. Im Mai wurde ihr wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit ein Auflösungsvertrag angeboten. Sie lehnte ab.

Im August kam die Kündigung. Eine Kollegin hatte dem Chef gedroht, selbst zu kündigen, sollte die junge Frau bleiben. Dem Chef zufolge wolle von den Kollegen keiner mehr mit ihr zusammenarbeiten. Inge M. zog vors Arbeitsgericht. Das Verfahren in Karlsruhe endete zwar mit einem Vergleich. Die rechtlich nicht haltbare Kündigung vom August wurde in eine ordentliche ohne Verschulden zum Ende März dieses Jahres umgewandelt, die junge Frau wurde freigestellt und erhielt 5000 Euro Abfindung. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnis hielt der Richter nicht für zumutbar. Schließlich hatte auch der Rechtsanwalt des Amtsleiters unmissverständlich deutlich gemacht, was die junge Frau erwarten würde: „Jeder einzelne Fehler würde genau protokolliert und abgemahnt.“

Die Tochter bemüht sich inzwischen um einen Studienplatz. Den Vater jedoch treibt noch immer das Mobbing um. Das hatte die Karlsruher Kammer bewusst ausgeklammert, „weil wir uns sonst von einer gütlichen Einigung entfernen“, so der Richter. Dadurch aber blieben die im Prozess erhobenen ehrenrührigen Vorwürfe an seiner Tochter hängen, meinte der Vater und wandte sich erneut an den Bischof der evangelischen Landeskirche in Baden, Ulrich Fischer. Dieser wollte den „sehr besorgten Brief“ im Evangelischen Oberkirchenrat „juristisch überprüfen“ lassen, teilte Fischer in drei Zeilen mit.

Knapp zwei Wochen später forderte eine Kirchenoberrechtsdirektorin Uwe Schlurick auf, „zukünftig von derartigen Schreiben abzusehen“. Zudem bestätigte sie die Haltung der Kirche. Der Oberkirchenrat hatte in einem ersten Schreiben die Vorwürfe als „völlig unangemessen“ zurückgewiesen. Schlurick hatte dem Landesbischof direkt nach der Kündigung seiner Tochter um Hilfe gebeten, unterstützt von mehr als 200 Kirchenmitglieder aus seinem Heimatort Sulzfeld (Kreis Karlsruhe). Die Mobbingvorwürfe seien haltlos, betont ein Sprecher des Oberkirchenrats auf Anfrage. Das habe eine Prüfung des für die Dienstaufsicht zuständigen Verwaltungsrats in Bretten ergeben. Dem Oberkirchenrat obliege „lediglich die Fachaufsicht“.

Das Thema Mobbing nehme die Kirche ernst. Für die rund 400 Beschäftigen des Evangelischen Oberkirchenrats in Karlsruhe gebe es eine Dienstvereinbarung, die unter anderem Beratung und Hilfe in Mobbingfällen vorsieht. Entsprechende Regelungen für die rund 25 000 Mitarbeiter der evangelischen Landeskirche Baden und der Diakonie gebe es jedoch nicht. Diese könnten sich an ihre Personalvertretung oder den Gesamtausschuss wenden.

Enttäuscht über die „Arroganz der Kirche“ hat Schlurick nun, obwohl es ihm sehr schwer gefallen sei, seinen Austritt aus der evangelischen Kirche erklärt. Er könne es nicht verstehen, dass die Kirche die angeprangerten Missstände in dem kleinen Amt ignoriere. Schließlich habe er dem Landesbischof Erklärungen von drei ehemaligen Mitarbeitern beigefügt, die ebenfalls Opfer von Mobbing in Bretten gewesen seien.

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